Ziehe Du endlich diesen Herbstpulli aus: Yo La Tengo – Live in Huxleys Neuer Welt, Berlin, 25. April 2023

Von Onkel Rosebud (25.04.2023)

Einer meiner besten Freunde und meine seit über 20 Jahren im Verkehr befindliche Tochter haben gemeinsam, dass sie eine Wollmütze mit „YLT“-Initialen besitzen. Als sie zu Hause auszog, hat sie heimlich drei Dinge von mir mitgehen lassen. Neben meiner gestrickten Yo-La-Tengo-Haupthaarbedeckung, die Schallplatte „To Bring You My Love“ von PJ Harvey und ein schweres Schraubdings aus Edelstahl, wo man kleine, sehr persönliche Dinge reintun oder einem Einbrecher eine schwere Kopfverletzung zufügen kann. Ich toleriere das, weil keiner der über 30 Tonträger, die ich von der Formation aus Hoboken besitze, dabei war. Die sind mir heilig. Ich halte die Band für die Quintessenz des Indierocks und gönne ihnen, dass der kommerzielle Erfolg mit ihrer Musik seit fast 40 Jahren ausbleibt, weil nur ausgewählte, kaltherzige, geschmackssichere Dödel wie ich ihre Gassenhauer mitsummen sollen und nicht jeder Dorsch.

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Sacred Son – Privolva – Sacred Son 2023

Von Matthias Bosenick (25.04.2023)

Wenn man Black Metal und Dark Ambient mixt, ist das dann automatisch Doom? Kommt darauf an, welche Komponenten man vermengt und welcher Schleudergang eingestellt ist. „Privolva“ ist der zweite Ansatz der englischen Black-Metal-Band Sacred Son, diese Mixtur zu generieren, und das Quartett, das hier wieder auf Initiator Dane Cross mit zweifacher Hilfe von Schlagzeuger Jamie Tatnell zurückreduziert auftritt, erfüllt die Gemengelange eher Schritt um Schritt, als als tatsächliches Crossover. Heißt: Das halbe Dutzend Stücke dieses kaum halbstündigen Albums wechselt die Buxen Track um Track, anstatt wirklich aus Black Metal und Dark Ambient ein eigenes Genre zu kreieren, wie es das Black Yo)))ga Meditation Ensemble etwa vollzog. Nicht schlimm, das Album ist trotzdem geil, weil Cross sich einfach auf allen Parketts unfallfrei bewegt. Und so weit weg voneinander sind die beiden Grundgenres in der postmodernen Herangehensweise heutzutage ohnehin nicht mehr.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Paganini und Philosophie

Von Onkel Rosebud/Alexander Rösler

An Virtuosen habe ich immer bewundert, dass sie etwas können. Ich selbst habe Philosophie studiert. Die Frage, auf die ich meistens antworten musste, lautete in etwa: Was willst Du denn damit mal machen? Paganini hat das sicher niemand gefragt. Er hat seine Geige ausgepackt und einfach gespielt. Das war Antwort genug. Und ich muss sagen, nach dem Spiel von Paganini hätte auch ich nichts mehr gefragt. Obwohl Philosophie darin besteht, zu jeder Selbstverständlichkeit noch eine Frage parat zu haben. Vielleicht habe ich mich deshalb schon früh für Philosophie interessiert, so mit sechzehn. Ich habe auch Geige gespielt, um das gleich mal zu verraten. Mit zehn Jahren habe ich angefangen und kannte zum Glück Paganini noch nicht. Heute denke ich, dass ich in dem Fall damals meine Kindervioline aus dem familiären Bestand gleich wieder in den Kasten gelegt hätte. Auf mein Interesse an Philosophie hätte das keine Auswirkungen gehabt. Im Gegenteil, manchmal bin ich der Meinung, ich hätte einfach noch früher damit angefangen. Diesmal wahrscheinlich, um Antworten zu finden.

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Metallica – 72 Seasons – Blackened 2023

Von Guido Dörheide (15.04.2023)

Ich habe lange überlegt, ob und warum ich hier etwas über das neue Album von Metallica schreiben sollte. Eine Band, die mich seit kurz nach 1991 eigentlich nur noch ankotzt. Eine Band, die vier großartige Alben gemacht hat, von denen das letzte lausig produziert war. Eine Band, die damals, also vor 1991, zum Härtesten und textlich Unverdaubarsten gehörte (also aus meiner damaligen, kindlichen Sicht), das ich kannte, und auf die sich seit knapp 30 Jahren die ganze Welt einigen kann und deren beknackte Symphonieorchestereskapaden aus welchen Gründen auch immer irgendwie außer bei mir nicht unforgiven sind. Warum also? Was haben Metallica sozusagen je für mich getan?

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De Staat – Live in der 60er-Jahre-Halle im Faust, Hannover, am 14. April 2023

Text und Fotos von Guido Dörheide und Matthias Bosenick (15.04.2023)

Was für eine Präsenz! Sobald Torre Florim als letzter des Quintetts De Staat aus Nijmegen die Bühne betritt, kniet die Gemeinde nieder. Ihm würde man alles abnehmen, sich unterordnen, sich leiten lassen. Und so geschieht es auch im Faust in Hannover. Da ist es auch egal, ob man die Musik wirklich letztgültig feiert oder nicht, der Mann im mattsilbrig glänzenden Anzug, mit dem todernsten, furchteinflößenden und fordernden Gesichtsausdruck und den suggestiven Bewegungen fordert alle Aufmerksamkeit ein. Und kann sich doch auch mal, sobald die Band keinen synthetischen White-Man’s-Funk spielt, sondern ins Psychedelische abtaucht, hinter den Songs zurücktreten. Eine Naturgewalt! Und sympathisch.

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Harzkrimi-Lesung in der Buchhandlung Böhnert in Goslar am 30. März 2023

Von Guido Dörheide (13.04.2023) | Fotos von Sascha Exner

Am Donnerstag, 30. März 2023, besuchte ich in Goslar mit meiner wunderbaren Liebsten in der Buchhandlung Böhnert zu Goslar eine Lesung von vier Harzkrimi-Autoren und zwei Musikanten. Bereits beim Betreten der Buchhandlung sind wir sehr beeindruckt, denn es wurde inmitten der Buchregale sehr viel Platz für sehr viel Publikum gemacht und binnen weniger Minuten füllen sich sämtliche Plätze. Auf dem Podium hatten zuvor bereits vier (4!) Autor:innen Platz genommen, die am heutigen Abend lesen werden: Barbara Merten, Corina C. Klengel, Jürgen H. Moch und Helmut Exner. Daneben hatten sich zwei Musikanten platziert, namentlich Lucky Logan und Al Cajone. Diese nutzen die letzten Minuten vor Beginn der Veranstaltung, in der das Auditorium gespannt die Eröffnung durch die Leiterin der Buchhandlung, Frau Warnecke, die noch zahlreiche organisatorische Verrichtungen zu erledigen hatte, erwartete, indem sie spontan einen „Frau-Warnecke-Blues“ intonierten und dadurch sofort sämtliche Sympathien der Zuhörenden auf ihre Seite ziehen konnten.

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Hardy Crueger – Der Flussmann – CW Niemeyer 2023 / Nachlese zur Premierenlesung am 31. März 2023, Buchhandlung Benno Goeritz

Text und Fotos von Guido Dörheide und Matthias Bosenick (März/April 2023)

Ein Novum hier: Zwei zusammenhängende Ereignisse – die Veröffentlichung eines Buches sowie die Premierenlesung desselben – dargereicht von zwei zusammenhängenden Rezensenten, hier Guido Dörheide und Matthias Bosenick. Corpus Delicti ist „Der Flussmann“, der neue Thriller von Hardy Crueger, dem in Braunschweig ansässigen Schriftsteller, der seinen Psychokrimi der Einfachheit halber in seiner Wahlheimat stattfinden lässt. Zur Premiere in der Buchhandlung Benno Goeritz wählt der Autor appetitanregende Ausschnitte aus, die den Einblick erlauben in das Leben einer Frau, deren Mann nach einem Betriebsfest verschwindet und der später nur noch als Leiche gefunden wird. Keiner glaubt ihr, dass das kein Suizid oder Unfall war. Hat sie Recht? Ist sie irre? Oder am Ende gar selbst die Mörderin?

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Tony Nick Stark Cave

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin nervt, dass ihre popkulturellen Helden andauernd sterben. Das ist ihr früher gar nicht mal so aufgefallen, es passiert allerdings ständig. Wobei, gestorben wird immer. Das gilt nicht erst seit der Fernsehserie „Six Feet Under“. Klar, es liegt am Alter, weil fortschreitend die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende und dem Tod an sich beginnt und dafür die Wahrnehmung insgesamt steigt.

Mein Interesse am Tod der anderen startete vor etwa acht Jahren. Im Jahr 2012 segnete nicht nur die Gurkenkönigin (gespielt in der 327. Folge des Polizeirufes), Susanne Lothar, das Zeitliche, sondern so richtig unvorbereitet traf mich das Ableben des Schauspielers Günther Kaufmann. Der spielte unter anderem den Schrecklichen Sven, den Antagonisten von Wickie. Und das ganz faszinierend. Es gab damals ein Bonusmaterial auf der DVD, die zeigte, dass er bei den Dreharbeiten beinahe wirklich ertrunken wäre. Das hat mich bis heute traumatisiert.

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Suzume (すずめの戸締まり) – Makoto Shinkai – JP 2022

Von Matthias Bosenick (12.04.2023)

Was für ein Ritt! Zwei Stunden dicht gepacktes Anime: Die Schülerin „Suzume“ entlässt versehentlich einen extrem zerstörerischen Wurm in die Welt und versucht nun, dem von einer sprechenden Katze zu einem dreibeinigen Holzstuhl verfluchten Souta dabei zu helfen, die Portale in die Welt der Toten zu verschließen, aus denen dieser feurige Wurm entfleucht. Ja, man muss sich auf Dinge einlassen, die in Japan offenbar zur Normalität gehören. Es lohnt sich, denn Makoto Shinkais „Suzume“ ist Coming-of-age, Roadmovie, Katastrophenfilm, Familiendrama, Mystik, Humor, Verantwortung, Abenteuer, Trauer, persönliche Entwicklung und überhaupt ganz großes Kino – und verdammt nochmal Zeichentrick, und das sehr dicht an der Realität.

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Wolf Haas – Müll – Hoffmann und Campe 2022

Von Matthias Bosenick (11.04.2023)

„Jetzt ist schon wieder was passiert“, möchte man meinen, doch verwendet der österreichische Autor Wolf Haas diesen klassischen Brenner-Einstieg in „Müll“ zum dritten Mal in Folge nicht mehr, also seit dem Comeback nach dem überraschenden Tod des namenlosen Icherzählers. Also: Simon Brenner ist wieder da, zum neunten Mal und acht Jahre nach seinem letzten Fall, und Haas dichtet dem lakonischen Schwarzseher nicht nur einen beachtlich ausgearbeiteten Fall an, sondern erzählt ihn auch wie gewohnt in der ihm typischen und einzigartigen Sprechweise, die längst „Haasisch“ genannt wird. Krimi kann sehr wohl gleichzeitig (schwarz-)humorvoll und spannend sein, auch wenn Haas sich hier im Grunde selbst recyclet. Aber das passt ja bestens zum Thema.

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