Von Matthias Bosenick (05.01.2015)
Bei Thom Yorkes zweitem Soloalbum steht die Diskussion um den Vertriebsweg vor der um die Musik. BitTorrent, Bandcamp, Gratis-Downloads – und eine LP-Version für mindestens satte 40 Euro, das sind die Eckdaten zum Jahreswechsel. Damit sattelt Yorke auf den Coup um das Radiohead-Album „In Rainbows“ auf und macht sogar so ähnliche Musik, nur ohne Band dahinter, also rein elektronisch vertrackt mit seiner Stimme drin. Das Ergebnis ist jedoch eher Stimmung als Song – und damit latent enttäuschend, wenn auch auf hohem Niveau.
Catchy sind die Tunes nicht eben, das war auf „In Rainbows“ und dem Nachfolger „The King Of Limbs“ von Yorkes Hauptband Radiohead noch anders. Auch auf den wild diskutierten Post-Erfolgs-Zäsuralben „Kid A“ und „Amnesiac“ gab es massenhaft Hits, die sich lediglich in ihrer Struktur und Instrumentierung von den vorherigen Erfolgen unterschieden. So war aus der Grunge- und Alternative-Rock-Band eben eine experimentelle Electro-Gruppe geworden, die ihre herkömmlichen Rockinstrumente und damit ihre alten musikalischen Strukturen trotz aller Experimentierfreude nicht gänzlich vom Tisch gewischt hatte. Radiohead zeigten, dass man auch mit Breakbeats und Frickelelectro anrührende Songs produzieren kann. Nicht zuletzt das Seitenprojekt Atoms For Peace, das Yorke als Live-Band zu seinem ersten Solo-Album „The Eraser“ zwischenzeitig rekrutiert hatte, mischte satt und nachvollziehbar IDM-Elemente mit der Musik einer Rockband.
Wer über „Tomorrow’s Modern Boxes“ jammert, klagt über immer noch hohe Qualität. Acht Tracks bietet Yorke, mit extrem reduzierter Elektro-Instrumentierung, gebrochenen Beats, schwirrenden Atmosphäreneffekten und trotz seines markant hohen Gesangs ohne klassische Songstruktur. Uptempo wird es selten, meistens generiert Yorke Atmosphären, in die man sich dann fallen lassen kann. Eine schöne Abenduntermalung, eher für nach der Party als auf der Party oder zum Aufwärmen. Den Mainstream erreicht er damit gottlob nicht, der Radiohead-Fan dürfte trotz der Konditionierung der vergangenen 15 Jahre seine Zugangsschwierigkeiten haben. Es ist ein nettes Album, das man sich gut anhören kann. Die Aufregung ist es jedoch nicht wert. Und den Preis für die Vinyl-Version auch nicht, mal ehrlich.
Das ist heutzutage ein Unfug, mit dem Labels und Künstler den vermeintlich letzten ohnehin zahlungswilligen Fans zusätzlich Geld aus der Tasche zaubern wollen: Wer nicht wie alle anderen die Musik schlichtweg kopiert, ist offenbar dazu bereit, das Album seiner Lieblingsband im Deluxe-Format auch für weit mehr als den doppelten Preis der CD zu kaufen. Zwar bekommt der Fan damit oft tatsächlich etwas Wertiges in die Hand, kauft aber unterm Strich weniger, weil einfach weniger Geld für die anderen Deluxe-Editions der anderen Lieblingsbands übrig bleibt. Und oft ist dann der Mehrwert der Deluxe-Editions doch nicht den monetären Mehrwert wert. Die weiße Vinyl-Version von „Tomorrow’s Modern Boxes“ etwa kommt lediglich in einer Plastikeinschweißung, die Bestandteil des Artworks ist und somit auf keinen Fall geöffnet werden sollte, will man das Album als Wertanlage ins Regal stellen. Schon jetzt zahlen Kunden in zweiter Hand bis zu den dreifachen Preis dafür, also 120 Euro. Das ist der nächste enervierende Effekt limitierter Sondereditionen: Nicht nur Fans kaufen sie, sondern zu oft Geschäftemacher, die sie für noch horrendere Preise an Fans weiterreichen wollen.
Abgesehen davon erregte Yorke weltweite Aufmerksamkeit, weil er das Album zunächst als Torrent ins Netz stellte; im Gegensatz zu dem vergleichbaren Name-Your-Price-Coup mit „In Rainbows“ wies er dieses Mal immerhin sofort auf die Vinyl-Ausgabe hin. Dabei verdiente er dank freiwilliger Zahlungen der Fans für die Downloads trotzdem Geld. Als Muster für neue Vertriebswege dient dies nur bedingt, schließlich ist es bei Yorke die langjährig erarbeitete Anhängerschaft, die sein Modell erfolgreich sein lässt. Das können sich die wenigsten Künstler erlauben.
Von der LP steht jetzt im Januar überdies die dritte Auflage zur Pressung an, dieses Mal für den freien Markt, also hat es sich was mit der Exklusivität der Frühkäufer. Und Yorke bietet das Album jetzt außerdem auf seiner Bandcamp-Seite an, dazu den neuen Track „Youwouldn’tlikemewhenI’mangry“, der sich harmonisch in den Stil des Albums einfügt und dieses immerhin auf eine Dreiviertelstunde gestreckt hätte.
So bleibt der Eindruck, dass „Tomorrow’s Modern Boxes“ ein kreatives, reduziertes Nachtalbum geworden ist, das gut unterhält, sofern man aufgeschlossen ist, der Welt aber eigentlich nichts wirklich Besonderes hinzufügt. Wo bleibt eigentlich das Remix-Album von Atoms For Peace?