Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Mein Ablageproblem mit Jah Wobble oder wie ich die Wölbbrettzither entdeckte

Von Onkel Rosebud

Ein Geezer ist laut Oxford-Dictionary „a man, often old or unusual in some way”, also ein zwielichtiger Zeitgenosse. In dieses Schema passt John Joseph Wardle (geboren am 11. August 1958), bekannt unter dem Künstlernamen Jah Wobble, der praktischerweise schon im Titel seiner Autobiografie „Memoirs Of A Geezer“ (Serpent’s Tail Books, London, 2009) auf die ihm eigens inneliegende Merkwürdigkeit anspielt. Ein breiteres Publikum könnte schon mal von der Band Public Image Ltd (PIL) gehört haben. Da war er Gründungsmitglied und in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren als Bassist und Schlagzeuger tätig. John Lydon (Johnny Rotten) und John Simon Ritchie (später Sid Vicious) waren seine Schulkumpels im Londoner East End. Eine Anekdote besagt, dass er von letzterem den Künstlernamen erhielt, als dieser stark betrunken versuchte, seinen Nachnamen auszusprechen.

Meine Motivation für diesen Text ist aber ein Ablageproblem. Meine Musikbibliothek baut auf Schubladendenken und ist nach Genre und künstlerischem Stil gegliedert. Die Ordner heißen zum Beispiel „3_autobahn“ (für Elektro im weitesten Sinne), „4_reggaeskadubfunk_oldskoolsoul“, „6_tangosambasalsason, „14_metalmetalmetal“ oder „21_mist“. Trotz vielfältiger Unterordner, Herr Wobble und sein Oeuvre passen da nirgends rein.

PIL verließ er nach zwei Alben bzw. wurde rausgeschmissen. Zunehmend frustriert von der wenig kreativen Atmosphäre in der Band nahm Wobble sein Debütalbum „The Legend Lives On… Jah Wobble In Betrayal“ auf, wobei er unerlaubt Material vom zweiten PIL-Album „Metal Box“ verwendete.

Seitdem und bis heute ist Jah Wobble solo unterwegs und hat mit so ziemlich jedem im Musikbiz zusammen gearbeitet. Die Liste seiner Kollaborationen allein würde den Umfang der dreitausend Zeichen sprengen, die mir Krautnick für die wöchentliche Kolumne zugestanden hat [Nee, Onkel, kein Limit! Anm. v. Matze].

Nach Zusammenarbeit mit den Can-Mitgliedern Holger Czukay und Jaki Liebezeit wurden 1982 Jah Wobble’s Invaders Of The Heart gegründet. Die Originalbesetzung bestand aus Ollie Marland an den Tasten (der später Tina Turners musikalischer Leiter wurde), Annie Whitehead an der Posaune, Neville Murray am Schlagzeug und einem Musiker, der nur Cliff genannt wurde, am Schlagzeug. Ab 1985 wirkten sich Jah Wobbles starker Alkoholkonsum und seine Schlägereien im Suff auf sein Leben aus und er konnte allein von der Musik nicht mehr leben. In der Folgezeit nahm er verschiedene Jobs an, während er in seiner Freizeit weiterhin auftrat und seine Musik aufnahm. Zu diesen Jobs gehörten auch drei Jahre als Stationssprecher bei der Londoner U-Bahn. Aus der Zeit ist eine Geschichte überliefert, die erzählt, dass er einmal an der Tower Hill Underground Station über die Lautsprecheranlage die Pendler mit der trockenen Ansage erfreute: „Ich war mal jemand. Ich wiederhole, ich war einmal jemand.“

1989 gelang es ihm gerade so, einen Plattenvertrag mit Restless Records, einem kleinen europäischen Indie-Label abzuschließen. Das darauf erschienene Album „Without Judgement“ gab seiner Karriere wieder Schwung. Brian Eno ist verantwortlich, dass Jah Wobble ab dann die Weltmusik erkundete. Seine Musik umfasst eine Reihe von Genres, darunter Afrobeat, elektronische Tanzmusik, Jazz, viel Dub und 2003 auch Bearbeitungen traditioneller englischer Volkslieder.

Jah Wobble war Teil der Industrial-Supergruppe „The Damage Manual“, die im Jahr 2000 von Chris Connelly (Ministry) gegründet wurde. Seinen Ruf als „Geezer“ untermauerte er, weil er lieber aus der Band ausstieg, als ein halbes Jahr durch die USA zu touren. Für die Zusammenarbeit mit seiner Frau Zi Lan Liao, eine in China geborene Guzheng-Spielerin (eine Art Wölbbrettzither), mit dem Titel „Chinese Dub“ (2008) wurde er zurecht mit Preisen überhäuft, weil das Album seiner Zeit weit voraus gewesen ist.

Die Wölbbrettzither oder auch Gayageum genannt ist eine zwölfsaitige Streichzither und das Nationalinstrument Koreas. Wegen dem überwältigendem „Chinese Dub“ habe ich mir eine besorgt. Neben dem Didgeridoo, einem Theremin und einer Maultrommel ziert es nun meine Sammlung abgefahrener Instrumente, aus denen ich keinen gescheiten Ton rauskriege.

Obwohl Jah Wobble schon seit den späten siebziger Jahren Aufnahmen veröffentlicht hat, ist er seit Mitte der neunziger Jahre bis heute besonders produktiv. Mittlerweile betreibt er sein eigenes Label, 30 Hertz Records, tourt regelmäßig mit den Invaders und ist ein Weltstar. Er hat 55 Studioalben rausgebracht. Die letzte heißt „The Bus Routes Of South London“ und ist Ambient zuzuordnen. Alle Songs darin hat er während der jeweiligen Busfahrt komponiert.

Ich kann Vollzug vermelden: „wobble, jah“ hat es in den Ordner „12_worldmusic“ geschafft. Zwischen „bellydance“, „disko partizani“, „sitar“ und „tango nuevo“ hat er seinen eigenen Unterordner bekommen.

Gewohnt gut aufgeräumt,

Onkel Rosebud

P.S.: Wer in Kosmos von Jah Wobble einsteigen will, dem empfehle ich zuerst den Longplayer „Welcome To My World“ von 2012.