Von Matthias Bosenick (26.06.2023)
De Staat sind wie ein unerträglicher Onkel auf der Familienfeier, der einen trotzdem beeindruckt, wie ein Film über eine unsympathische Figur, der einen nicht loslässt, wie der Prügeltyp auf dem Schulhof, mit dem man zur eigenen Verwunderung Interessen teilt und sich mit ihm anfreundet: Neben dem Übersong „Kitty Kitty“ und dem großartigen Circle-Pit-Anheizer „Witch Doctor“ scheinen sämtliche anderen Songs der Niederländer abzustinken, und trotzdem kann man nicht weghören. Viel liegt an der Ausstrahlung des Sängers Torre Florim, der einen mit seinem manischen Gehabe in die Abhängigkeit treibt, denn die Musik ist, freundlich gesagt, sperrig – für reinen Pop zu experimentell, für Rock zu artifiziell, sehr viel Plastik, sehr viel Plakativität, aber verdammt noch eins, spätestens, wenn man sie einmal live sah (Guido Dörheide und der Schreiber dieser Zeilen berichteten), ist man verfallen. Das aus drei erweiterten EPs bestehende Quasi-Album „Red/Yellow/Blue“ erfüllt alle Anforderungen und Ablehnungen, aber man kann einfach nicht weghören. „Who’s Gonna Be The GOAT?“ Klar: De Staat!
Eigentlich hofft man, dass die Songs von De Staat genau den Mix aus eben „Kitty Kitty“ und „Witch Doctor“ darstellen, mit einigen Überraschungen als Krönchen. Das Gute ist, dass De Staat mit „Red/Yellow/Blue“ diesen Aspekt sowohl erfüllen als auch nicht erfüllen: Man bekommt, was man erhofft, und man bekommt wie befürchtet, was man nicht mag, wo man eher weghören möchte, wo man sich zum Konsum gezwungen fühlt, wenn man die Anteile haben möchte, die einem gefallen, und auch das ist eigentlich gut, weil man sich dann tatsächlich mit der kompletten Musik auseinandersetzt, die De Staat so zusammentragen, und die erfüllt nicht selten, wovon die Einstürzenden Neubauten einst sangen: Hören mit Schmerzen. Fremdscham: Machen die das gerade wirklich? Kindermelodien? Kindergesang?! Kindermusik, wenn man so will? Ja, machen sie, betten aber alles in etwas ein, das nicht nur Kindern den Zugang erschwert. Also ran an die drei EPs, es ist wie mit Oliven: Das muss man mögen, das braucht seine Zeit, da muss man sich eben zwingen.
De Staat unterteilen ihre 15 neuen Songs in drei Abschnitte, dem Titel gemäß eben „Red“, „Yellow“ und „Blue“, und gruppieren die Songs in ihrer Ausrichtung grob. Dabei ist „Red“ aggressiv, experimentell, tanzbar, hyperaktiv und hysterisch, „Yellow“ ebenfalls hysterisch, tanzbar und aggressiv, aber poppiger, und „Blue“ dramatisch, poppig, emotional und balladesk. Keine der drei Sequenzen ist rein, es gibt Überschneidungen und uneindeutige Zuordnungen, so dass man etwa auch in „Blue“ von etwas Härte überrumpelt wird, und auch das ist gut so.
Das Zackige trägt die Musik von De Staat seit jeher in sich, eine Art Funk, nur künstlicher, wie eine wildgewordene Version der Band Vinyl, der Les Claypool auf deren Album „Fogshack Music Volume Two“ den Indierock-Funk-Bass in den synthetischen Funk einschleuste. Das ist auch im Falle von De Staat keine richtige Rockmusik, die dabei herauskommt, und doch trägt sie Härte und Aggressivität, auch wenn der Anschein von Plastik nicht wegzuwischen ist. Die Härte erzeugen die Niederländer oft mit der Kantigkeit ihrer Beats, mit ihren heftigen, sirenenartigen, kreischigen Synthie-Effekten und der Art, wie Florim die Texte bellt, gleich „Head On The Block“ setzt da entsprechender Akzente. Dabei bleibt es aber nicht: Es gibt nämlich auch Songs, die den Rhythmus von „Despacito“ tragen, wie „Burning The Flag“, oder deren Melodien und Gesangspassagen billig radiotauglich oder gar infantil zu sein scheinen, dass man sich nur verwundert die Ohren reibt, bis man feststellt, dass diese Passagen in unpoppige Experimentalsongs eingebaut sind, etwa „Danger“ und „Bombti“. Und als drittes gibt es sanfte Balladen, in denen die Band plötzlich empathisch wirkt, was ihr steht und was den alten, etwas verloren gegangenen Aspekt des Psychedelischen einmal wieder bedient, wie das versöhnliche „What Goes, Let Go“.
Ja, diese drei EPs haben haufenweise Hits, was auch daran liegt, dass De Staat einige davon bereits als Single unter die Leute warfen und sie den Fans daher bereits vertraut und im Ohr sind. „Who’s Gonna Be The GOAT?“ auf „Yellow“ etwa, das eben tatsächlich die Fortsetzung von „Kitty Kitty“ und „Witch Doctor“ ist, nach der man sich so sehnt; ein Song, in dem Florim den vertrauten Zampano gegen kann, den man an ihm so feiert, den manischen Straßenprediger, den sich selbst überschätzenden Top-Manager mit Hemdsärmeln, den abgehalfterten Motivationstrainer. Dann verwendet er sein Organ wie beim Rap oder Parolen skandierend, beschwörend. Er ist aber noch viel mehr, etwa der charismatische Frontsänger einer dramatischen Popband wie in „Running Backwards Into The Future“ auf „Blue“. Und, auf eben dieser EP, auch mal der Seelentröster, mit „What Goes, Let Go“, oder auch mit dem Ohrwurm „One Day“ auf der „Yellow“, und da offenbart Florim, was für eine wunderschöne Singstimme er hat.
Die Zusammensetzung dieses Albums ist ein Kuriosum: In den zurückliegenden Monaten brachten De Staat immer mal Songs heraus, die sie frei nach De Stijl den drei Primärfarben zuordneten, erst drei Stücke, dann sechs bis sieben, und bündelten diese zunächst digital und alsbald als Tour-CD-Edition mit je drei Songs pro Farbe, bis sie nun weitere Songs aufnahmen und alle drei EPs mit je fünf Stücken im Pappschuber auf CD und 10“ als 51 Minuten langes Album vorlegen, das man bestens einfach so weg hören kann. Am meisten erstaunt dabei wohl, dass dies eigentlich eine erweiterte Singles-Sammlung ist, die trotzdem ein schlüssiges Album mit einer nachvollziehbaren Dramaturgie ergibt.
Fazit des Ganzen muss wohl sein, dass man es bei De Staat mit einem Quintett zu tun hat, das den Indierock mit Plastikfunk korrumpiert – und mit Humor: Die machen das alles mit heiliger Ernsthaftigkeit, können es aber beim besten Willen nicht ernst meinen. Diesen Spagat verdeutlichen allein die gegensätzlichen Bühnenfiguren vom bereits beschriebenen Anzugträger Torre Florim und dem Ponyfrisur und Bart sowie Schlabberklamotten und Angeberkettchen tragenden Keyboarder und Sounddesigner Rocco Hueting. Ja, verdammt: „Red/Yellow/Blue“ ist geil, und wenn man es sich für diese Erkenntnis zehntausend Male anhören muss. Das wird sich dann wenigstens gelohnt haben.