Von Onkel Rosebud
Nicht der, aber ein Grund, warum meine Freundin meine Freundin ist, besteht darin, dass meine Plattensammlung ein Teil unserer gemeinsamen Wohnzimmerdekoration sein darf. Ich finde das nicht selbstverständlich, denn in meiner Funktion als öffentlicher Schallplattenunterhalter ist da über die Jahre so einiges an Polyvinylchlorid und -acetat zusammengekommen. Ich weiß noch, als wir damals zusammen in die flussnahe Wohnung gezogen sind, habe ich mich nicht getraut, meine Schätze wie gewohnt im Hauptaufenthaltsraum aufzubahren; ich habe den größten Teil im Keller verstaut – auch wegen Schutz vor Kind und Katze. Doch wie das nun mal so ist, wenn ein Wasserlauf den Wohnort kreuzt, es kam die sogenannte Jahrhundertflut und unser Tiefparterre drohte sich mit Schlamm zu füllen. Seitdem dürfen die Scheiben das Obergeschoss zieren inklusive meiner Plattenwaschmaschine, Fabrikat Knosti. Die steht neben meinem Technics SL-1210 MK2 und hat schon oft das erzählerische Eis gebrochen, wenn frischer Besuch es sich in der Sitzschnecke bequem gemacht hat.
Einmal im Jahr gönne ich mir ein halbes Wochenende für Waschen, Legen und Föhnen meiner polyvinylacetaten Lieblinge. Neulich war der Regalabschnitt „XYZ“ an der Reihe. Und zwischen The xx und Yello hielt ich plötzlich „’ch hob gehert sogn“ der Formation Zupfgeigenhansel in der Hand und dachte: Was für ein bescheuerter Bandname, was für ein hässliches Cover und wie konnte es passieren, dass es dieses Exemplar in meine Sammlung geschafft hat. Deshalb packte ich die Platte zuerst auf den Zwölfzehner, nicht in den Knosti. Und war begeistert. Die Energie sprang sofort über.
Zupfgeigenhansel ist ein von Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz gegründetes süddeutsches Folklore-Duo, benannt nach einem Liederbuch der Wandervogelbewegung.und „’ch hob gehert sogn“ aus dem Jahr 1979 ist ihr größter Wurf. Das Album enthält ausschließlich jiddische Lieder, so Gassenhauer wie „Di grine Kusine“ oder „Lomir sich iberbetn“ und gilt als die Mutter der hiesigen Klezmerbewegung. Damals gab es in der BRD einen Hype, deutsche Volkslieder mit freiheitlichem Charakter wiederzuentdecken, teilweise mit eigenen Melodien zu versehen, um diese wieder populär zu machen. Der nach wie vor in allen Belangen unwiderstehliche Grantler Georg Kreisler hatte mit den „Nichtarischen Arien“ (1966) den Weg bereitet. Dieser aufkeimende Folk-Hype wurde dann aber von der NDW in den frühen Achtzigern im Keim erstickt.
Die beiden mittlerweile 70-jährigen Herren Schmeckenbecher und Friz hatten ein Revival. Zum 50jährigen Band-Jubiläum erschien eine Werkschau und der darauf befindliche Song „Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne“ vom 1976er Debütalbum „Volkslieder I“ ging 2022 als Antikriegshyhme anlässlich der Invasion der Ukraiine viral auf youtify und spotube. Seitdem werden Zupfgeigenhansel-Werke verstärkt von Gruppen anderer Genres entdeckt und eben auch von mir – dank meiner Plattenwaschmaschine
Es wollt ein Bauer früh aufstehn,
aber nicht Onkel Rosebud