Matthias Bosenick (21.06.2021)
Abgang Bert Brac, Auftritt Phil Moss: Nach dem nicht eben harmonischen Rausschmiss Carsten Bohns als hauptsächlicher Hörspielmusikkomponist des Europa-Labels engagierte jenes unter anderem Manuel Backert als Nachfolger. Gegen die hochgradig guten Fusion-, Prog- und Artrockstücke Bohns konnte er nur verlieren, und Backert versuchte auch erst gar nicht, das Erbe anzutreten, sondern schlug neue Saiten an, nämlich fast gar keine: Seine Tracks sind vornehmlich synthetisch und im Stil der Zeit, heißt für die zweite Hälfte der Achtziger: cheesy Gebrauchsmusik. Das leicht Trashige hatten auch die Hörspiele dieser Zeit, die man indes auch wegen Bohns unschönem Weggang und der deutlich schlechteren neuen Musik nicht mehr so feierte, insofern ist das ein konsequenter Schulterschluss, und dass man aus heutiger Sicht sogar diese Hörspiele eher goutiert als die aktuellen, begünstigt den Erwerb dieser 40 Tracks auf Schallplatte: Nostalgie schlägt Qualität.
Es ist ja nicht so, dass Backert nix kann, im Gegenteil. Man hört seinen Einminütern seine kompositorischen Fähigkeiten an, er weiß um Arrangement und Harmonie, um musikalisch transportierte Emotionen, und er weiß das Beste aus seinen Apparaturen herauszuholen. Und doch, die Trompetenfanfaren sind künstlich, die Streicher sind künstlich, das Glockenspiel ist so klassisch Achtziger wie die Begleitmusik auf einem progressiven Kirchentag, die E-Gitarre gniedelt zum Synthiesound, und bemerkenswert werden seine Stücke wahlweise, wenn man sie mit konkreten Hörspielsituationen verbindet – oder sobald sie den ausgelatschten Pfad verlassen und zeitlich auch weniger einfach zuzuordnen sind. Interessanterweise schließen sich beide Kategorien aus.
Natürlich feiert man „Piper Beta“, das nach Bohns Weggang zum Titeltrack der Drei Fragezeichen wurde und somit automatisch die Verheißung auf ein neues Abenteuer in sich trägt. Da nimmt man das Cheesige bereitwillig in Kauf, auch bei anderen Tracks aus der ???-Zeit. Angenehm sind auch die Stücke, in denen Backert sich an Hollywood-Scores orientiert, solche gruseliger Art zumeist, aber auch mit California-Feeling, also ausreichend nah am Setting der Drei Fragezeichen. So richtig schlimm wiederum sind die an billige Popsongs angelehnten Lieder, die Ilka Antippa singt, insbesondere das „Barbie, Thema 2, voc.“.
Anders als Bohn komponierte Backert keine Stücke, die über längere Spielzeit funktionieren; Bohns Tracks verloren selten an Intensität, wenn er sie länger spielte, weil er sie mit Tiefe versetzte, mit Ideen anreicherte. Backert weiß um die reine Zweckmäßigkeit seiner Kompositionen und lässt sie kaum länger als eine Minute, nie länger als 1:28 Minuten dauern. Sie begleiten zwar niedrigschwellig Emotionen, Atmosphären bauen sich so aber nicht auf, die erscheinen im Idealfalle allein im Kontext mit der Erinnerung an die Geschichten, während derer man die Stücke hörte. Das gelingt Bohn indes ebenfalls, aber zusätzlich.
Anders als Bohn liegen Backert seine Originalspuren vor, die er für diese LP, MC oder den Download, also nicht für CD, restaurierte und aufpolierte (und nicht jedes Bandschwanken auszubügeln in der Lage war, das ist sympathisch). Bei einigen Tracks mit solider Grundstruktur hätte man sich eine Neuvertonung gewünscht; indes nicht von ihm, die Neuversionen, die Backert auf anderen Soloalben unterbringt, sind wesentlich schlimmer als die Originale. Er spielt in einer Partykapelle, gibt er an, das hinterlässt sicherlich so Spuren. Wenn schon Neubearbeitungen, dann sollte er es – wieder analog Bohn – beispielsweise von versierten Clubmusikproduzenten vornehmen lassen; das TapeDeckProject mit DJs wie Tomcraft, TobiTob, Phil Fuldner und Kid Alex leistete da grandiose Arbeit.
Um das Ganze kompliziert zu machen, veröffentlichte nicht nur Backert unter dem Alias Phil Moss bei Europa die Musik, ebensowenig war Bohn der alleinige Bert Brac. Und ebensowenig waren dies die einzigen Sammelpseudonyme für die Beitragenden. Parallel zu Backert bringt auch Detlef Kuntke seine Phil-Moss-Stücke auf den Markt, allerdings ausschließlich als unsortierten Download oder Stream. Am Track „Gothic Novel“ auf „Moss Wanted“ ist er unter seinem bürgerlichen Namen Detlef Oels beteiligt, puh. Und: Das Cover zum Album gestaltete Andreas Ruch, der wohl nicht zufällig die Initialen von Aiga Rasch trägt und neuerdings beim Kosmos-Verlag gemeinsam mit Sylvia Christoph Raschs Stil für die ikonischen Drei-Fragezeichen-Titelbilder kopiert.
Erst nach Phil Moss begann Europa übrigens, die Komponisten klar zu nennen, darunter Jens-Peter Morgenstern und Jan-Friedrich Conrad. Trotz aller Qualität bleibt Bohn unerreicht, und das ist kein nostalgischer Blick. Leider. Die neu eingespielten „Brandnew Oldies“ von Carsten Bohn’s Bandstand sind bis auf den letzten Teil uneingeschränkt empfehlenswert, für „Moss Wanted“ gilt die Empfehlung vorrangig aus nostalgischen Gründen. Und es gibt das Gerücht, Bohn habe seine Originalaufnahmen von Europa zurückgekauft – dabei wäre es deutlich spannender, wenn die alten Hörspiele mit seiner Musik wieder zugänglich gemacht würden, als lediglich seine Musik. Abwarten.
[30.06.2021] Edit: Aus der Leserschaft erreichten mich korrigierende Informationen, die ich hier aufliste:
– 13 von 40 Stücke sind mit Gitarre versetzt, also ein Drittel, also nicht „fast gar keine“
– „Im Gegensatz zu Bohn hat Backert keinen Rechtsstreit mit MILLER, BMG und SONY geführt und kann seine Musik ohne Probleme veröffentlichen. Die Bänder liegen Bohn vor (sogar mehrspurig)“
– „Die Bänder musste Bohn auch nicht zurückkaufen. Die hat er schon damals kopiert.“
– „Backert wie Kuntke hatten den Auftrag, Einminüter zu produzieren, und genau das wurde abgeliefert.“
Danke den aufmerksamen Hinweisgebern!