Jack Dangers – Lucky Bag – Flexidisc 2023

Von Matthias Bosenick (28.03.2023)

Diese Compilation ist unhörbar. Zumindest die Tracks der Doppel-CD, die auf dem beigelegten USB-Stick tragen deutlich erkennbare Züge von dem, was man an Meat Beat Manifesto so mag, aber das Haupt-Solo-Album von Bandkopf Jack Dangers ist mitnichten ein „Lucky Bag“, auch wenn er Ohrenstöpsel und Bonbons in die Schachtel legt, sondern es handelt sich vielmehr um „Sketches Of Pain“, wie der Künstler auf eine beigefügte Karte drucken ließ. John Stephen Corrigan plündert seine Datenbanken und fegt Aufnahmen aus den Jahren 1982 bis 2022 zusammen, die das Attribut „Noise“ komplett erfüllen: Nahezu frei von Rhythmus lärmen die Stücke vor sich hin. Und nerven. Geräusche, die man nicht mal als Avantgarde oder Experiment goutieren mag, die allerhöchstens als Ausgangslage für ausformulierte Tracks herhalten könnten, aber nicht als Material eines Doppelalbums. Immerhin die wav-Dateien auf dem Stick lohnen sich. Und die Schachtel ist hübsch.

Immerhin: Los geht es mit einer verfremdeten Gitarre, die man als solche sogar heraushört. Ebenso, dass es sich um eine sehr alte Aufnahme handelt, die Box ist chronologisch sortiert: „Guitarworks“, so verrät es bereits der Titel, erinnert im Sound an frühe Demos von Matt Johnson und The The. Und damit kann man eigentlich auch schon wieder aufhören, der Rest ist Lärm. Dangers prokelt an Gerätschaften herum und schneidet mit, was diese an Geräusch erzeugen. Das ist nicht harmonisch, nicht rhythmisch, nicht schön, nicht experimentell, nicht Dark Ambient, nicht auf die klassisch-europäische Weise spannendes Industrial, nicht mal irgendwie besonders, einfach nur in den Ohren schmerzendes Geräusch. Macht keinen Spaß.

Sogar dann nicht, wenn man erfährt, dass einige der Tracks mitnichten unveröffentlicht, sondern bereits auf Alben von Meat Beat Manifesto zu haben sind: „God O.D. Pt.4“ 1989 auf dem Quasi-Debüt „Storm The Studio“, „Kick That Man“ 1990 auf dem Nachfolger „Armed Audio Warfare“, „Rejector“ 2018 auf „Impossible Star“. Im Rahmen eines regulären Albums können solche Experimente durchaus funktionieren und etwas Sinnvolles zur Narration beitragen, als Dauerschleife sind sie jedoch unhörbar. Schön immerhin, dass mit „Strange Case“ der Track „A Strange Case Of Instrumentation“ von der nur an Teilnehmer der gleichnamigen Veranstaltung ausgegebenen „Brainwaves“-Compilation eine bereits veröffentlichte Rarität auf der Compilation enthalten ist. Und „Guitar Works“ gab es, ebenso wie die einstündige und ebenfalls eher noisige „Modulisme Session #50“ des USB-Sticks, bereits als Download zu haben.

Das Willkürliche der Musik schlägt sich auch in den Tracktiteln nieder: „Data#1“, „Data#2“, dann „a.1“ bis „g.1“, sehr programmatisch „Noise Test“, auch „Unnamed Signal 4“. Anders die als „Tape Stash“ gesammelten wav-Dateien der Jahre 1998 bis 2018 auf dem merkwürdigen USB-Stick, dessen Handhabung zunächst verwirrt: Man muss die Kreditkarte an einer Stelle umklappen, dann ploppt ein Zugang zum Speicher auf, den man in USB-Slots stecken und auf die Daten – darunter auch zahllose Scans von Polaroids – zugreifen kann. Diese Tracks bedienen das repetetiv Rhythmische, Dubbige, von Big Beat über Acid House und Industrial bis Jazz, was man an Meat Beat Manifesto so liebt. Sie hätten es viel mehr verdient, als CD gebrannt zu sein, als die anstrengende Noise Pollution.

Es gibt offenbar Gründe, warum Dangers die Box auf der Bandcamp-Seite zwar verkauft, die Tracks aber weder zum Stream noch zum Download anbietet. Immerhin gibt es fröhliche Goodies in der Pappschachtel, das ist süß, was die beiden Bonbons, und selbstironisch, was die Ohrstöpsel betrifft, wenngleich man die CDs ja auch einfach leiser oder gleich gar nicht abspielen kann. Je nach Limitierung bekommt man überdies noch andere Gutsle kredenzt: ein signiertes Polaroid – und ein Stück Nierenstein des Künstlers. Die Box ist ein Sammlerobjekt mithin, ein weiteres auf der langen Liste der Sammlerobjekte, sofern man das Bestreben hat, alles von Jack Dangers zu besitzen, also neben seinen Solo-Sachen und Meat Beat Manifesto noch Perennial Divide, Space Children und Tino. Selbst die aktuellen Alben sind bisweilen schwer zu haben: So spielte Dangers als Meat Beat Manifesto parallel zu The Young Gods „In C“ von Terry Riley neu ein – aber die LP ist längst vergriffen.