Von Onkel Rosebud
Das Buch „plus minus acht. DJ Tage, DJ Nächte“ (Kiepenheuer & Witsch, 2003) des grundsympathischen Oberlippenbarträgers Hans Nieswandt aus Mannheim ist ein Standardwerk der DJ-Techno/House/Disco-Culture der 80er/90er Jahre. Darin gibt es ein Kapitel zum Thema Hörerwünsche, welches ich als genreübergreifender Plattenaufleger auch hätte so schreiben können. Dieser Text ist 20 Jahre später eine Aktualisierung mit meinen Erfahrungen. Ein Remix sozusagen.
Es gibt verschiedene Phänotypen des Musikwünschens an den DJ. Der Typ, den es bis heute immer noch gibt, ist der banale Ignorant. Er ignoriert einfach den Fakt, dass der DJ ein gewisses Programm verfolgt und ein Rahmen existiert und wünscht sich einfach, was ihm privat gefällt, zum Beispiel Helene Fischer oder Linkin Park. Der häufig angetrunkene Mensch fordert, dass es generell „härter“ und „schneller“ im DJ-Set zugehen sollte. Da ich dann so tue, als ob ich ihn nicht verstehen kann, weil die Musik zu laut ist, wünscht er sich meist – schon im Abgang begriffen – „weiß auch nicht, ganz andere Musik“ oder „normale Hits“.
Unangenehmer sind die Kandidaten, die sich bereits mehrere Alternativen zurechtgelgt haben oder erst anfangen, über den Musikwunsch nachzudenken, wenn sie meine Aufmerksamkeit haben. Dialoge, die ich in diesem Kontext für die Ewigkeit geführt habe, gehen ungefähr so: „Kannst Du Baba, baba hazam halum gelum daza spielen?“ – „Meinst du Electrica Salsa von OFF?“ – „Jaja, genau.“ – „Aber das läuft doch gerade.“…
Manchmal geht es beim Musikwünschen gar nicht um den Wunsch an sich. Wünsche können auch ein Vorwand sein, um mit dem DJ privat ins Gespräch zu kommen. Ihn mit Fachwissen zu beeindrucken. Subtil vorgetragen geht es dann bei hauptsächlich männlichen Mitmenschen meistens darum, auch einfach mal für eine halbe Stunde die „plus minus acht“-Pitch-Control-Funktion am Plattenspieler bedienen zu dürfen. Entsetzlich sind die enttäuschten Augen, wenn man mitteilen muss, Die Toten Hosen mit „Tage wie diese“ leider nicht dabei zu haben. Verständnislose Blicke, dass man dem Geburtskind auch nicht mit „Happy Birthday“ von Mariah Carey oder „Stairway To Heaven“ eine Freude machen kann. Der Zuruf „Du hast ja gar nichts“ ist deshalb der ultimative Ritterschlag, den man während eines Sets entgegen geschleudert bekommen kann.
Es gibt aber auch Momente, wo dem DJ nichts Gescheites einfällt, und der Musikwunsch bringt die Lösung für das nächste Lied, auch wenn nur noch 30 Sekunden bleiben, bis der nächste Song loslegen muss. Denn es gibt sie immer, die Partyteilnehmerinnen mit dem Gespür für den Flow des Abends und der besseren Idee als die, die man selbst hat. Gerade, wenn man wie ich zwischen den Musikstilen herumjongliert, ist ein Hinweis wie „Jetzt Sofi Tucker wäre mega“ oder „Bester Zeitpunkt für Pisse oder Team Scheisse – ohne die kannst Du eh nicht nach Hause gehen“ oder „wenn Du jetzt noch Jimi Tenor mit ‚Take Me Baby‘ auspackst“ … das sind dann die Momente, wo ich nicht in einer von innen abschließbaren DJ-Box abenden will.
Ich besitze ein (natürlich schwarzes) T-Shirt mit der Aufschrift „I’m not a Jukebox, I’m a DJ”. Was nichts anderes bedeutet, als dass Musikwünsche quasi verboten sind. Es gibt nur eine Ausnahme zu der Regel: Der/die Wünschende hat offensichtlich eine gute Zeit und kennt mich persönlich. Dann lege ich sogar Linkin Park auf, aber niemals Frau F.
Onkel Rosebud