Spezial: Head Perfume Records

Von Matthias Bosenick (18.01.2022)

Zwei neue LPs bringt der Dresdener Tausendsassa René Seim auf seinem Label Head Perfume Records heraus, in denen der Fuzz eine wesentliche Rolle spielt: „Always Memphis Rock And Roll – Volume 1“ ist eine Zusammenarbeit mit Robert Wyatt von Black & Wyatt Records aus der titelgebenden Gegend mit Songs, die mehrere Jahrzehnte abdecken und die große Bandbreite lokaler Mucker dokumentiert, und die Compilation „Hotzenplotz“, die den Anschein einer Zusammenstellung diverser Artisten hat, indes ausschließlich den verstorbenen Oldenburger Krachmacher Nils Damage in all seinen Inkarnationen portraitiert. Lärm!

Always Memphis Rock And Roll – Volume 1

Mit Robert Wyatt ist Seim seit längerer Zeit eng verbandelt, nicht zu verwechseln mit dem leicht berühmteren Engländer übrigens, dieser heißt Robert Jethro Wyatt und lebt tatsächlich in Tennessee. In Erscheinung trat Wyatt in Seims Wirken unter anderem bereits in der Buch-Anthologie „Ich liebe Musik Vol. 2“, die Seim in seinem Windlust-Verlag herausbrachte (und zu der auch der Rezensent Texte beisteuerte). Diese Sammlung hier deckt die ersten Veröffentlichungen auf Wyatts 2018 gegründetem Label Black And Wyatt Records ab, bis 2020. Auslöser für die Freundschaft war das Internet, so geht das heutzutage.

Mit Hillbilly-Zeug geht es los, die Heathens erwecken gleich den Eindruck, schon uralt zu sein – und sind es auch: Ihr „Steady Girl“ stammt aus dem Jahr 1956 und trägt das Vinylknistern im Sound. Danach wird der Sound klarer und die Musik jünger: Jack Oblivian, ein erklärter Liebling Seims, der schon auf seinen „Wildblumenblues“-Compilations zu hören war, ist gleich dreimal vertreten, mit The Sheiks und The Dream Killers, und er macht eine Art Countrypop mit Einschlag von Blue Öyster Cult, unverzerrten Thin Lizzy und ganz viel Twang sowie Wüsten-Garagerock aus dem Titty Twister.

Die Garage als Genre dominiert auf dieser Sammlung ohnehin, ihr fühlen sich die meisten Beitragenden verpflichtet: der räudige Sänger Tyler Keith, die fuzzy Opossums und die in den dreckigen Surfpunk neigenden Turnstyles, dem Duo, das ansonsten Jack Oblivian begleitet. Bluesbasierter Indiepoprock kommt von The Toy Trucks, Janglepop-Indierock mit Saxophon und Frau am Mirko, die in den energiereichsten Momenten an Sinéad O’Connor erinnert, von den leider längst wieder aufgelösten Fingers Like Saturn und Hillbilly-Country von Mario Monterosso (hier als Monterroso aufgeführt).

Den Songs gemeinsam ist, dass sie einen erheblichen Ohrwurmcharakter in sich tragen. Viele Stücke gab es vorher gar nicht physisch, das Projekt von Seim ist da eine Offenbarung für die meisten Künstler (und Sammler). Was man eben so macht unter Freunden.

Nils Damage – Hotzenplotz

Der Mann hat aber auch einen Lärm gemacht. Übersteuert, fuzzy, scheppernd, schreiend, rockend, wüst, beseelt, saucool, ungestüm, hochenergetisch, dem Wohlklang gegenüber absolut gleichgültig, und das egal, unter welchem Namen oder mit welchem Projekt. Unbeirrbar verzichtete Nils Westphal seit den Neunzigern auf so etwas wie Aufnahmequalität oder überhaupt irgendwelche Konformitäten und rotzte seine Wut und seinen Humor in so wenige Mikros wie möglich pro Session, manche Projekte, wie Joe Le Balor, sogar komplett allein. Bei The Damnation Kids, The Spamchords, The Gothiefs und den Preskool Dropouts erhielt Westphal Unterstützung von befreundeten Musikern, lediglich Superhelikopter waren eine Band, gelegentlich mit dem Suffix Ltd. versehen und im Dreiländereck Oldenburger Land, Ammerland und Ostfriesland von einigem Ruhm.

Und von allen kommt Lärm. Westphal ist so sehr auf Krawall gebürstet, dass man sogar seine Version des The-Cramps-Klassikers „Human Fly“ gar nicht erkennt. Garagenpunk ist nur die grobe Richtung, er kann auch mal das Tempo drosseln, nicht jedoch seine Energie und seine Spielfreude. Es ist ein Fest mit all dem Lärm. Hat man die knappe Dreiviertelstunde mit nur wenigen Atempausen, darunter der titelgebenden ketzerischen Spoken-Word-Einlage, durch, braucht man erstmal etwas Ambient zum Runterkommen.

Diese kunstvoll ausgestattete LP mit bebildertem Booklet ist ein Andenken für die Fans des kompromisslosen Oldenburgers, Uneingeweihte dürfen sich auf und über erstklassige Unangepasstheit freuen.

www.headperfume.de