Spezial: Jive Music aus Wien, Teil 3

Von Matthias Bosenick (14.06.2022)

Zwei neue CDs schickt Rens Newland aus dem Repertoire seines Jive-Labels: „Koyo“, das zweite Album des musikalisch grenzenlosen Jazz-Sextetts Barakah, sowie „Wie das Leben so spielt“, ein Corona-Jazz-Album des Thomas Kramer Hammond Trios.

Barakah – Koyo

„Yes, that’s Jazz“, um da mal einige andere Österreicher zu zitieren: Die Band spielt dicht und flott mit dem Blasinstrumentarium und lässt allen anderen Musikern Raum zur freien Entfaltung. Sehr frei bisweilen, es ist ein Fest, dem Ensemble beim wilden Hakenschlagen zuzuhören. Was hier geht, geht auf keine grüne Kuhhaut, und es lässt sich auch nicht von den noch so weiten Grenzen des freien Jazz einzäunen. Da dröhnt ein elektronischer Klangerzeuger, da greifen heavy Riffs ins Geschehen ein, da bekommt eine Flamencogitarre allen Platz der Welt, da klimpert ein Klavier, da groovt es plötzlich wie in Ipanema, und wie geil sind eigentlich Saxophonsoli, und kennt man dieses Bienenschwarmartige Bläserspiel nicht auch vom Funk, und ist das Stück dort nicht eigentlich rein von der Komplexität der Komposition und vom Arrangement her irgendwie Progrock?

Diese Weltläufigkeit steckt bereits im Titel, aber das weiß man nur, wenn man die Info liest: Bei „Koyo“ handelt es sich um eine nordafrikanische Mythengestalt, die ihr Leben aufgibt, um durch die Welt zu reisen und Grenzen zu überwinden. Ebenso ergeht es den sechs Musikern, die ihrerseits aus allen Weltgegenden zusammenfanden – und in allen Weltgegenden als Barakah musizieren. So war das Sextett vor zwei Jahren in Marokko unterwegs, da nimmt es nicht Wunder, dass es von dort die Gnawa-Musik für den eigenen Sound mitnahm. Man muss halt nur offen genug sein.

Wichtig bei diesem Konglomerat ist, dass die Musiker trotz aller Freude am Experiment und am Freien auch das konzentrierte wie konzertierte Zusammenspiel beherrschen. „Koyo“ ist kein reines wildes Getröte, es hat auch Kontur und Fluss, es hat Rock’n’Roll und es hat Bigbandsound. Gründer dieses Sextetts waren Saxophonist und Flötist Anton Prettler (Teil des Hip-Hop-Funk-Projektes Soia) [*] und Schlagzeuger Sherif Abdalla, die weiteren Mitmusiker sind Posaunist Jakob Mayr (Listen To Leena, Mojo Incorporation und The Reef Formation), Keyboarder Paulo Correa, Gitarrist Martin Demmer und Bassist Thomas Milacher (Krayne). Übrigens beteiligte sich der Labelchef Rens Newland an der Covergestaltung.

Thomas Kramer Hammond Trio – Wie das Leben so spielt

Ja, wie spielt es denn, das Leben, Herr Kramer? Beim Lesen solcher Tracktitel wie „Choro Pandemia“ oder „Lockdown Minor Blues“ wird jedenfalls klar, worauf der Albumtitel anspielt: Corona, natürlich. Dieses Virus durchkreuzt seit 2020 die Pläne sämtlicher Künstler, Gastronomen und Veranstalter, und nun gehört Thomas Kramer gottlob zu denen, die aus der Not eine Tugend machen: Er schart einfach mal zwei seiner Lieblingsmusiker um sich und nimmt mit ihnen dieses Album auf. Die Hammond B3 bedient der Wiener Pianist Erwin Schmidt, das Schlagzeug spielt Heimo Wiederhofer, beide bereits seit Jahren mit Kramer verbunden sowie sowieso in der Wiener Jazzszene verankert. Kramer, der Jazzgitarrist, komponierte nun eigens die vorliegenden zehn Coronastücke, wie das Leben halt so spielt.

Und wie das Trio so spielt: Es jazzt chillig vor sich hin, die B3 setzt Akzente, die Stücke sind gediegen bis beswingt, und es mag merkwürdig erscheinen, aber so, wie die Gitarre und die Orgel klingen, erinnert die Musik streckenweise an eine Mischung aus Bob Dylan und Helge Schneider. Bei allem fröhlichen Gnatz auf Corona, wie er in den Titeln mitschwingt, nicht mit Schneiders Humor, sondern mit seiner Spielfreude, addiert mit Dylans reifer Sechziger-Relaxtheit. Die drei Musiker greifen auf ausreichend gemeinsame Zeiten zurück und spielen diese Stücke entsprechend rücksichtsvoll ein: Es ist ein Miteinander, in dem sich die Instrumente gleichzeitig entfalten wie gegenseitig Raum geben sowie miteinander den Schönklang feiern. Wie das Leben so spielt: Da ist so ein Lockdown bei einigen Leuten eben doch für etwas gut.

[Edit 02.09.2022] Anton Prettler von Barakah informiert mich freundlichst, dass er nie fester Teil des Projektes Soia war, sondern lediglich für einen Song mit der Gruppe zusammenarbeitete.