Zwei zu Eins – Natja Brunckhorst – D 2024

Von Matthias Bosenick (01.08.2024)

Einem Ausländer ist es trotz allen Nachlesens und Zeitzeugenzuhörens höchstwahrscheinlich nicht umfassend möglich, das Gefühl nachzuempfinden, das sich bei der Bevölkerung der DDR zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung einstellte, damals, im Hitzesommer 1990. Träume, Zukünfte, Ideologien, Ängste, Gewissheiten stehen infrage oder sind gleich komplett aufgehoben, ein plötzliches Leben zwischen Reisefreiheit und Arbeitslosigkeit macht es nahezu unmöglich, Pläne zu fassen. Fatalismus hilft als Motivator, wenn man plötzlich die Chance hat, der Vernichtung überlassenes DDR-Geld in die Finger zu bekommen und damit den Staaten ein Schnippchen zu schlagen. Aus der wahren Geschichte macht Natja Brunckhorst die Dramödie „Zwei zu Eins“ mit angemessen gebremstem Tempo, tollen Darstellern, guten Dialogen, schönen Bildern und einer überflüssigen Dreiecksgeschichte.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Alles nur geklaut.

Von Onkel Rosebud

Ich weiß noch, als meine Freundin zum ersten Mal den Song und vor allem das Intro zu „Bitter Sweet Symphony“ von Richard Ashcroft hörte, stellte sie das Rotweinglas ab und ihre Augen schauten mich schräg-fragend an: „Häh, woher kenne ich das?“ Daraufhin erklärte ich ihr, dass der knuddelige Sänger der Formation The Verve nach der ersten Auflösung in einer Rolling-Stones-Coverband jobbte und dabei wohl das Streichersample in der Orchesterversion von „The Last Time“ entdeckt hat. Der Rechtsstreit mit Allen Klein – ehemaliger Manager der Rolling Stones und Rechteinhaber des Songs – dauerte mehr als 20 Jahre und dabei ging es um mehrere Millionen Dollar Veröffentlichungstantiemen.

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Powerwolf – Wake Up The Wicked – Napalm Records 2024

Von Guido Dörheide (30.07.2024)

Nachricht von Christof. Der Freund, der Kollege, die Legende, der Checker schreibt: „Hi Guido, heute ist die neue Powerwolf-CD rausgekommen.“ Und was soll ich sagen, bei mir in der Küche lief sie da schon. Es ist nun zwei Jahre her, dass Christof und ich uns Iron Maiden, Airbourne und eben die besagten Powerwolf im Frankfurter Waldstadion angesehen haben (nochmal danke, Christof, für das tolle Weihnachtsgeschenk mitten im Juli) und seitdem Fans der fünf liebenswerten Rumänen aus dem Saarland sind. Nun frägte ich mich aber, ob eine Band, die ich aus einem Konzert in liebenswerter Erinnerung habe und deren Werk ich mir erst im Nachhinein erschlossen habe, mich auch mit neuem, mir bis dahin unbekannten Studiomaterial zu begeistern vermag.

[Hinweis: Dies ist Beitrag Nummer 1500 auf KrautNick seit der Umstellung auf WordPress!]

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Kleo 2 – Netflix/Zeitsprung Pictures 2024

Von Matthias Bosenick (30.07.2024)

Mist, man hat uns für Staffel Eins der Netflix-Serie „Kleo“ überall gelobt und uns sogar mit Preisen ausgezeichnet, wir müssen jetzt schnell eine zweite Staffel machen. Was war doch gleich die Ausgangslage? Ah, Chaos! Wischen wir weg, weil wir ja die erfolgreichen Konstellationen reproduzieren müssen. Ach kommt, doch nicht, wir machen es dann anders, mehr Spionage, mehr Drama, bisschen Herzschmerz. Den Humor schieben wir dafür an die Seite, die spannenden Figuren gestalten wir als Abziehbilder und eine Dramaturgie brauchen wir nicht, wir haben ja schließlich Action, Tarantino-Zitate, grandiose Film-Ästhetik, einen authentischen Soundtrack und ganz viele Plot-Twists, mit denen garantiert keiner rechnet! Das muss doch reichen, oder? Spoiler: nein.

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Helmut Exner – Tammo. Wunderkind wider Willen – EPV-Verlag 2024

Von Guido Dörheide (29.07.2024)

Nur ein Jahr nach „Rio und die mörderischen Bilder“ legt Helmut Exner mit „Tammo. Wunderkind wider Willen“ den 21. Band seiner Lilly-Höschen-Reihe vor. Die Heldin (immer noch so ausgesprochen, wie man es schreibt, nicht wie Unterbüx), eine pensionierte Lehrerin aus Lautenthal, dürfte inzwischen 91 Jahre alt sein und wohnt immer noch mit ihrer einige Jahre jüngeren Freundin Gretel Kuhfuß zusammen. Zusammen sind sie quasi sowas wie die Miss Marple und der Doktor Watson des Oberharzes und helfen der Polizei (Hauptkommissar Rabe – „Specht, wenn ich bitten darf, äh Quatsch, jetzt vergesse ich schon meinen eigenen Namen, Sperling heiße ich.“ – und seine zahlreichen Mitstreiterinnen mit den ebenfalls klangvollen Namen Huhn, Frosch usw.) bei der Aufklärung von Verbrechen, in die sie, oft durch unbeabsichtigtes Tun von Lillys ehemaligen Schüler:innen, stets zufällig hineinschlittern.

So auch hier: Tammo Schuh, ein hochintelligenter Junge aus Clausthal-Zellerfeld, schreibt ein Referat über das Schicksal jüdischer Familien während des 3. Reichs im Harz und wird dadurch in Geschehnisse verstrickt, die ihn noch bis ins Erwachsenenalter verfolgen und sein Leben dadurch mit dem von Frau Höschen und Frau Kuhfuß verwickeln.

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Yomi Ship – Feast Eternal – Yomi Ship 2024

Von Matthias Bosenick (29.07.2024)

So’ne E-Gitarre kann man auch so mit Effekt versehen, dass auf ihr Hall liegt, nicht Verzerrung, so’n Büschen Surf-Twang-mäßig, und wenn man um einen solcherart gespielten Sound herum polyrhythmischen Instrumental-Prog-Space-Psychedelik-Rock macht, bekommt auch diese Schublade nach all den Jahren nochmal einen neuen Knauf. Den Verzerrer treten Yomi Ship aus Perth nur ganz ganz selten mal durch, zum stark gebremsten Austoben findet das Trio andere Ventile – kuriose Strukturen, orientalische oder fernöstliche Melodien, Frickleln, Dudeln und Gniedeln. Damit lädt die Band zu einer entspannten Reise durch ein verschachteltes Bilderbuch ein, in dem das innere Auge blättert, während das Ohr das Debüt-Album „Feast Eternal“ genießt.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Dōmo arigatō, Entschuldigung, Mr. Roboto!

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin kann nicht genug von einem Song bekommen, in dessen Refrain eine KI „Danke“ auf Japanisch sagt. Bin ich Schallplattenunterhalter auf einer Tanzveranstaltung und sie will ihre eh schon tolle Partyzeit verdoppeln, dann schnippt sie mir von der Platte zu und buchstabiert flüsternd: Ich bin Kilroy. Da ich so ziemlich alles für sie machen würde, lege ich dann das eingängige Stück „Mr. Roboto“ auf. Und wundere mich immer, ob sie verstanden hat, worum es in der Hitsingle der Formation Styx (Platz 3 der Billboard-Charts 1983, damals musste man dafür über eine Millionen Singles verkaufen) geht.

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London Underground – Live At The 19th Dream Of Dr. Sardonicus Festival 2023 – Frg Records/Fruits de Mer Records 2024

Von Matthias Bosenick (24.07.2024)

Wie, das Konzert fand erst im vergangenen Jahr statt? Der Mitschnitt „Live At The 19th Dream Of Dr. Sardonicus Festival 2023“ katapultiert die Hörenden sofort und stante pede und direkt in die Sechziger, als bewusstseinserweiternde Substanzen die Musizierenden dazu verleiteten, von vertrauten Pfaden abzuweichen, übliche Songstrukturen weit hinter sich zu lassen, zu gniedeln, was das Kraut hält, spacige Tasteninstrumente aus der Schmiede eines Laurens Hammond in den Musikfluss einzubauen und auf Gesang gleich mal ganz zu verzichten, man hat Besseres zu tun. So verfahren die italienischen Psychedeliker mit dem irreführenden Namen London Underground seit 1998, das vorliegende Live-Dokument ist das erst fünfte Album der Band. Ausflüge in Funk und Jazz Fusion Rock sowie Coverstücke gibt’s obendrauf, den „Midnight Cowboy“ von John Barry etwa kennen Fans von Faith No More bereits in anderer Version. Das englische Label Fruits de Mer Records bringt nun sechs der zehn Tracks auf Vinyl heraus, das volle Konzert gibt’s digital und als CDr.

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Alexander Kühne (Hg.) – Der Jugendclub Extrem – Verlag Kettler 2024

Von Matthias Bosenick (22.07.2024)

Eigentlich vielmehr ein bebilderter Erinnerungsband für Dabeigewesene, das Dokument eines eskapistischen Abenteuers, ist „Der Jugendclub Extrem“ vielmehr zu einem Geschichtsbuch geworden, an dem auch Interessierte Freude und Erkenntnisgewinn ziehen können, die es nicht zwischen 1984 und 1994 nach Lugau in der Niederlausitz schafften – geschweige denn, in der DDR aufwuchsen und somit überhaupt Gelegenheit für den Clubbesuch hatten. Grundlage für dieses dicke Buch bilden Fotos, die Henri Manigk und Frank Kiesewetter vom Clubleben machten, ergänzend sammelte Herausgeber und Clubmitgründer Alexander Kühne Berichte und Interviews von Machern, Muszierenden und Gästen des Indie-Clubs mit seiner nicht nur für DDR-Verhältnisse ungewöhnlichen Geschichte.

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