Mrs. Piss – Self-Surgery – Sargent House 2020

Von Matthias Bosenick (04.10.2020)

Noch so ein herausragendes Beispiel dafür, welche Wucht die Musik von nur zwei Leuten haben kann: Mrs. Piss sind Chelsea Wolfe und Jess Gowrie, die mit „Self-Surgery“ ein unmittelbares Minialbum auf die Fressen der Hörer loslassen. Jeder der acht Tracks bedient ein anderes Genre, einig ist ihnen, dass keiner Fröhlichkeit ausstrahlt – alles ist Wut, Wucht, Wumms. Das Vinyl ist dem wenig goutierbaren Bandnamen und dem trefflich geschmacklosen Cover entsprechend in schwarzgelbem Splatter gehalten mit einem Etching auf der B-Seite versehen – als wäre die Musik nicht schon Kaufgrund genug.

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Megalith Levitation/Dekonstruktor – Megalith Levitation/Dekonstruktor – Aesthetic Death 2020

Von Matthias Bosenick (02.10.2020)

Челябинск. Tscheljabinsk. Zwischen Jekaterinburg und Kasachstan. 1,2 Millionen Einwohner. Drei davon machen seit sechs Jahren als Megalith Levitation Acid Doom, wie sie selbst es nennen, und auf ihrem nunmehr vorliegenden zweiten Release gemeinsame Sache mit Dekonstruktor aus Moskau. Jedes Trio steuert zwei Tracks zu diesem Split bei, was bei über einer halben Stunde Gesamtspielzeit erahnen lässt, wie gemächlich es dabei zugehen mag. Aber nicht langweilig, da passiert eine Menge, das meiste angesiedelt in sehr tiefen Tönen. Der Herbst kann kommen.

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The Berenice Soundproject/Ilse ausm Schützengraben – TBSP/Ilse – Xchnum Miiimiiikry 2020

Von Matthias Bosenick (01.10.2020)

Für den Künstler kathartisch, für den Hörer traumatisch: Was auch immer dem Schöninger Jonas Kolb in seinem noch recht kurzen Leben wiederfahren sein mag, es lastet ganz offenkundig schwerst auf seiner Seele. Als Ventil nutzt er sein privates Studio, in dem er sich je nach Stimmungslage unterschiedlich tönend austobt und die Ergebnisse unter diversen Projektnamen herausbringt. „TBSP/Ilse“ bündelt als Doppel-CD bisherige Online-Veröffentlichungen, Demos und Remixe der beiden Projekte The Berenice Soundproject und Ilse ausm Schützengraben – ersteres quasi Electro-Black-Metal, zweiteres quasi Lärm. Dem Künstler hilft’s, der Hörer braucht nach dem Genuss selbst Hilfe. Höchst krasses Zeug – und während man es noch hört, bringt Kolb 25 weitere Alben heraus, kaum weniger verstörend.

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The Electric Family – Echoes Don’t Lie – Sireena 2020

Von Matthias Bosenick (28.09.2020)

Das zweite Album der Electric Family aus Bremen nach der Wiederaufnahme der Aktivitäten enthält oberflächlich wahrgenommen eine Art krautig-folkigen Indie-AOR-Poprock, der in den Details voller grandioser Einfälle und kompositorischem Wagemut steckt. Das lässt das Ensemble um Tom „The Perc“ Redecker nicht vordergründig heraushängen, sondern wendet es schlichtweg an. „Echoes Don’t Lie“ ist ein entspanntes Album geworden; wir werden ja alle nicht jünger, auch die Indie-Helden nicht. Künstlerisch weniger relevant ist man deshalb noch lange nicht.

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Christopher Tauber/Hanna Wenzel – Rocky Beach: Eine Interpretation – Kosmos 2020

Von Matthias Bosenick (24.09.2020)

Wie sähe es aus, wenn die Drei Fragezeichen so erwachsen wären, wie sie in den Hörspielen längst klingen? Machen sie unendlich so weiter und merken gar nicht, dass sie altern, oder finden sie sich beispielsweise nach einer verheerenden Erfahrung mit tödlichem Ausgang entzweit und auf die düstere Realität von Mittvierzigern in der Krise zurückgeworfen? So jedenfalls stellt es sich Christopher Tauber vor und lässt diese Vision, seine „Interpretation“ von „Rocky Beach“, von Hanna Wenzel atmosphärisch passend als schwarzweiße Graphic Novel umsetzen. In weiten Strecken gelungen, mit Abstrichen, und auch ohne Vorkenntnisse gut lesbar. Wie klänge wohl ein Hörspiel davon?

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Esat Ekincioğlu & Berke Can Özcan – Lover And Beloved – Ekincioğlu & Özcan 2020

Von Matthias Bosenick (20.09.2020)

Wenn zwei Leute, die etwas können, aufeinandertreffen und mit ihren Instrumenten aus dem Stegreif improvisieren und wenn dann das, was dabei herauskommt, nun: komponierter klingt als so manche Komposition, dann muss man es offenkundig mit hochgradig grandiosen Musikern zu tun haben. Bassist Esat Ekincioğlu und Schlagzeuger Berke Can Özcan trafen 2019 in Istanbul aufeinander und schnitten ihre musikalische Begegnung einfach mal mit. Auf „Lover And Beloved“ dokumentieren sie eine hell lodernde Liebesbeziehung, die vom Flirt über Liebe und Betrug bis zur Trauer reicht, mit dröhnendem Bass und scheppernden Schlagzeug. Unter anderem.

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Fly Cat Fly – Let‘s Hear It For The Chosen – FCF 2019

Von Matthias Bosenick (14.09.2020)

Auch ein Jahr später noch eine Granate: Ein fehlender Schlagzeuger reißt nicht zwingend eine Lücke, wenn das verbleibende Braunschweiger Duo Fly Cat Fly geile Songs zu schreiben und die ersatzweise programmierte Drummachine organisch einzusetzen weiß. So viel Atmosphäre, so viel Wucht, so viel Emotion, so viel Warmherzigkeit und so viel Tiefe in den neun Songs: Die Lücke bestand eher darin, dass es dieses Album, „Let’s Hear It For The Chosen“, vorher nicht gegeben hat. Experimentelle Indierockhymnen fürs Herz. Gibt‘s auch als Schallplatte!

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Black & Red (Jaz Coleman & Ondřej Smeykal) – On The Day The Earth Went Mad – Cadiz Music 2020

Von Matthias Bosenick (13.09.2020)

Didgeridoo. Das bestimmende Instrument in diesem Slomo-Industrial-Track ist das Didgeridoo. Wer das heraushören kann, verdient ein Indisches Harmonium. Das ist nämlich das zweitwichtigste Instrument auf „On The Day The Earth Went Mad“, dem ersten Lebenszeichen des Projektes Black & Red, zu dem sich Killing-Joke-Chef Jaz Coleman und der tschechische Didgeridoo-Held Ondřej Smeykal bereits 2009 zusammenschlossen. Auf einer roten 10“ beklagen sie kraftvoll, eingängig, schleppend, brachial und, äh, warm den Niedergang der Gesellschaft. Und das soll nur der Auftakt zu einem Album sein. Das ist nach diesem überwältigenden Start nur schwer abzuwarten.

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Tētēma – Necroscape – Ipecac 2020

Von Matthias Bosenick (08.09.2020)

Nur schwer zu fassen ist das zweite Album von Tētēma, „Necroscape“. Mike Patton und Anthony Pateras bündeln darauf eine schier unüberblickbare Vielzahl an Stilen, dass sich schon deshalb kein stringentes Hörerlebnis einstellen kann. Die Stimmungen schwanken zwischen atmosphärischen Merkwürdigkeiten und brutalen Gewaltausbrüchen, jeder Track ist anders instrumentiert und arrangiert – „Necroscape“ ist eine Herausforderung für die Aufmerksamkeit, keine akustische Tapete. Zugänglich geht anders, aber anstrengend ist ja nicht zwangsläufig schlecht. Braucht nur eine Weile, aber dann haut es um.

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Tenet – Christopher Nolan – USA 2020

Von Matthias Bosenick (29.08.2020)

„12 Monkeys“ 2020: In diesem Zeitparadoxonfilm hat alles für den späteren Verlauf eine Bedeutung, und allein für das komplexe Drehbuch muss man „Tenet“ schon feiern. Auch wenn man nicht alles sofort erfasst, hinterlässt der Film doch den Eindruck, schlüssig zu sein, und das steigert den Genuss. Christopher Nolan mixt die Genres und wagt aberwitziges Neues in einem abgegriffenen Metier. Wer gut aufpasst, hat mehr davon, und wer dies nicht beherzigt, wird sich vermutlich langweilen. Für den aufmerksamen Zuschauer ist dies ein beachtliches Stück Hollywood.

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