Von Matthias Bosenick (03.11.2022)
Sprach- und Lärmgewaltig präsentieren Cryptic Brood aus Flechtorf (Gemeinde Lehre) ihre neue 7“ „Caustic Fetid Vomit“, die erste Studioveröffentlichung mit ausschließlich eigenen Songs seit drei Jahren. Sprachgewaltig, weil das Trio zum Ausdruck unvorstellbarer Abscheulichkeiten Wörter verwendet, die man selbst als halbwegs verhandlungssicherer Englischnutzer erst nachschlagen muss, und Lärmgewaltig, weil Cryptic Brood einfach die Klaviatur des Death Metal mit allem beherrschen, was angrenzend noch so existiert. Zwei Tracks, zehneinhalb Minuten, Geknüppel, Geschrei, Gemoste und Riffs, Brüche, Brutalität. In ausgewählt unekligen Farben!
Archiv der Kategorie: Vinyl
Killing Joke – Lord Of Chaos – Spinefarm Records 2022
Von Matthias Bosenick (27.10.2022)
Wieder so ein Vinyl, das ewig nach der Online-Veröffentlichung der entsprechenden Musik auf sich warten lässt. Und das Warten lohnt sich, zum Glück: „Lord Of Chaos“ ist typisch moderne Killing Joke, treibend, riffig, post-heavy, mit einnehmend warmer hymnischer Melodie und verhalten geschrienem Refrain, dazu ein Bonus-Track und zwei Remixe, Dub, Electro, ebenfalls typisch Killing Joke. Fügt sich nahtlos ins Oeuvre ein, was die alten Männer hier machen, sieben Jahre nach dem letzten Studioalbum „Pylon“.
Primus – Conspiranoid – Prawn Songs 2022
Von Matthias Bosenick (24.10.2022)
Wenn intelligente Menschen sich mit der Pandemie auseinandersetzen und sich mit Verschwörungstheorien befassen, kommen auch intelligente Erkenntnisse zutage, die Verschwörungstheorien als das behandeln, was sie sind: durchgeknallte Paranoia. Entsprechend betiteln die drei ausschließlich musikalisch Durchgeknallten von Primus ihre themenbezogene EP mit dem treffenden Kofferwort „Conspiranoid“ und erfüllen damit gleich zwei wesentliche Aspekte: Sie positionieren sich in Zeiten des rechtsbefeuerten Dummheitswahns auf der Seite der Nichtdummen – und machen grandiose Musik. Die drei Songs auf „Conspiranoid“ sind so Primus, wie man sie vor über 30 Jahren zu lieben lernte: frickelig, progressiv, eigensinnig, trotzdem eingängig und natürlich basslastig.
The Young Gods – Play Terry Riley In C – Two Gentlemen Records 2022
Von Matthias Bosenick (18.10.2022)
Schon wieder locken uns The Young Gods auf das Feld der modernen Kunst, keine 31 Jahre nach „Play Kurt Weill“: Mit Terry Rileys „In C“ nehmen sich die Schweizer ein Standardwerk der Minimal Music vor, 1964 komponiert, seitdem mehrfach aufgeführt und aufgenommen, jetzt aber von einer Band, die den US-Industrial aus der Taufe hob, mit dem heavy Mix aus Gitarre und Keyboard, den sie selbst längst ablegten und hier auch kaum zur Anwendung bringen. Typisch für Minimal Music sind Wiederholung, Monotonie, scheinbar willkürliche Notentupfer, rudimentäre, bisweilen verspielte Melodien, tranceartige Passagen, und ja, all das bekommt man in den 53 von Riley „Phrasen“ genannten Sequenzen auch von den Young Gods, dazu nach gut der Hälfte einen knappen Einblick in den Krach, zu dem sie ebenfalls in der Lage sind. Erstaunlich genug, wie futuristisch ein 1964 komponiertes Stück Musik 2022 noch klingen kann. Live im Studio eingespielt, übrigens.
Teen Prime – No. 4 – Schneider Collaborations 2022
Von Matthias Bosenick (01.10.2022)
Gitarre und Schlagzeug, das klingt doch erstmal nach irgendeiner Art von Rock‘n‘Roll, oder? Nicht für Teen Prime: Das Duo zerlegt den Rock‘n‘Roll und macht auf dem irritierender- und erklärbarerweise „No. 4“ betitelten Debütalbum aus den Trümmern ein abstraktes Mosaik. Ganz frei von Harmonien ist das nun doch nicht, was Sebastian Fäth und Jörg A. Schneider hier improvisieren – auch ohne konkreten Rhythmus oder mitsummbare Melodien bekommt man auf dieser Schallplatte eine Musik, die man angenehm goutieren kann. Und kurz vor Schluss sogar mit Piano dazwischen, dann drängt sich spätestens noch mehr der Gedanke an ein anderes Genre auf: Jazz, und das sicherlich nicht zu Unrecht.
Moon‘s Mallow – Against All Gods/Long Lost – Gioia Coppola 2021/2022
Von Matthias Bosenick (26.09.2022)
Indierock ohne breite Beine, kann man sagen, groovend, spröde, gefühlvoll, gesangsstark, der volklosen Folklore so nah wie dem Anti-Britpop der Auteurs, mit einem Hauch Psychedelik: Moon‘s Mallow sind da, aus Bari ganz im Süden Italiens, wo sich Bandchef Gioia Coppola zunächst mit den brasilianischen Musikern Leila Isaac und Luís Marino sowie dem renommierten Bassisten Michele Rossiello zusammentat, um „Against All Gods“ aufzunehmen. Nachdem die beiden Brasilianer das Land aus beruflichen Gründen verließen, holte sich Gioia als Ersatz Damiano Ceglie und Claudio Colaianni dazu, um „Long Lost“ einzuspielen, das nicht wirklich den Eindruck erweckt, es zur Hälfte mit anderen Leuten zu tun zu haben. Moon‘s Mallow bleiben ohne Posen, eher im Dunkel der Nacht, nicht eben vor Fröhlichkeit sprühend, also überaus vortrefflich genießbar. Und nun gibt‘s beide Alben auf Vinyl.
Nick Cave – Seven Psalms – Cave Things 2022
Von Matthias Bosenick (25.08.2022)
„Solche Dinge sollten nicht passieren, aber sie passieren“, sagt Nick Cave im sechsten seiner „Seven Psalms“, sieben zur Ambient-Musik von Warren Ellis gesprochene Kontemplationen über „Glauben, Wut, Liebe, Trauer, Barmherzigkeit, Sex und Lobpreis“, wie es Cave selbst bezeichnet. Für jeden Tag der Woche ein Psalm, alle zusammen ein Angebot zur Meditation. Angesichts des Umstandes, dass Cave jüngst auch seinen zweiten Sohn an den Tod verlor, kann man seine Haltung beinahe als stoisch auffassen, mindestens als gestärkt, gesund und zukunftsgewandt. Und der Geist Gottes schwebt über dieser 10“.
A Secret Revealed – When The Day Yearns For Light – Lifeforce 2021/2022
Von Matthias Bosenick (11.08.2022)
Eigentlich existiert dieses dritte Album von A Secret Revealed bereits seit Oktober 2021, nur dauerte es mit der Vinyl-Veröffentlichung aufgrund bekannter Probleme mit den Presswerken bis ins folgende späte Frühjahr. Jetzt ist es endlich da, und bunt wie das Vinyl ist auch die Musik, wenngleich man jener eine Neigung zum modernen Black Metal zugestehen muss, also der unbuntestmöglichen Spielart des Heavy Metal. Aber, und das ist das Besondere an diesem Würzburger Quintett: A Secret Revealed definieren Metal nicht nach Schubladen, sondern danach, worauf sie Bock haben. Da ist der gebrüllte Gesang eher dem Hard- bis Metalcore entnommen, da ist die Musik drumherum von allem mit heavy verzerrten Gitarren etwas und dabei so wenig genau konkreten Metal-Genres zuzuordnen, dass man allem guten Gewissens ein „Post-“ vorausschicken kann.
!!! – Let It Be Blue – Warp 2022
Von Matthias Bosenick (16.06.2022)
Es ist bei jedem neuen Album von !!! so, dass man sich nur noch mehr damit arrangieren muss, dass es nicht mehr so klingt wie zu Zeiten des selbstbetitelten Debüts bis zu „Myth Takes“ 2007: Von der einstigen Tanzkapelle mit handgespieltem progressivem und drogeninduziertem Discosound ist so gut wie nichts mehr übrig, die Band ist längst synthetisch geworden und passte sich in Sound und Melodie streckenweise sehr dem Zeitgeist an. Auf „Let It Be Blue“, Album Nummer neun, klingt nichts nach melancholischen Beatles, dafür aber nach zackiger Housemusik und nach Latin-Pop. Es wird sicher wieder eine Weile dauern, bis man hier als Altfan seine Perlen findet. Die gibt es durchaus, es sind grandiose Songs enthalten, nur ein durchgehend überzeugendes Album bekommt man aus Sicht von vor 20 Jahren von !!! leider schon lang nicht mehr.
Spezial: addicted/noname Label aus Moskau, Teil 12
Von Matthias Bosenick (05.05.2022)
Post und Emails gab es dieses mal aus Moskau, und man freut und wundert sich, dass beides dieser Tage überhaupt durchkommt. Die drei Betreiber des Labels, das wahlweise addicted heißt oder einfach namenlos ist, also auf noname reagiert, bleiben unermüdlich, auch wenn Paypal-Zahlungen aus dem Verkauf bei Bandcamp derzeit aufgrund der westlichen Embargos gegen die Kriegstreibermacht gar nicht ihre auch wohlgesonnenen Ziele in Russland erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass es bald ein „danach“ geben wird, in dem die Oppositionellen nicht unter die Räder kommen. Musik gibt es dieses Mal als Download, CD oder 7“, darunter auch vom Bruderlabel Bad Road Records, und zwar mit der Compilation „Addicted Tunes“, neuen Alben von Detieti und Был замечен… sowie Singles von Fistula, Koffinsurfer und Crawl – und zwar nicht nur aus Russland, sondern auch aus der Ukraine.