Paterson – Jim Jarmusch – USA 2016

Von Matthias Bosenick (21.11.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog

Mit diesem Puzzlespiel von einem Film beschäftigt Jim Jarmusch seine Zuschauer noch Stunden nach Verlassen des Kinos. Nimmt man nur die Zwillinge als Leitmotiv, kann man schon auf schier unendliche Entdeckungsreise gehen. Die kleine Geschichte am Rande nimmt man dann trotzdem gern mit, weil sie so warmherzig und anrührend ist. Typisch für Jarmusch sind die skurrilen Normalen in diesem Film, die fast märchenhafte Abwesenheit von Rassenunterschieden sowie die vielen pop- und sonstwie kulturellen Verweise. Ein Fest!

An acht Tagen verfolgt man das Leben des Busfahrers Paterson in der Stadt Paterson, New Jersey. So richtig etwas zu verfolgen gibt es dabei eigentlich nicht: Paterson erwacht neben seiner Freundin Laura, frühstückt, geht zur Arbeit, dreht mit dem Bus seine Runden, unterhält sich nach Feierabend beim Essen mit Laura und verbindet seinen abendlichen Gassigang mit Hund Marvin mit einem Besuch in seiner Stammbar. Nebenbei schreibt er Gedichte. Fertig. Aber wir sind hier ja bei Jim Jarmusch, da ist das nicht so einfach und längst nicht alles.

Den ersten Montag gestaltet Jarmusch wie die Vorlage zu einem Murmeltiertag. Diesen Tag muss man ehrlicherweise Übles wähnend durchhalten: Wie Jarmusch Patersons Leben absteckt, das hat etwas Konstruiertes, Langweiliges. Der Dienstag legt dann das Fundament für das Spannende an dieser Vorgehensweise: Jarmusch wiederholt nur Teile des Montags, spätestens ab Mittwoch treten die ersten Abweichungen und Veränderungen ein, und in ebenjenen liegen Komik und Tiefe.

Eigentlich ist Paterson gar nicht am Leben beteiligt. Er ist ein Beobachter, sowohl in der Beziehung als auch als Busfahrer: Andere leben, andere tauschen sich darüber aus, andere schmieden Pläne und setzen sie um, andere veröffentlichen Bücher. Er schreibt nur Gedichte in seine Kladde. Sogar sein Hund ist stärker als er. Erstaunlicherweise steckt in diesem Leben für Paterson selbst nur Glück: Er ist so zufrieden wie kaum jemand sonst. Und dabei doch so farblos, dass das Leben um ihn herum um so schillernder erscheint, ohne dies wirklich zu sein.

Farblos ist äußerlich auch Laura: Sie designt ihre Welt in Schwarz und Weiß. Und das als einzige in Paterson, die weder schwarz noch weiß ist, sondern als Araberin eine Mischung daraus. Sie ist es auch, die als erstes Puzzleteil das Motiv der Zwillinge in den Film setzt, das jener unablässig aufgreift: Dialoge, Namen, Phrasen, Personen tauchen (mindestens) doppelt auf. Das Wiederfinden weckt beim Betrachter österliche Gefühle, und weil man als Europäer aufwuchs, hat man wahrscheinlich gar nicht die Chance, sämtliche Analogien auszumachen, insbesondere solche, die in der US-Kultur liegen. Nicht jeder kennt Sam & Dave oder Abbott & Costello.

Dennoch ist es Laura, die ihrem und Patersons Leben Schwung verleihen will. Die Kernhandlung besteht darin, dass sie ihn bittet, seine Kladde mit den Gedichten zu kopieren, weil sie findet, dass die Welt sie kennenlernen soll, und die spannende Frage ist, ob er das am Samstag auch wie versprochen macht. Sie selbst will gleichzeitig die beste Cupcakebäckerin und die beste neue Countrysängerin werden. Paterson und Laura führen zwar eine respektvolle Beziehung, und doch hängt er abends immer ohne sie in der Bar ab. Als einziger Weißer unter Schwarzen übrigens. Vermutlich sollte man sich weniger um eine Beziehung in Abwesenheit Gedanken machen, sondern die Inhalte goutieren, die Jarmusch in dieser Bar ansiedelt, die wiederum so heißt wie die Lieblingsverkleidung zweier Schulkinder, die sich von Paterson mitgehört darüber im Bus unterhalten: Shade. Das mal nur so als Beispiel für die Puzzleteile in diesem Film. In der Bar sind Schach und Billard die Spiele der Wahl, streiten sich Paare, doziert der Wirt über aus Paterson stammende Berühmtheiten. Sowohl seine Wall Of Fame als auch Patersons Buchregal sind dabei Teil eines Kniffs, den Jarmusch schon im Vorgänger „Only Lovers Left Alive“ anwandte: Er bringt seinen eigenen kulturellen Horizont darin unter und lässt die Kamera darüberschwenken. Wie auch bei „Only Lovers Left Alive“ befindet sich Iggy Pop unter den so Dargestellten; dies als Beispiel für die Aufmerksamkeit, die man dem Film widmen sollte.

Wie weit Jarmuschs Horizont ist, äußert sich nicht nur darin, dass er die sich ansonsten nicht vielen Menschen erschließende Literaturgattung Poesie ins Geschehen einflicht, sondern dass er ihr in einer Sequenz die verwandte Musikgattung Rap gegenüberstellt. Diese Szene unterstreicht zudem, dass es in Jarmuschs Welt, wie schon in seinem „Ghost Dog“, keinen Unterschied zwischen den Herkünften der Menschen gibt. Es gibt keine Hautfarben, keine Religionen, keine Dissonanzen. Einmal halten des nachts vier schwarze Hiphopper mit einem aufgemotzten Cabriolet neben Paterson an und verwickeln ihn in ein Gespräch über Hunde. Der Zuschauer ist so geprägt von vergleichbaren Situationen, dass er sofort Aggressivität erwartet, doch Jarmusch findet andere Wege. Märchenhafte, sicher, aber diese Märchenhaftigkeit tut gut.

Wie immer bei Jarmusch ist auch hier wieder die Musik wichtig. Die steuert er, wie schon bei „Only Lovers Left Alive“, selbst bei, mit seinem Postrock-Projekt Sqürl. Negativ ist an diesem Film eigentlich nur eins: der deutsche Synchron. Es ist ein Sakrileg, einen Film, der von Poesie handelt, nicht im Original zu belassen, besonders, wenn die Originalgedichte permanent auf der Leinwand mitgeschrieben erscheinen. Auf Deutsch klingt es auch schäbig, dass Paterson und Laura sich mit Wörtern wie „Babe“ anreden, und deplatziert, dass der Rapper den Hund mit „Digger“ anspricht. Ein Jarmusch gehört schlichtweg nicht synchronisiert. Punkt. Abgesehen davon ist „Paterson“ ein klassischer Jarmusch im Hier und Jetzt und einer der besten Filme des Jahres.