Von Guido Dörheide (07.03.2024)
Seit ich Ende Januar meinen Wohnsitz von der Stadt ins Mittelgebirge verlegt habe und zweimal pro Woche mit dem Fahrzeug morgens eine gute Stunde lang durch die Gegend fahre, vorbei an der Okertalsperre und an Bestattungshaus Benz (der Mercedes unter den Bestattungen, wie ich immer denke, wenn ich daran vorbeifahre) in Harlingerode und schließlich durch Salzgitter-Thiede und über die Tangente zum Braunschweiger Flughafen (Airport Ferdinand Piëch International, wie ich angesichts des dortigen Hauptnutzers immer sage) und abends wieder zurück, habe ich jede Menge Zeit zum Hören spannender Hörspiele. Neben dem mehr als hörenswerten NDR/Radio Bremen-Podcast „Das Werder-Märchen 2004. Die Double-Saison reloaded.“, den ich im Jahresrückblick erwähnte und von dem immer noch mit stoischer Gleichmäßigkeit jede Woche eine neue Folge erscheint, habe ich mich auf die Thriller-Serie „Knallhart“ aus derselben ARD-Audiothek eingeschossen. Jahaa – ich beherrsche bisweilen auch mit spitzer Feder gedrechselte abgeschmackte Formulierungen wie „auf die Thriller-Serie eingeschossen“, zwinker zwinker!
Bereits am 10. Juli 2023 ist dort mein bisheriges Lieblings-Hörspiel erschienen: „Sarah Jane“, ein Neo-Noir-Krimi von James Sallis, produziert vom hervorragenden Produzenten-Duo Wittmann/Zeitblom. Darin erzählt die Polizistin Sarah Jane Pullman ihre Lebensgeschichte, davon, wie sie bei sehr armen Eltern aufwächst, wie ihre Mutter plötzlich unangekündigt aus ihrem und dem Leben ihres Vaters, von dem sie liebevoll berichtet und der ihr zahlreiche Weisheiten mit auf den Lebensweg gibt („das Leben ist keine Pizzeria, Pretty, es gibt hier keinen Lieferservice“) und dann, nachdem das Haus der Familie den Abhang heruntergerutscht ist, sein restliches Leben in einem Trailerpark verbringt und den Trailer kaum noch verlässt, verschwindet, wie sie aus der Beziehung zu einem Kriminellen in den Kriegseinsatz bei der Armee stolpert, um sich vor dem drohenden Gefängnis zu retten, wie sie ihren nächsten Partner durch einen tödlich endenden Polizeieinsatz und dessen Nachfolger an eine psychische Krankheit verliert und wie sie schließlich einen gewalttätigen Polizisten heiratet und sich dessen in – zugegebenermaßen reichlich proaktiver – Notwehr scheinbar ein für alle Male entledigt. Dieses „scheinbar“ bestimmt dann den Rest der Geschichte: Sarah Jane zieht in einen anderen Teil des Landes und stolpert geradewegs – ihr ganzes Leben ist von diesem In-Situationen-Hineinstolpern geprägt – in einen neuen Job als Polizistin in einer Kleinstadt hinein. Cal Phillips, der liebenswerte örtliche Sheriff mit dunkler, im Verlauf der Geschichte nicht aufgeklärter Vergangenheit, wird ihr Mentor, und als er später so gut wie spurlos verschwindet, tritt Sarah Jane seine Nachfolge an, bis ihre eigene Vergangenheit sie einholt. Der sie unterstützende junge Kollege überlebt einen Einsatz nur knapp, aber als Pflegefall, vorher geschieht ein Mord und am Ende bleibt unklar, wer für diesen verantwortlich ist, klar wird nur, dass der Mord nicht stattgefunden haben müsste, wäre der Täter über die Absichten im Bilde gewesen.
So bleibt nur trauriges Kopfschütteln sowie Sympathie und Mitgefühl mit Sarah Jane, die den Hörenden trotz der Irrungen und Wirrungen ihres Lebenswegs schnell an Herz wächst, mit der man mitfiebert und der man wünscht, dass sich am Ende alles gut ausgeht, was sich jedoch leider nur ansatzweise realisieren lässt.
Das Hörspiel ist knackich produziert und erstklassig besetzt, allen voran sorgt Alice Dwyer als Sarah Jane dafür, dass die Hörenden das eigentlich sogar ein wenig distanziert erzählte Leben der Titelheldin hautnah miterleben können und am Ende nahezu gut informiert, aber leicht verstört zurückbleiben.
Zur Faszination des Hörspiels trägt bei, dass es um den Song „I Was Never Here“ (diesen Satz trägt Sarah Jane gegen Ende der Geschichte als Inschrift auf ihrem Sweatwhirt) der Berliner Band Automat (deren Bassist Zeitblom genau der Zeitblom aus dem Hörspielproduzentenduo Wittmann/Zeitblom ist) herum gestrickt ist. Immer wieder singt die wunderbare Gemma Ray Teile dieses Songs, der im Gegensatz zur voll instrumentierten Version auf dem 2023er Automat-Album „Heat“ (Matthias Bosenick rezensierte es auf diesen Seiten) hier nur spärlich von elektronischer Musik begleitet daherkommt und Gemma Rays Vortrag so viel Raum gibt, dass es zusammen mit dem Hören der hier erlebten Geschichte beinahe schon weg tut, Letzteres allerdings auf angenehme, gut zu ertragende Art und Weise.