B. Ashra & Ricky Deadking – Live At U-Site Fusion 99/Eisenmangel – Separated Beats 2025

Von Matthias Bosenick (18.03.2025)

2019 verstarb der Schöninger Gitarrist und Elektroniker sowie „Kunstwirkstoff“-Betreiber Alexander Rues alias Eru, und ihm zu Ehren bringt der Berliner Ambient-Electro-Musiker und Labelbetreiber Bert Olke jetzt zwei gemeinsame Veröffentlichungen aus den Neunzigern neu und remastert unter die Leute. Zunächst ein gemeinsames Konzert, das 1999 als Warm-Up auf dem noch frischen Fusion-Festival stattfand, sowie eine Electro-Dub-Single aus dem Jahr 1997. Sowohl „Live At U-Site Fusion 99“ als auch „Eisenmangel“ entstanden unter den Bühnennamen B. Ashra & Ricky Deadking, unter denen sie auch jetzt wieder zu haben sind. Erstaunlich zeitlos, diese Reise in die Vergangenheit!

Es dauert anderthalb Tracks des zweistündigen Konzertmitschnittes, „Micro Foundation“ und die Hälfte von „Tune In“, also gut 20 Minuten, bis sich aus den relaxten Ambient-Sounds überhaupt so etwas wie ein Rhythmus herausschummelt. Auf Melodien verzichten B. Ashra und Ricky Deadking weitgehend, vielmehr kombiniert das Duo zunächst epische Flächen und Zwitschersounds und lässt die Show langsam angehen. Diese Show war für einen Samstagnachmittag auf dem seinerzeit noch beschaulichen Fusion-Festival angesetzt, als Anheizer für die Trance-Bühne nämlich, und diesen Auftrag setzte das Duo vortrefflich um. Denn nach dem behutsamen Auftakt drückt das Duo erst im dritten Track „Money“ einen Beat durch, aber einen Downbeat, nach Wiener Schule. Den behalten Olke und Rues auch in „Liquid Sky“ bei, fügen aber ganz allmählich mehr und mehr Sounds hinzu, bringen mehr Leben ein, werden so etwas wie jazzig und erinnern in ausgewählten Sounds, hier den Drums, an alte Sachen von Kraftwerk. Für „Skyline“ werden die dargebotenen Sounds etwas unbequemer, das Duo dreht auf, ohne an Tempo zuzulegen, wird in „Waterproof“ noch energischer, bringt – abermals Kraftwerk zunickend – Vocoder-Sprachsamples unter und baut plötzlich und unerwartet massive Dancefloor-Beats in die Minimal-Elektronik ein. So endete seinerzeit die limitierte erste CD der Veröffentlichung.

Die zweite CD setzte das Tanzbare mit „Clouds Over Chefchaouen“ fort. In den treibenden Track integriert das Duo Ethno-Sounds wie Tablas oder unspezifischen, vermutlich marokkanischem, exotischen Gesang. Mit „Rising High“ gibt’s dann die erste Pause, das Duo schaltet die Beats aus, man sieht ein Sonnenglitzern auf dem bewegten Wasser, das zwar entspannend wirkt, aber dennoch ein ordentliches Tempo hat, und dann setzt auch der Beat wieder ein, nervöser noch als zuvor. Plötzlich wird dieses Set retro, selbst aus Sicht von 1999, und generiert mit „Mini-Mal“ einen Acid-House, der seinem Titel gar nicht entspricht. Zwischendurch nimmt das Duo in dem Track den Acid-Anteil etwas zurück und lässt ihn in Richtung Hard-House schieben, bevor es dann doch wieder zum Acid zurückkehrt. „Bamboo Pipe“ nimmt das Treibende auf und wird spacig, und mit „Blood Vest“ verabschiedet sich das Duo tanzend, technoid, zwischen Space und Minimal, repetitiv und hypnotisch. Wer auch immer jetzt die Trance-Bühne übernimmt, muss sich mächtig ins Zeug legen, um da nicht abzustinken!

Interessanterweise klingt das ganze Set gar nicht danach, als wäre es bereits 26 Jahre alt. Die Technik war offenbar weit genug ausgefeilt, um auch heute noch aktuell zu sein, zudem waren Rues und Olke schon damals so kompromisslos, dass sie keinen gängigen Strömungen folgten, die nach kurzer Zeit überholt waren. Genau so würde der Gig auch heute funktionieren.

Leicht anders verhält es sich mit der Single „Eisenmangel“. Beim ersten Hören kommt der Gedanke: Geil, schöner Oldschool-Electro-Dub, so angenehm retro und irgendwie doch nicht gestrig. Und dann liest man, dass das Duo den Track bereits 1997 aufnahm. Deepe Sounds, geheimnisvoll und zögerlich, leiten den Track ein, begleitet von ätherischen Synthies, bis ein Drum-And-Bass-Rhythmus einsetzt und die Acid-Elemente die Flächen vertreiben. Ist das echt eine E-Gitarre, die da im Hintergrund elegisch vor sich hin bratzt? Die Kombi knallt mächtig rein, das geht gut, auch wenn die elektronischen Elemente die Entstehungszeit doch etwas eindeutiger nachspüren lassen, aber eher in der Art, als würde sie jemand heute modernisiert recyclen, nicht gestrig. Für die Quasi-B-Seite „Ice Dub“ gucken sich die beiden Protagonisten das titelgebende Genre bei The Orb oder Youth ab, gestalten den Track also mit langsamen Beats und einigen Electro-Dub-Effekten, aber das zu einem genrefremden Gitarren-Drone. Mit einem einminütigen Snippet des Titeltracks kommen gut 18 Minuten Musik zusammen, die einem auch nach 28 Jahren noch frisch vorkommen.

Weitere Rereleases der beiden Freunde sollen kommen, wer weiß, vielleicht auch die der Projekte Morphon und Brain Entertainment Laboratory, an dem sie beide beteiligt waren. Rues betrieb zuletzt mit Dagmar I. Glausnitzer-Smith das Projekt „Kunstwirkstoff“ in Jerxheim-Bahnhof, wenn er nicht musikalisch experimentierte. Olke setzt ihm mit diesem Beginn von Wiederveröffentlichungen ein verdientes Denkmal.