Von Matthias Bosenick (16.06.2022)
Es ist bei jedem neuen Album von !!! so, dass man sich nur noch mehr damit arrangieren muss, dass es nicht mehr so klingt wie zu Zeiten des selbstbetitelten Debüts bis zu „Myth Takes“ 2007: Von der einstigen Tanzkapelle mit handgespieltem progressivem und drogeninduziertem Discosound ist so gut wie nichts mehr übrig, die Band ist längst synthetisch geworden und passte sich in Sound und Melodie streckenweise sehr dem Zeitgeist an. Auf „Let It Be Blue“, Album Nummer neun, klingt nichts nach melancholischen Beatles, dafür aber nach zackiger Housemusik und nach Latin-Pop. Es wird sicher wieder eine Weile dauern, bis man hier als Altfan seine Perlen findet. Die gibt es durchaus, es sind grandiose Songs enthalten, nur ein durchgehend überzeugendes Album bekommt man aus Sicht von vor 20 Jahren von !!! leider schon lang nicht mehr.
Dabei beginnt „Let It Be Blue“ angenehm irreführend: In „Normal People“ singt Nic Offer zur Akustikgitarre; es ist ein Fest, dem Mann beim Anwenden seiner Charakterstimme zuzuhören. Anschließend wird es gleich synthetisch, eckig, zackig, clubby, während schon „Storm Around The World“ halbwegs den alten Geist in sich trägt, wenn auch glatter instrumentiert. Und dann kommt „Un Puente“, das komplett klingt wie die Anbiederung an geschmacksverirrte Jugendliche, mit von Angelica Garcia gesungenem Autotunerefrain und Pseudo-Latino-Groove. Genauer betrachtet fällt indes auf, dass !!! mit den Trash-Parametern brechen und das Stück zu etwas Eigenem machen, ihm etwa radiountaugliche Strophen geben, was zunächst aber im Vergleich zum Refrain untergeht. Dennoch, der Refrain schockt, und wenn man ihn nach einigen Durchläufen plötzlich doch nicht mehr abwarten kann, fühlt man sich so schmutzig, wie man Unfallgaffer findet.
Garcias Auftritt wiederum folgt einer neueren Tradition von !!!, nämlich, dass Nic Offer seinen Platz am Mikro immer wieder Frauen freiräumt. Meah Pace tritt hier auf einigen Tracks in Erscheinung, man kennt sie bereits unter anderem von „This Is The Door“ vom vorherigen Album „Wallop“; auch Cameron Mesirow und Guadaloupe Cohen waren schon häufiger bei !!! zu hören, Diane Badíè und Maria Uzor sind neu an Bord. Offer selbst verzerrt seine Stimme schon länger gelegentlich ins zu Tiefe oder Verzerrte, was schade ist, weil sie natürlich sehr angenehm klingt, aber schön ist es, ihn im Wechsel mit weiblichem Gesang kredenzt zu bekommen, das bereichert das Panorama ungemein.
Hat man „Un Puente“ erst hinter sich gelassen und holt Luft, überhört man beinahe, dass die folgenden Tracks allesamt eigentlich ganz gut sind. Sicherlich nicht mehr wie früher, aber dann reift man eben mit und lässt sich darauf ein, dass !!! auch synthetisch Wohlklang zuwege bringen. Der Drumcomputer auf „Panama Canal“ erinnert wohlig an Neunziger-Breakbeat-Hits wie von Music Instructor, einmal mehr betüpfelt mit Frauenstimme. Und dann kommt der nächste Knick: „Man On The Moon“ heißt nicht nur wie ein alter Hit von R.E.M., es ist genau der Song. Offer rappt die Strophen und lässt einen Soulchor den Refrain singen, mit zackigem Synthetik-Funk mit der alten Chic-Gitarre, die man noch vor 20 Jahren bei !!! so liebte, als Hintergrund. Okay, das klingt nun voll nach geplanter Radiorotation. Was das soll, das fragt man sich. Dann folgt das Titellied und kopiert in den Strophen den Sound des Achtziger-Charts-Funk, einmal mehr komplett synthetisch – und ebenso einmal mehr mit einem catchy Refrain, dem man sich dann doch nicht entziehen kann.
Und dann kommt plötzlich der Track mit dem sowieso grandiosen Titel „It’s Grey, It’s Grey (It’s Grey)“, der fast schon wie ein Kinderlied fröhlich und gutgelaunt sämtliche Vorbehalte hinfortwischt. Hier wie auch an „Man On The Moon“ ist übrigens Justin van der Volgen am Mix beteiligt, der zu Beginn Mitglied bei !!! und dem Bruderprojekt Out Hud war. Zum Abschluss bestätigen !!! mit dem Songtitel den Eindruck, den man von ihrer Musik längst hat: „This Is Pop 2“ heißt der Rausschmeißer unmissverständlich, und erstaunlicherweise trifft das mit seinen dunkel pulsierenden Synthies am wenigsten zu – so etwas wäre maximal in den frühen Achtzigern noch als Pop durchgegangen, aber was Wunder, heißt doch eine Single von XTC aus dem Jahr 1978 „This Is Pop?“. Heißt, auch wenn der Discofunk auch hier nicht mehr greift, ist die eklektisch-elektrische Hymne eine Versöhnung und eines von doch mehr Herzensstücken des Albums, als man zunächst glaubte.
Dennoch, mit der Verschiebung vom Handgespielten zum Synthetischen sanken die Verkaufszahlen, obwohl die Musik massentauglicher wurde. Schade, dass ihnen das nicht zu denken gibt. Sollten sie indes tatsächlich einer künstlerischen Vision folgen, muss man das wohl so hinnehmen. Schaut man sich indes bei Youtube diverse jüngere Liveauftritte von !!! an, erfährt man plötzlich, wie die Studiotracks auch gemeint gewesen sein können: als Grundlage für eine kreativ umgedeutete und nach wie vor schweißtreibende Partyexplosion. Passend zum Titel gibt’s das Album freundlicherweise übrigens auf blauem Vinyl.