Sqürl – Silver Haze – Sacred Bones Records 2023

Von Matthias Bosenick (30.05.2023)

Das muss man bringen: 2009 als Trio Bad Rabbit gegründet, nach einer EP umbenannt in Sqürl, unzählige EPs, Soundtracks und LPs herausgebracht, zwischendurch zum Duo geschrumpft – und 2023 behaupten, „Silver Haze“ sei das Debütalbum. Dieser Move verlangt Jim Jarmusch und Carter Logan, den verbliebenen Sqürl-Musikern, offenbar einiges an Erwartungshaltungserfüllung (puh) ab, denn „Silver Haze“ setzt sehr wohl das Ambient-Drone-Noiserock-Konzept der beiden fort, klingt aber, nicht zuletzt auch wegen der prominenten Gäste, etwas zugänglicher als die Zweckveröffentlichungen zu den Filmen Jarmuschs oder den Experimentalplatten dazwischen. Der Lärm rückt weiter in die Mitte, könnte man sagen, und damit einen Schritt weg von dem, was Fans der ersten Stunde an Sqürl so liebten, nämlich die Kompromisslosigkeit. Fürs Radio empfiehlt sich „Silver Haze“ dann aber immer noch nicht, und das macht es versöhnlich. Hey, Charlotte Gainsbourg ist dabei!

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Rosa Vertov – Reflected In – Crunchy Human Children Records 2023

Von Matthias Bosenick (26.05.2023)

Ausschließlich auf Kassette ist die neue EP „Reflected In“ des Warschauer Trios Rosa Vertov (Eigenschreibweise in Minuskeln) in physischer Form zu haben, und das ist schick und lohnt sich auch, die fünf Songs sind wundervoll anzuhören. In seligen Dreampop-Gefilden bewegen sich die drei Musikerinnen, sie singen ätherisch zu introvertiertem Indierock, lassen dabei aber den Weichzeichner weg, schlagen die verstärkten, aber nicht verzerrten Gitarren hart und deutlich an, deutlicher noch als das Schlagzeug, das auch mal behutsam loslegt. Träumerisch und wachrüttelnd in einer EP. Zeitlos und gut!

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Lars Fredrik Frøislie – Fire Fortellinger – Karisma Records 2023

Von Matthias Bosenick (26.05.2023)

Alles, was man vom klassischen Progrock so kennt, steckt in diesem Album, und zwar so sehr alles, dass man sich beim Durchhören bei all den seit 50 Jahren vertrauten Elementen fragt, wo denn die eigene Note von Lars Fredrik Frøislie steckt. „Fire Fortellinger“ ist sein – das ist der überraschende Aspekt: spontan und unredigiert zu Hause eingespieltes – Solodebüt, im anderen Leben spielt der Keyboarder aus Hønefoss in Norwegen unter sehr vielem anderem bei einer Progband namens Wobbler. Vier Geschichten, die Hälfte davon überlang, und ja, man erkennt keine Unterschiede in den Tracks, weil sie selbst schon so vermeintlich willkürlich zusammengesetzt sind, dass es auch 40 Geschichten sein könnten. Musikalisch und kompositorisch ist an dem Album im Grunde nix auszusetzen, besonders der Schlagzeugsound macht Laune, aber wer zwischen Genesis, Yes, King Crimson und Bo Hansson schon gut ausgestattet ist, hört entweder nix anderes und braucht dann dieses Album auch ganz dringend – oder hat einen noch viel weiteren Horizont und braucht es dann eben gerade nicht.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Der Gläserne Gang

Von Onkel Rosebud / Manja Barthel

Die Welt besteht aus Dingen, die einen Namen haben. Doch wir alle wissen – da gibt es noch mehr. Für bestimmte Geschehnisse gibt es einfach keine Worte. Vielleicht brauchen zu wenige Menschen für ein und dieselbe Sache eine Bezeichnung, weil sie mit dieser Sache kaum oder nie in Verbindung kommen. So gibt es Worte, die irgendwann einmal erdacht und benutzt wurden, und dennoch weiß heute kaum noch jemand, dass sie existieren. „Nupturient“ zum Beispiel ist ein Wort in juristischen Texten, es beschreibt einen Heiratswilligen; „Nyktitropie“ ist die Schlafbewegung der Pflanzen und „kuranzen“ steht für schikanieren. Diese Worte verschwinden so nach und nach aus dem Duden.

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VNV Nation – Electric Sun – Anachron Sounds 2023

Von Guido Dörheide (23.05.2023)

VNV Nation gibt es schon ewig, dennoch habe ich mich erst mit „Electric Sun“ mit ihnen beschäftigt. Bis dahin kannte ich immer nur Remixes, die Ronan Harris von anderen Elektro-Tracks gemacht hat und bei denen irgendwann immer so ein Kirmes-Synthie-Stakkato einsetzte, das mich und den Herrn Van Bauseneick immer köstlich amisürte. Irgendwann haben wir uns einen Spaß draus gemacht, VNV-Nation-Remixes zu hören, auf den Synthie-Einsatz zu warten und gemeinsam loszulachen, während wir wild lautmalend zu zwei Synthies mutierten. Waren wir albern?

Wir nicht, VNV Nation hingegen schon! Überhaupt, was ist das für ein Bandname? Warum/Wofür beneiden wir die Nation? Nein, „VNV“ steht für „Victory Not Vengeance“, OK, das ist gut, weil Rache ist zwar Blutwurst (lecker!), macht aber auch blind und wird außerdem ausschließlich kalt serviert, wie Gazpacho, dem ich ebenfalls nichts abgewinnen kann.

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Ashinoa – L’Orée – Fuzz Club Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.05.2023)

„L’Orée“ ist eine Wundertüte: Das Quintett Ashinoa aus Lyon bringt so ziemlich alles an Genres unter, worauf es Bock hat, und weil es darauf Bock hat, auch noch überzeugend kombiniert. Dub, Trance, Dance, Ethno, Ambient, Noiserock, IDM, Electroswing, Drone, alles organisch und warm trotz Elektronik, immerhin hat es gleich fünf Leute, die die Musik erzeugen, da sind mehr als nur Synthies im Fuhrpark untergebracht. Ausgangslage für die Band ist eigentlich der Krautrock, heißt es, und wenn „L’Orée“ ein Weiterdenken dieser Spielart sein soll, dann denken Ashinoa begrüßenswert weit weiter.

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Chris Staples – Cloud Souvenirs – Hot Tub Recordings 2023

Von Matthias Bosenick (23.05.2023)

Ganz sanft und feinfühlig singer-songwritert Chris Staples auf seinem neuen Album „Cloud Souvenirs“, man muss es schon laut aufdrehen, um alle Facetten zu erfassen, und Facetten hat es einige. Wenn er sich nicht einfach wie, sagen wir mal, Nick Drake auf der Akustikgitarre begleitet, erinnern manche ausformulierte Stücke an schaumgebremste Americana oder die Fleetwood Mac der Siebziger. Staples hat keine Eile, und es tut gut, seiner entschleunigten Vorgehensweise ausgesetzt zu sein. Der Mann scheint einiges erlebt zu haben und gebärt sich angenehm reflektiert.

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Therapy? – Hard Cold Fire – Marshall Records 2023

Von Guido Dörheide (22.05.2023)

Dass ich wegen Therapy?s „Potato Junkie“ einst zum Fan der Literatur von James Joyce wurde, ist dank Onkel Rosebuds neuester Veröffentlichung auf diesen Seiten hinlänglich bekannt. Seinerzeit lebte ich im WRG, in der Döringstraße, in einer WG mit meinem unglaublich einzigartigen, warmherzigen und witzigen Mitbewohner Jens. Jens hörte gerne Stromgitarrenmusik der leicht härteren Sorte und immer wieder kam es vor, dass ich fragte, was er da höre, da es schön klänge, und immer wieder antwortete er mit „Therapy?“. Also ging ich nach kurzer Zeit dazu über, jedesmal, wenn ich schöne härtere Gitarren-Indie-Musik aus seinem Zimmer hörte, einfach zu fragen „Therapy?“, um sogleich ein „Jep“ zu ernten.

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Ghost – Phantomime – Loma Vista/Reaktor Recordings/Universal 2023

Von Guido Dörheide (22.05.2023)

Kann man zu „Jesus He Knows Me“ headbangen? Abgesehen davon, dass Phil Collins eh eins meiner Guilty Pleasures ist (obwohl ich nach „Invisible Touch“ bei Genesis ausgestiegen bin und danach nur noch Collins solo gehört habe, jahaaaa! Minutenlange Schlagzeugsoli als Konzerteinstieg… äääh, Moment, ich schweife ab) – ja verdammt, das geht voll gut! Ghost (ein weiteres meiner Guilty Pleasures) haben das Stück auf ihrer neuen EP „Phantomime“ (so habe ich das als Kind auch versehentlich immer geschrieben) gecovert, und obwohl sie es sehr nah am Original beließen, geht es direkt in die Nackenmuskulatur (äääh, ich glaube, wegen eben dieses Effektes überlässt Phil C. das Schlagzeugspielen inzwischen seinem Sohn?).

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Tamikrest – Taksera – Glitterbeat 2015

Von Matthias Bosenick (22.05.2023)

Endlich erfährt die streng limitierte Liveplatte von Tamikrest eine Wiederveröffentlichung! „Taksera“ erschien bereits 2015 auf LP und 2017 auf CD und war nur am Record Store Day sowie bei Konzerten der Tuareg-Wüstenblueser aus Mali zu haben – was selbst beim Auftritt im Hallenbad Wolfsburg nicht mehr der Fall war. Die Tanzparty „Taksera“ deckt das Repertoire der ersten drei Studioalben ab und dokumentiert die ausufernde Spielfreude der Band, die sich zwar grundsätzlich an ihre eigenen Vorgaben hält, aber sich gern selbst in Trance spielt und die Stücke so noch hypnotischer ausufern lässt. Es bleibt jedoch lediglich eine konservierte Erinnerung daran, was für eine mitreißende Liveband Tamikrest sind – das zu erleben sollte Ziel sein, „Taksera“ ist ein Kompromiss, ein Dokument. Ein gutes.

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