Von Matthias Bosenick (14.12.2022)
Lärm, ihr Fukker! Mit allem Grund, zusätzlich zu dem, den einem die Welt so zu Füßen legt: Zwischen dem zweiten Album „Rogo“ und dem neuen „Soot“ brannte der Proberaum des Stuttgarter Trios aus, mit einer überwältigenden Spendenaktion gelang es Trigger Cut, sich – die Wendung liegt nicht nur wegen des Covers nahe – wie Phoenix aus der Asche zu erheben, oder auch aus dem titelgebenden „Ruß“. Acht Lärmbrocken, abgehorcht bei Noise Rock und No Wave aus dem New York der Achtziger und Neunziger sowie dem Post-Hardcore der späteren Fugazi, mischen sich Trigger Cut ihre eigene Mixtur aus Rock’n’Roll und Lärm, mit Groove, grandiosen Einfällen an den Instrumenten und einer unerwarteten Catchyness, die sich bisweilen aus dem Gebrüll herauswindet.
Archiv der Kategorie: Vinyl
Dead Cross – II – Ipecac 2022
Von Matthias Bosenick (12.12.2022)
Schon wieder eine Corona-Platte, das Thema wird die Welt vermutlich auch künstlerisch noch eine ganze Weile begleiten. Dead Cross, die – hust – Supergroup um Mike Patton, bastelte in der Pandemiezeit an „II“, ihrem selbsterklärt zweiten Album. Hier geht es zu, wie man es anhand der Besetzung erwartet: Dave Lombardo (Ex-Slayer sowie diverse Bands und Projekte, viele mit Mike Patton) am Schlagzeug, Michael Crain (Retox und weitere Bands) an der Gitarre und Justin Pearson (The Locust und ebenfalls Retox sowie 1,4 Millionen zusätzlicher Beteiligungen) am Bass. Wie, die letzten beiden sind eher nicht so bekannt? Macht nix, allein Lombardo und der kurioserweise erst nach der Bandgründung hinzugestoßene Patton rechtfertigen das Etikett Supergroup, so! Ist natürlich Quatsch; kein Quatsch indes ist die gemeinsame Mucke: punkgetriebener Thrash-Rotz-Metal. „II“ ist der musikalische Beleg, dass die Welt schlechte Laune macht, und dieser Beleg macht gute Laune.
Absent In Body – Plague God – Relapse Records 2022
Von Matthias Bosenick (21.11.2022)
Über drei Kontinente erstreckt sich die Zusammensetzung des Projektes Absent In Body: Europa, Nordamerika und Südamerika. Igor „Iggor“ Cavalera (Ex-Sepultura, Brasilien), Scott Kelly (Neurosis, USA) sowie Colin H. van Eeckhout und Mathieu J. Vandekerckhove (Amenra, Belgien) verbinden sich zu einer Musik, die Doom, Sludge und Industrial kombiniert und einem finsteren Horrorfilm bestens zu Gesicht stehen würde. Mitten in der Coronazeit huldigen die vier dem „Plague God“, und das viel zu kurze Ergebnis lässt auf mehr hoffen, mindestens die Wiederveröffentlichung des fünf Jahre alten zwanzigminütigen Auftakttracks „The Abyss Stares Back Vol. 5“.
Spezial: Schneider Collaborations
Von Matthias Bosenick (10.11.2022)
Der Mann muss verrückt sein: In nur wenigen Wochen erscheinen gleich sechs Alben mit seiner Beteiligung. Und auch, wenn das Schlagzeugspiel von Jörg Alexander Schneider sowas von einzigartig ist, weil er dabei seinen Kopf ausschaltet und nur seinen Körper walten lässt, was zu verspielten, arhythmischen Klickersounds führt, können diese sechs Alben unterschiedlicher kaum sein. Und stellen zudem trotz ihrer Menge nur einen Bruchteil dessen dar, was Schneider 2022 alles veröffentlichte. Nicht zu laut brüllen: Das Jahr ist noch lang. Hier nun die sechs jüngsten Kollaborationen des früheren Noiserockers aus Hückelhoven, der sich nunmehr vornehmlich im Jazz austobt:
Jomi – Skråt over marken – Glorious Records 2022
Von Matthias Bosenick (08.11.2022)
So dynamisch, so energetisch: Nur ein Jahr nach ihrem letzten Solo-Album „Lyst“ überrascht Jomi mit einem neuen Mini-Album, das es physisch ausschließlich als 10“ gibt, mit Klappcover sogar. Sechs Songs mit Jazzgrundierung, die erste Seite mit knallenden Klein-Chören, kraftvollen Bläsern – und einem Noiserockhintergrund, den die Kopenhagenerin auch in einem eher rockuntypischen Gewand nicht verbergen kann. Die zweite Seite ist etwas ruhiger als die erste und ebenso bemerkenswert arrangiert; „Querfeldein“ also. „Skråt over marken“ sind sechs neue Lieblingslieder.
Cryptic Brood – Caustic Fetid Vomit – Lycanthropic Chants 2022
Von Matthias Bosenick (03.11.2022)
Sprach- und Lärmgewaltig präsentieren Cryptic Brood aus Flechtorf (Gemeinde Lehre) ihre neue 7“ „Caustic Fetid Vomit“, die erste Studioveröffentlichung mit ausschließlich eigenen Songs seit drei Jahren. Sprachgewaltig, weil das Trio zum Ausdruck unvorstellbarer Abscheulichkeiten Wörter verwendet, die man selbst als halbwegs verhandlungssicherer Englischnutzer erst nachschlagen muss, und Lärmgewaltig, weil Cryptic Brood einfach die Klaviatur des Death Metal mit allem beherrschen, was angrenzend noch so existiert. Zwei Tracks, zehneinhalb Minuten, Geknüppel, Geschrei, Gemoste und Riffs, Brüche, Brutalität. In ausgewählt unekligen Farben!
Killing Joke – Lord Of Chaos – Spinefarm Records 2022
Von Matthias Bosenick (27.10.2022)
Wieder so ein Vinyl, das ewig nach der Online-Veröffentlichung der entsprechenden Musik auf sich warten lässt. Und das Warten lohnt sich, zum Glück: „Lord Of Chaos“ ist typisch moderne Killing Joke, treibend, riffig, post-heavy, mit einnehmend warmer hymnischer Melodie und verhalten geschrienem Refrain, dazu ein Bonus-Track und zwei Remixe, Dub, Electro, ebenfalls typisch Killing Joke. Fügt sich nahtlos ins Oeuvre ein, was die alten Männer hier machen, sieben Jahre nach dem letzten Studioalbum „Pylon“.
Primus – Conspiranoid – Prawn Songs 2022
Von Matthias Bosenick (24.10.2022)
Wenn intelligente Menschen sich mit der Pandemie auseinandersetzen und sich mit Verschwörungstheorien befassen, kommen auch intelligente Erkenntnisse zutage, die Verschwörungstheorien als das behandeln, was sie sind: durchgeknallte Paranoia. Entsprechend betiteln die drei ausschließlich musikalisch Durchgeknallten von Primus ihre themenbezogene EP mit dem treffenden Kofferwort „Conspiranoid“ und erfüllen damit gleich zwei wesentliche Aspekte: Sie positionieren sich in Zeiten des rechtsbefeuerten Dummheitswahns auf der Seite der Nichtdummen – und machen grandiose Musik. Die drei Songs auf „Conspiranoid“ sind so Primus, wie man sie vor über 30 Jahren zu lieben lernte: frickelig, progressiv, eigensinnig, trotzdem eingängig und natürlich basslastig.
The Young Gods – Play Terry Riley In C – Two Gentlemen Records 2022
Von Matthias Bosenick (18.10.2022)
Schon wieder locken uns The Young Gods auf das Feld der modernen Kunst, keine 31 Jahre nach „Play Kurt Weill“: Mit Terry Rileys „In C“ nehmen sich die Schweizer ein Standardwerk der Minimal Music vor, 1964 komponiert, seitdem mehrfach aufgeführt und aufgenommen, jetzt aber von einer Band, die den US-Industrial aus der Taufe hob, mit dem heavy Mix aus Gitarre und Keyboard, den sie selbst längst ablegten und hier auch kaum zur Anwendung bringen. Typisch für Minimal Music sind Wiederholung, Monotonie, scheinbar willkürliche Notentupfer, rudimentäre, bisweilen verspielte Melodien, tranceartige Passagen, und ja, all das bekommt man in den 53 von Riley „Phrasen“ genannten Sequenzen auch von den Young Gods, dazu nach gut der Hälfte einen knappen Einblick in den Krach, zu dem sie ebenfalls in der Lage sind. Erstaunlich genug, wie futuristisch ein 1964 komponiertes Stück Musik 2022 noch klingen kann. Live im Studio eingespielt, übrigens.
Teen Prime – No. 4 – Schneider Collaborations 2022
Von Matthias Bosenick (01.10.2022)
Gitarre und Schlagzeug, das klingt doch erstmal nach irgendeiner Art von Rock‘n‘Roll, oder? Nicht für Teen Prime: Das Duo zerlegt den Rock‘n‘Roll und macht auf dem irritierender- und erklärbarerweise „No. 4“ betitelten Debütalbum aus den Trümmern ein abstraktes Mosaik. Ganz frei von Harmonien ist das nun doch nicht, was Sebastian Fäth und Jörg A. Schneider hier improvisieren – auch ohne konkreten Rhythmus oder mitsummbare Melodien bekommt man auf dieser Schallplatte eine Musik, die man angenehm goutieren kann. Und kurz vor Schluss sogar mit Piano dazwischen, dann drängt sich spätestens noch mehr der Gedanke an ein anderes Genre auf: Jazz, und das sicherlich nicht zu Unrecht.