Killing Joke – Honour The Fire – Live Here Now 2023

Von Matthias Bosenick (28.06.2023)

Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem es von Killing Joke mehr Live- als Studio-Alben gibt, sofern nicht bald das zur „Lord Of Chaos EP“ sowie zur bislang nur digital erhältlichen Single „Full Spectrum Dominance“ gehörende und derzeit sogar noch unangekündigte neue Album erscheint. Und weil sich Killing Joke einfach mal an gar keine Regeln halten, eröffnen sie seit einer Weile ihre überlangen und für ihren großen Pool an geilen Songs noch viel zu kurzen Sets mit der Zugabe, dem größten Hit nämlich, den sie je hatten, „Love Like Blood“ aus dem Jahr 1985. Nicht im Set indes sind eben „Lord Of Chaos“ und der Song, nach dem Tour und dieses Album benannt sind: „Honour The Fire“ vom 2010er-Album „Absolute Dissent“. Macht nix, man bekommt hier einen angenehm hörbar produzierten Querschnitt durch das, was die Engländer vom Dub ausgehend ab 1979 aus der Erfindung des Postpunk in den darauffolgenden Jahren so an Proto-Industrial, Semi-Metal und energetischer Rockmusik entwickelten, mit einem Schwerpunkt auf der Anfangszeit.

Das erste Live-Dokument veröffentlichten Killing Joke 1982 als 10“ mit dem Titel „Ha“ und sechs Songs, von denen sie die Hälfte auch in dieses Set fließen ließen. Kein Wunder, decken doch weite Teile des vorliegenden Konzertes die Anfangszeit von Killing Joke ab, von 1979 bis 1982, vor dem ersten Split, als Sänger Jaz Coleman vor einer Apokalypse nach Island floh, um dort festzustellen, dass sie dann doch nicht eintrat, zum Glück für alle, denn danach gab’s nicht nur weitere Bandsplits, sondern auch weitere Alben mit großartigen Songs sowie musikalische Seitenarme, die bis in Klassik und Goa reichen, und eine Reunion in Originalbesetzung im Jahre 2008, die seitdem um ein Vielfaches länger Bestand hat, als sie zu Beginn existierte, und also auch hier zusammenkommt, also Sänger Jaz Coleman, Schlagzeuger „Big“ Paul Ferguson, Kevin „Geordie“ Walker an der den Sound der Band definierenden Gibson-Gitarre und Martin „Youth“ Glover am Rickenbacker-Bass, ergänzt um Keyboarder Roi Robertson, der quasi den Studio-Job von Coleman übernimmt.

Man wundert sich nach den ganzen Ausflügen in härtere Gefilde, dass Killing Joke am 9. April 2022 im Eventim Apollo Hammersmith in London beim letzten Gig der Tour die frühen räudigen Songs ins Zentrum rücken, die teilweise sehr monoton und repetitiv sind, eine Art Proto-Version dessen, was in den USA später als Industrial markiert wurde. Zwar tragen jüngere Songs diese Monotonie immer noch in sich, aber sind die Melodien hymnischer und die Wiederholungen eher hypnotisch als brachial. Bedauerlich ist, dass die Band hier, anders als bei anderen Stationen dieser Tour, den namensgebenden Song sowie die jüngste EP „Lord Of Chaos“ außenvorließen; das Set birgt somit kaum Überraschungen, die man als Allessammler nicht schon als Liveversion im Schrank stehen hat. Wenigstens ist das Dokument musikalisch ohne Beanstandung, der Sound ist vergleichsweise gut. Manchmal ist das Schlagzeug zu weit im Hintergrund, den Dave-Grohl-Moment in „The Death And Ressurrection Show“ verschluckt der Sound etwas, und im hinteren Teil des Sets bekommt Colemans Stimme ein Echo, das etwas verwirrend wirkt, aber gerade zur ursprünglich dubbigen Debütsingle „Turn To Red“ durchaus passt.

Den 15 Studioalben stehen nun nach „Ha“, „BBC In Concert“, „…No Way Out But Forward Go“, „XXV Gathering: Let Us Prey“, „Live At The Forum Part 1“, „Live At The Forum Part 2“, „The Gathering 2008“, „Requiem“, „Live At The Hammersmith Apollo 16.10.2010“, „Down By The River“, „The Great Gathering“, „Laugh At Your Peril (Live In Berlin)“, „Laugh At Your Peril (Live In London)“, „Malicious Damage – Live At The Astoria 12.10.03“ und „Total Invasion – Live In The USA“ und dem vorliegenden 16 Live-Alben gegenüber, Compilations, Demos, Studio-Outtakes, Remixes, EPs und Peel-Sessions nicht mitgezählt. Die „Honour The Fire“-Doppel-CD gibt es streng limitiert auch mit sowohl DVD als auch BluRay, was gut ist, weil man den fünf alten Herren so aufs Fell gucken kann. Von den vier Urmitgliedern ist keiner mehr unter 60, was man ihnen in Bewegung und Erscheinung auch ansieht, die Musik aber kein Bisschen weniger frisch und energetisch erscheinen lässt. Zudem liegt das Augenmerk ohnehin bei Zampano Coleman, der hier immer noch manisch und gesichtsbemalt herumpost, als hätte man Alice Cooper oder Nik Fiend den Humor entfernt. Es gibt nicht viele, die in Würde schwarzbunt bemalt altern können, diese drei sind die Ausnahmen. Und jetzt bitte entweder ein neues Album oder wenigstens „Full Spectrum Dominance“ als 12“!

Die Trackliste:

CD1:

01 Love Like Blood (von „Night Time“, 1985)
02 Wardance (von „Killing Joke“, 1980)
03 The Fall Of Because (von „What’s THIS For…!“, 1981)
04 I Am The Virus (von „Pylon“, 2015)
05 Requiem (von „Killing Joke“, 1980)
06 We Have Joy (von „Revelations“, 1982)
07 Money Is Not Our God (von „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions“, 1990)
08 This World Hell (von „Absolute Dissent“, 2010)
09 Primitive (von „Killing Joke“, 1980)
10 Turn To Red (von „Turn To Red“-7“, 1979)
11 Mathematics Of Chaos (von „Pandemonium“, 1994)

CD2:

12 The Death And Resurrection Show (von „Killing Joke“, 2003)
13 Total Invasion (von „Killing Joke“, 2003)
14 Loose Cannon (von „Killing Joke“, 2003)
15 The Wait (von „Killing Joke“, 1980)
16 Pssyche (B-Seite von „Wardance“-7“, 1980)
Zugabe:
17 The Pandys Are Coming (von „Revelations“, 1982)
18 Change (von „Change“-7“, 1980)
19 Bloodsport (von „Killing Joke“, 1980)
20 Pandemonium (von „Pandemonium“, 1994)