The Arms Of Someone New – Susan Sleepwalking (2025 Remaster)/Susan Dreaming – Projekt Records 2025

Von Matthias Bosenick (18.11.2025)

Man wird alt wie ‘ne Kuh und lernt immer wieder Altes neu kennen: Das Duo The Arms Of Someone New beispielsweise, dessen Quasi-Debüt-Album „Susan Sleepwalking“ ein Remaster und als „Susan Dreaming“ eine Neubearbeitung erfährt – und das nach satten 40 Jahren. Im Sound orientierten sich die beiden Bandmitglieder Mel Eberle und Steve Jones aus Illinois recht offenkundig an den Young Marble Giants, die diese karge Mischung aus minimalistischen Synthies und verhuschten Gitarren bereits fünf Jahre zuvor etabliert hatten. Umso sehr unterscheidet sich die Neubearbeitung davon – die ist in Drones, Soundscapes und Improvisationen gehalten. Eine tolle Entdeckung!

Diese Veröffentlichung ist dreigeteilt: Den ersten Abschnitt nimmt das Original-Album aus dem Jahr 1985 ein, der zweite bietet anderthalb Stunden lang „Outtakes, Demos, Unreleased And Rare Recordings“ und der dritte „Susan Dreaming“, die Neubearbeitung. Die gestalterische Nähe zu den Walisern Young Marble Giants ist möglicherweise schlichtweg der Konstellation geschuldet: Lediglich zu zweit, bedienten sich Jones und Eberle bei dem Instrumentarium, das ihnen zur Verfügung stand, und setzten es so behutsam wie möglich ein.

Den Synthies entlocken die beiden hier also keine Hi-NRG-Beats, wie sie zu der Zeit modern waren, sondern das minimalistische Geplucker, das man von „Colossal Youth“ bereits kennt, das sich repetitiv und monoton unter die Songs schleppt und teilweise lediglich aus einem klickernden Hihatsound zu bestehen scheint. Auf diesen Drums spielen sie ebenso minimalistische Melodien mit Synthie und verhallter Gitarre und singen dazu, als wäre es nachts um halb vier und man schlaftrunken nur kurz aus Morpheus Armen entlassen worden und wolle sich umgehend dorthin zurückbegeben; schlafwandelnd, fürwahr. An mancher Stelle hat die Gitarre eine Klarheit, wie sie seinerzeit bei R.E.M. erklang, etwa in „The Fisherman“ oder „Karen Said“, richtig schrammeln darf sie in „Rainbows“, mit dem Synthie um die Wette gniedeln in „Seven Days From Now“ und beinahe fies ins Ohr gehen in „Susan Slept Here“.

Diesem Sound liegt etwas Waviges inne, ebenso etwas Psychedelisches. Obschon die Grundlagen hier in Kälte liegen, entwickeln manche Songs eine unerwartete Wärme. Nicht erwarten darf man hier eine wie auch immer geartete Tanzparty, höchstens vielleicht für Introvertierte.

Die Bonus-Sektion beginnt mit den sechs Songs der „Burying The Carnival“-12“. Teile von „Two Sides To Every Story“, der Split-Kassette mit Data-Bank A, die beiden Stücke der „The Holy Dance“-7“ sowie drei Viertel der Kassette „The Arms Of Someone New“ sind ebenfalls enthalten, einige Tracks kamen bereits vor zwei Jahren als „Susan Sleepwalking Outtakes #1“ digital heraus, der Rest des alten Materials scheint neu zu sein. Die Stücke von „Burying The Carnival“ deuten an, dass das Duo durchaus zu etwas vollerem Sound, mehr Nähe zu Songorientiertheit und zu noch mehr Experimenten bereit war; mancher Basslauf lässt an Joy Division denken, „My Friend“ geht beinahe in Richtung Neofolk. Der Rest setzt diesen und den Sound des Albums fort – „70 Years“ ist dabei noch ein schöner Kracher – und fordert auf Strecke doch, trotz aller Schönheit, aufgrund der reduzierten Sprödheit und der gleichbleibenden Stimmung einiges an Langmut ein. Das Saxophon in dem mit Nick Rudd entstandenen „Broken Birds“ holt einen dann aus der Versunkenheit wieder heraus – ein wundervoller Farbtupfer.

Und dann gibt’s den gigantischen Zeitsprung. 40 Jahre später setzt sich das Duo erneut zusammen und empfindet sein Album nach, mit den Ideen, Inspirationen, Erfahrungen und persönlichen Entwicklungen, die jeder in 40 Jahren sammelte. Deutlich hörbar ist, dass die beiden keineswegs im Stillstand verharren. Im Gegentum, sie legten ordentlich Wegstrecke zurück, und zwar, um sich noch weiter vom Hörbaren, vom Gängigen zu entfernen. Diese zehn Neueinspielungen tragen daher auch nicht von ungefähr neue Titel, denn es fällt immens schwer, in ihnen die Ausgangstracks wiederzuentdecken: Eberle und Jones generieren Dreamscapes, Soundscapes, Drones, Noises, dass es nur so eine Freude ist. Selbst die Stimme erklingt hier wie ein Rauschinstrument, Texte vermittelt sie keine mehr. Selten schwankt überhaupt die Tonhöhe, die Konturen verwischen, man bewegt sich wie in dämmriger Watte. Es lässt sich nicht einmal ermitteln, mit welchen Mitteln das Duo diese Sounds generierte. Man verfällt mit Susan ins Träumen.

Und was passierte in der Zeit dazwischen? Vor „Susan Sleepwalking“ erschienen die Tapes „Significant Other“, „Occam’s Razor“, „Notes From Underground“ und „TASN“, danach noch die Alben „Black & White“ (1987) und „Promise“ (1988), die 12“ Every Seventh Wave“, das unbetitelte Split-Album mit Area sowie 2000 die Compilation „Love, Power & Justice“. 2016 erschien mit „Tape Recordings 1983-1985“ eine Doppel-LP mit Rereleases und Raritäten, auf Bandcamp startete das Duo 2022 eine Rerelease-Kampagne. The First Things hieß 1982, ganz zum Inhalt passend, das erste Projekt, an dem Eberle und Jones zusammenarbeiteten. Die genannte Band Area hob Jones 1985 parallel zu The Arms Of Someone New aus der Taufe, daher der Split; diese Band beendete 1990 ihre Aktivitäten. Eberle spielte indes auch hier als Gast Gitarre, 1999 beim Beitrag zur Compilation „A Cat-Shaped Hole In My Heart“ nämlich. Und Sängerin Lynn Canfield wechselte in den Neunzigern zu The Moon Seven Times.

Dieses Remaster ist auf jeden Fall eine angenehme Wieder- und Neuentdeckung. Insbesondere die Neueinspielung zeigt, wie sich Kreative entwickeln, und sie stell ein wundervoll rauschendes und berauschendes noisy Ambient-Album dar, das einem ansonsten wohl entgangen wäre.