Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Shameless: Was riecht hier so? Ist das Kotze oder teurer Käse?

Von Onkel Rosebud

Die Serienwelt meiner Freundin ist übersichtlich, Sie teilt sie in vier Prioritäten: 1. Romantik, 2. Das Gute gewinnt (oder wie sie sagen würde: „irgendwas mit Superhelden-Ringe-Drachen-Laserschwert“), 3. Whodunnits und 4. den Rest, dem ich anheimgefallen bin.

Zum Besten, was uns in der vierten Kategorie jemals passiert ist, gehört die uns seit Jahren begleitende US-Version der Serie „Shameless“. (Das Original ist britisch, auch gut, aber nicht besser als das Remake.) In insgesamt 134 Folgen (verteilt auf 11 Staffeln) wird das Alltagsleben einer prekären Familie behandelt. Im Mittelpunkt stehen sechs Kinder, die sich größtenteils selbst versorgen, da ihre Mutter die Sippe vor Jahren verlassen hat, und ihr Vater, ein Alkoholiker, keine Hilfe darstellt. Es geht darum, wie Menschen in Armut versuchen, über die Runden zu kommen, in einer würdelosen Welt die Würde zu behalten und auch aus noch so beschissenen Situationen etwas Gutes rauszuholen. Diese Themen sind ein Trigger für uns, weil wir beide auch mit beschissenen Jobs, die schlecht bezahlt wurden, in die letztendliche Unabhängigkeit gestartet sind.

Warum meine Freundin und ich „Shameless“ kritiklos weiterempfehlen können, liegt einerseits an der stimmigen Balance zwischen Comedy und Drama. Die Serie kennt keine Tabus, schafft es aber immer wieder, zugleich sehr witzige und derbe wie auch emotionale Momente zu schaffen, in denen die schrulligen Figuren mit jeder Folge wachsen und sich authentisch weiterentwickeln. Andererseits ist die Serie kein rührseliges Elendsporno geworden, weil schauspielerische Sensationen mitwirken. Von Emmy Rossum als Fiona, die älteste Tochter, die sich um ihre Geschwister kümmert, kann man einfach nicht genug kriegen. Joan Cusack, die den freundlich und hohlköpfigen Charakter Sheila, im wahrsten Sinne des Wortes „verkörpert“, leidet unter Mysophobie (Angst vor Keimen) und offenbart eine insgeheime sexuelle Dominanz. William Macy (Jerry Lundegaard, der Verkaufsleiter im Autohaus aus dem im Film „Fargo“) als Alki hasst man von der ersten Handlungssekunde, aber mit fortschreitender Aktion wächst er einem ans Herz. Unser Star der Serie ist jedoch Lip (Jeremy Allen White, auch bekannt aus der unbedingten Guckempfehlung „The Bear“), ein Hochbegabter, dem immer wieder verschiedene Pläne zum Geldverdienen einfallen.

Unter Strich stellt „Shameless“ die Frage, wie man mit einem Menschen umgehen soll, der einem im Stich gelassen hat, obwohl man ihn eigentlich lieben sollte. Ich habe darauf noch keine endgültige Antwort gefunden. Wenn es nach meiner Freundin ginge, dann wäre Ignoranz eine Option.

Dem Elend die Stirn bietet,

Onkel Rosebud