Von Onkel Rosebud
Meine Freundin denkt, dass im Bolero von Maurice Ravel ein Geheimnis liegt. Psst. Nicht weitersagen. Wenn man es ausplaudert, ist es keines mehr. Es handelt sich hierbei um ein universell heimelndes Ganzes, das so tief eindringt in die Seele, dass es noch gar nicht richtig erforscht ist. Deshalb wird es auch hier an dieser Stelle exklusiv nicht enthüllt. Wo kämen wir denn dann mit den schönen Forschungsgeldern hin. Ein Teil des Geheimnisses kann ich jedoch schon verraten: Es liegt in dem magischen berührenden Moment zwischen tragischer Unentrinnbarkeit und Sinne schwindender Trance, den dieses Meisterwerk zu kreieren im Stande ist. Wenn man sich darauf einlässt, ist diese Musik in der Lage, einen Rausch zu erzeugen, der sonst nur unter chemischen Stimuli erreichbar scheint.
Mehr dazu könnte sicherlich das Eistanzpaar Jean Torwell und Christopher Dean erzählen, die den Bolero Mitte der Achtziger Jahre für Ihre Performance ausgruben und für die breite Masse, die dazu mit offenen Mündern vor den Mattscheiben hockte, aufbereitete. Meine Musiklehrerin (Frau Lilo „Denn sie wusste um unsere Sachen“ Weise von der Erweiterten Oberschule „Juri Gagarin“) hätte hierzu hingegen nichts beizutragen gehabt. Ihre historische Nuance zum Thema reduziert sich auf ein Statement anlässlich eines von mir gehaltenen Kurzvertrages zu Maurice Ravel, der darin gipfelte, dass sich am Ende die ganze Klasse das Opus über die volle Distanz von 17 Minuten anhören musste: „Ist doch bloß Bumsmusik“, lautete ihr unreifer Kommentar. Hoppla!
Ravel selber soll ein akribischer Perfektionist gewesen sein, was auch die These „Je durchdachter Musik ist, desto weniger kann sie unmittelbar berühren“ widerlegen würde. Richtig durchdachte Musik kann umso magischer wirken, weil der Komponist wohl die Gesetzmäßigkeiten verstanden hat, die dahinterstehen. „Es ist ein Tanz in sehr gemäßigten Bewegungen und stets gleichförmig sowohl in der Melodie und der Harmonie wie in seinem Rhythmus, den die Trommel unaufhörlich markiert. Das einzige Element der Abwechslung bringt hier das orchestrale Crescendo“, lässt sich der Meister zitieren.
Das Geheimnis des Boleros ist zum Beispiel zu vergleichen mit der richtigen Antwort auf die Frage: „Warum arbeite ich?“ oder „Warum stehe ich überhaupt auf?“ Hier lauern also die Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens, wie zum Beispiel auch diese: „Warum Männer nicht zwischen Duschgel, Shampoo und Conditioner unterscheiden können.“ Sollte meine Freundin mal nach dem Geheimnis des Boleros gefragt werden, dann wird sie „R.O.S.E.B.U.D.“ flüstern.
Staatsbürger Onkel Kane
P.S.: Dieser Text erschien erstmals am 10. Oktober 2001 in ad-rem, Jahrgang 13, Nummer 19.