Tom Liwa – Der, den mein Freund kannte – Tom Liwa 2020

Von Matthias Bosenick (29.12.2020)

Auf Deutsch singen und Klischees umschiffen, das war mal möglich, in den Neunzigern, und von denen, die damals diese Wege einschlugen, ist Tom Liwa einer der Überlebenden, einer, der sich konstant entwickelte, vom Indierock über die Verwandtschaft zur Hamburger Schule zu Singer-Songwriter ohne Gejammer, esoterischer Kunstmusik, Heilungsmusik und – nun: Was macht Tom Liwa eigentlich heute? Er reflektiert über den Tod, musikalisch zurückgenommen und experimentell wie lang nicht, textlich enigmatisch wie immer. „Der, den mein Freund kannte“ ist eine Herbstplatte, die von Tod und Abschied handelt und also auch vom Leben, und der begleitend „Das Buch Tom“ mit Gedichten und Kunst zur Seite steht.

Der Eröffnungstrack könnte in die Irre führen: Man hört Liwa zur Akustikgitarre reflektieren, scheinbar in der Manier klassischer Singer-Songwriter, aber zu denen gehört er nicht, hat er nie gehört und wird er hoffentlich auch nie gehören, nicht mit diesem Song und erstrecht nicht mit diesem Album. Das schlägt nämlich ganz andere Wege ein: Liwa begleitet seine Texte mit einer Musik, die nicht zu kategorisieren ist. Man erkennt bisweilen nicht mal, mit welchem Instrument sie überhaupt erzeugt ist, ob Orgel, Trompete oder doch Synthie. Teilweise besteht sie aus unmelodiösen unaufdringlichen Drones, teilweise ergibt sie klare Songs, dem Pop möglicherweise nahe, ohne ihn zu bedienen, frei von Kitsch, und trotz der schweren Themen undunkel. Die akustische Gitarre erkennt man klar, doch findet sie nur spärlich den Weg in diese Musik, die bestens ohne sie auskommt. Auch Beats oder Schlagzeug gibt es gar nicht, zweimal lediglich einen zaghaft mit der Hand angeschlagenen Takt. Das Wort Ambient fällt.

Mit dieser zurückhaltenden Musik fokussiert der ausgewiesene Poet Liwa die Hörerwahrnehmung eben auf die Texte. In ihnen ist Liwa wie gewohnt bildhaft, manchmal rätselhaft, einem gefühlten Inhalt näher als einer klaren Darstellung, und damit sind seine Texte frei von greifbaren Banalitäten und somit auch – wie seine Musik – von Kitsch. Kein Deutschrock, kein Schlager, keine Radiotauglichkeit, das traf auf Liwas Musik schon immer so zu, selbst seine Flowerpornoes sind ja trotz ihrer größeren Eingängigkeit und Rockigkeit fürs Radio gottlob eher nicht gemacht. In seinen Texten transportiert Liwa sehr wohl auch Lebensweisheiten und Erkenntnisse, ohne Holzhammer, aber nachfühlbar; „jeder Abschied macht dich größer“, singt er etwa, und man schöpft Kraft aus seinen Worten. Da nimmt man es auch in Kauf, dass Liwa bei „Väinämoinen“ den letzten Umlaut vergaß.

Außerdem singt Liwa hier zur Musik passend zurückhaltender. Zwar reitet er noch wie ehedem gern auf einzelnen Noten herum, lässt aber dabei seine Stimme sich nicht mehr so schmerzhaft ins Gehör bohren. Das nahm man früher schon einfach so hin, weil man Liwa als Gesamtheit immer gut fand. Es wirkt hier nun, als hätte er mittlerweile viel zu viel erlebt, als hätte er es aufgegeben, dem Drang nach Überzeugungsarbeit nachzugehen, und wirkt damit noch weit überzeugender. Den Titeltrack beginnt Liwa ohne Musik, schlicht erzählend, und das im vertraut überheblichen Tonfall, wie man ihn von seinen Weggefährten ebenfalls kennt, beispielsweise von Bernd Begemann und Cpt. Kirk &. Das kann womöglich nerven, löst aber auch wohlige Erinnerungen an die Neunziger aus; hey, wir werden alle älter, und einige von uns sterben sogar, also ist es schön, wenn einer wie Liwa mit einem wie dem Hörenden altert und sich in einigen Aspekten eben treu bleibt.

Musik und Stimme sind auf „Der, den mein Freund kannte“ auf eine Art ausgewogen, dass man das Album nicht nebenbei hören mag, aus Angst, man könne etwas verpassen. Und damit liegt man auch richtig. Und wenn, nicht schlimm, man kann das Album ja mehrmals hören, und zudem auch im „Das Buch Tom“ weiterstöbern, damit schon beginnen, während noch der letzte Track läuft, der ist nämlich instrumental, und sich in Liwas Gedichten und der begleitenden Kunst seiner Frau Saskia Lippold verlieren. Das Buch gibt’s allein oder im Bunde mit dem Album sowie auch als Hörbuch auf einem USB-Stick, und das alles vertreibt der Duisburger Liwa komplett allein von seiner Wahlheimat Lüchow-Dannenberg aus, aus dem Wendland, genau gesagt. Handbemalte Steine im Webshop vertiefen den Eindruck von Esoterik, der Liwa jüngst noch ausgiebig frönte, aber eher philanthropisch-spirituell als im postmodernen Schwurbelsinne, gottlob.

Reduziert instrumentiert, raumschaffend, fesselnd, besinnlich: Liwa lässt sich vom Tod (anderer Leute) nicht kleinkriegen und hält den Kopf fortwährend über dem Wasser. Damit ist „Der, den mein Freund kannte“ zudem ein vortreffliches Corona-Dokument: Bis auf die Kunst übernahm Liwa sämtliche Instrumente, das Mixen, das Texten und den Vertrieb, machte also das Beste, was man aus einer virusbedingten Isolation als Künstler so machen kann.