The Perc Meets The Hidden Gentleman – Lavender – Strange Ways/Sireena 1991/2021

Von Matthias Bosenick (20.01.2022)

Das Hit-Album, man könnte bald die abgelutschte Bezeichnung „Kult“ heranziehen, von The Perc Meets The Hidden Gentleman ist 30 Jahre später wieder auf CD und Vinyl erhältlich: „Lavender“ klingt trotz seiner Gothic-Gäste (Alexander Veljanov, Jochen Schoberth, The Voodoo, Achim Färber) nicht nach Gothic, und in der Rückschau freut man sich, dass damals noch die Mucke vor der Tanzflächentauglichkeit stand – Clubhits hat das Album nämlich aus heutiger Sicht keine, ist aber trotzdem ein Hit. So war das 1991, an der Schnittstelle zwischen Synthiepop und Grunge, als Dutzende grandioser Alben herauskamen, vor der großen Kommerzwelle Dank MTV und Majorlabels. „Lavender“ ist mehr als ein Zeitdokument des Indierock, Neofolk, Psychedelic Rock, Progrock, Artrock und weiß der Geier was noch: Es ist eine bis heute gültig spannende Reise durch die Kreativität von Tom Redecker und Emilio Winschetti sowie dem vielköpfige „Lavender Orchestra“.

Der Opener „Blind Faith“ ist mit seiner Neofolk-Anmutung womöglich noch am nächsten an dem, was man sich unter Gothic Rock vorstellt, denn so breit der Gothic Rock in den Achtzigern auch aufgestellt gewesen sein mag, „Lavender“ sprengt alle Rahmen und passt in diese Schublade nicht hinein. Das entspannt gniedelnde „The Infant King“ etwa hat einen flott groovenden Country-Rhythmus, das catchy „Hole In My Head“ kombiniert Kirchenorgel mit Bontempibeats im Walzertakt (und man verzeiht jedes teutonisch phrasierte Englisch; „I miss you so – bat“, singt Redecker hier etwa: Der Song zählt badly!), das in den Strophen mit Orgel gedudelte „Hall Of Fame“ könnte im auslaufenden Refrain ein trinkfester Shanty sein, „The Composition Of Incense“ ist ein minimalistisches synthbasiertes Streicherstück mit Chören, das sich bei Queens „The Show Must Go On“ bedient und eigentlich nur wegen Alexander Veljanovs Gesang in Richtung dunkel und düster tendiert, und wer mit „The Lavender Cantos Parts I – IV“ ein zwölfminütiges Stück progressiver Rockmusik irgendwo zwischen Pink Floyd, Orient und Voodooclub ins Zentrum seines Albums stellt, legt sicherlich wenig Wert auf Genrefestlegung. Kluger Kniff: Eines der Signaturriffs daraus erklingt bereits in „Hole In My Head“.

Deine-Lakaien-Stimme Alexander Veljanov ist ja nun nicht der einzige Gast auf diesem Album, für das Redecker und Winschetti eigens ein „Lavender Orchestra“ zusammenstellten. „The Lavender Cantos“ erinnert nicht von ungefähr rhythmisch an Phillip Boas Begleitband: Deren Schlagzeuger Uwe Knak alias The Voodoo bedient hier die Tablas; sein Voodooclub-Kollege Achim Färber spielt parallel Schlagzeug und tat dies auch bei Die Krupps, Project Pitchfork und diversen weiteren Indiebands sowie aktuell beim Berliner Dubtrio Automat. Den Neofolk verdankt der Opener dem Gitarristen Jochen Schoberth, der selbst als Artwork und Belladonna musiziert sowie im Umfeld von Oswald Henke auch bei dessen Goethes Erben in Erscheinung tritt. Weitere Mitmusiker sind unter anderem Rüdiger Klose (Mythen in Tüten (damals schon mit Winschetti), Kastrierte Philosophen), Uwe Bauer (The Pachinko Fake, Fehlfarben, Element Of Crime) und reichlich posthum Ezra Pound, dem man eine Illustration für das Cover abnahm. Da nun nicht alle Musiker an allen Songs beteiligt waren, erklärt sich auch die musikalische Vielfalt des Albums. Wer das noch unter Gothic Rock wegsortiert, sollte es sich erstmal anhören. Und eher zum Anhören als zum Tanzen ist es außerdem, und daran hat man dann auch mächtig viel Freude.

Interessanterweise erscheint „Lavender“ 30 Jahre später mit zwei Bonus-Tracks, die der LP als 7“ beiliegen und der CD einfach angehängt sind (auf der CD hat das viergeteilte Titelstück nur eine einzelne Tracknummer). Bei diesen Songs handelt es sich um die Single „The Infant King/Vermillion Sands“, der einzigen Single zum Album mit der A-Seite in der „Goldrush Version“, und nicht um die Bonus-Tracks der 2001er-Version des Albums, nämlich „Smalltown“ und „The Moon Of Both Sides – Landmark Version“, dabei wäre dafür jeder Platz gewesen. Und wenn es auch an Clubhits mangelte, war „Lavender“ ein Hit in Radios und auf Bühnen: Das Lavender Orchestra tourte durch Eruopa und hielt die Energie des Ensembles auf dem Live-Album „Praha“ fest.