Von Matthias Bosenick (09.02.2022)
Antifaschistische Bands für antifaschistische Projekte: Das Ska- und Oi!-Kollektiv Rude Revolution mit dem trinkfesten Krokodil als Logo sammelt Songs von Musikgruppen, die mit ihrem Beitrag für den Sampler „Stay Rude Stay In Solidarity“ die Arbeit vom Bündnis gegen Rechts Braunschweig und vom Kulturzentrum Nexus unterstützen, die sich den Erlös aus dem Verkauf dieser Schallplatte teilen. Diese international belegte Auswahl eint, dass sie allesamt Nexus-Bühnenluft in den Lungen tragen und in der breiten Palette zwischen eben Ska und Oi!-Punk nicht nur Haltung zeigen, sondern auch noch gute Laune im Köcher haben.
Informationen zu den Songs basieren auf Auskünften von Rude Revolution. Danke dafür!
Seite A
Track 1: Rude Revolution – Intro
Der Basistrack zum eigens erstellten Intro ist „Dulcemania“ von Drumbago And The Dynamites aus dem Jahr 1968, darüber legte der Kurator der Compilation diverse Sprachsamples. Es beginnt mit einem Zitat von dem von Martin Flörchinger gespielten Karl Liebknecht aus dem DEFA-Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ aus dem Jahr 1954. Es folgt Black-Panther-Bürgerrechtler Fred Hampton mit dem Zitat „We‘re going to fight racism not with racism, but we‘re going to fight with solidarity“. Als drittes ist der spätere DDR-Präsident Wilhelm Pieck mit einem Auszug einer Reichstagsrede aus dem Jahr 1932 zu hören.
Es übernimmt die spanische Revolutionärin Dolores Ibárruri, genannt La Pasionaria, mit einer Rede aus dem Jahr 1936. Zunächst die Übersetzung:
Volk von Spanien, steht auf! Frauen!
Verteidigen Sie das Leben Ihrer Kinder!
Verteidigen Sie die Freiheit Ihrer Männer!
Jedes erdenkliche Opfer,
bevor sie dem Triumph der Kräfte zustimmen, die für eine Vergangenheit
der Unterdrückung stehen
eine Vergangenheit der Unterdrückung,
eine Vergangenheit der Tyrannei.
Alle gegen Reaktion. Alle gegen den Faschismus.
Eine einzige Front, eine einzige Einheit, Schulter an Schulter,
alle vereint, bis der Feind erledigt ist.
Nieder mit den verräterischen Generälen, nieder mit den
konterrevolutionären Elementen!
Es lebe die tapfere Volksmiliz!
Es leben die loyalen Kräfte, die Seite an Seite mit den Arbeitern kämpfen!
Es lebe die Republik!
Es lebe die Demokratie!
Nieder mit dem Faschismus!
Nieder mit der Reaktion!
Und das Original:
¡Pueblo de España en pie! ¡Mujeres!
¡Defended la vida de vuestros hijos!
¡Defended la libertad de vuestros hombres!
Todos los sacrificios imaginables,
antes de consentir que triunfen las fuerzas que representan
un pasado de opresión,
un pasado de tiranía.
Todos contra la reacción. Todos contra el fascismo.
Un solo frente Una sola unión, hombro con hombro,
unidos todos, hasta acabar con el enemigo.
¡Abajo los generales facciosos! ¡Abajo los elementos
contrarrevolucionarios!
¡Vivan las bravas milicias populares!
¡Vivan las fuerzas leales que luchan al lado de los trabajadores!
¡Viva la República!
¡Viva la democracia!
¡Abajo el fascismo!
¡Abajo la reacción!
Nach einem weiteren Zitat von Wilhelm Pieck beschließt Fred Hampton den Eröffnungstrack mit den Worten „Nothing is more important than stopping fascism, because fascism will stop us all.“
Track 2: Dynamo Ska – Get Away, von „In The Mood For Ska“, 2014
Ein Partytrack auf Ska-Basis, uptempo, mit Bläsern fett produziert und mit einer gutgelaunten Orgel an Bord. Hellt sofort die Stimmung auf. Dynamo Ska gilt als eine der dienstältesten Bands dieses Genres in Norddeutschland: 1996 gegründet, mehrfach umbesetzt und mit insgesamt vermutlich neun Musikern unter anderem aus Wolfsburg und Braunschweig, darunter der auch solo aktive Tobi Wan alias Tobias Friedhoff. Die Combo spielte bereits mehrfach im Nexus, hat diverse EPs, erschienen auf dem heimischen Brunzwicked-Label, und Sampler-Beiträge auf dem Zettel, darunter für die erste Spread-Music-Compilation, und ist als Teil des Stückes „100% Braunschweig“ des Staatstheaters auf der dazugehörigen DVD vertreten. Kein Wunder, dass die so gute Laune haben!
Track 3: Mason Arms – Halt den Mund, von „Von vorn“, 2019
Mit einem Bein in den Sechzigern stehen Masons Arms, die mit „Halt den Mund“ den eingängigsten Ohrwurm des an Ohrwürmern nicht armen Samplers vorlegen. Die Punkwurzeln der vor rund zehn Jahren an den Start gegangenen Kölner blühen jetzt als Sechziger-Reggae mit Orgel und latenten Ska-Ausflügen. Der Song versprüht ebenfalls gute Laune, obwohl das Tempo verlangsamter und die Botschaft eindringlich ist – und man das „Halt die Fresse“ eigentlich als Weckruf auffassen sollte, nicht als Aufruf zur Party. Nach einem Gig im Nexus 2019 sind die Arms für den März 2022 wieder fürs Nexus vorgesehen – sofern die pandemische Lage dies zulässt. Halt den Mund!
Track 4: Skassapunka – Here We Now Begin, von „Revolutionary Roots“, 2020
Bei Skassapunka stecken beide Musikrichtungen bereits im Namen. Ihr Song zieht das Tempo wieder an und kombiniert klassische Ska-Offbeats, eingestreuten Chicky-Chicky-Sounds, Bläser und Orgel mit fetteren Punkpassagen, ohne das Tempo zu wechseln. Eigentlich sind die Texte der 2008 gegründeten und mehrfach umbesetzten Band aus Lainate bei Mailand auf Italienisch, dieser Song gehört zu den Ausnahmen. Lädt zum Mitgrölen ein, wenn man gerade nicht abzappelt. Die Italiener waren selbstredend auch schon im Nexus zu erleben.
Track 5: T-Killas – Dandy And Rude, von „Awareness“, 2020
Als Third-Wave-Ska-Band bezeichnet sich das Quintett T-Killas aus Aschaffenburg. Offbeat und Bläser gehören auch hier zum Outfit, dazu Soul in der Stimme und ein Kopfnicken in Richtung Mod. Ein Saxophonsolo zu einem handgespielten Dub in der Mitte, herrlich. 2019 waren die T-Killas damit auch im Nexus zu Gast.
Track 6: Heavyball – Top Of Your Game, von „When Can You Start?“, 2017
Pfiffig und melodieselig geht es weiter mit Heavyball, gegründet in Nottingham und nun von London aus operierend. Das Quartett etikettiert seine Musik als „New Tone“, was bedeutet, dass es den klassischen 2Tone auf eine poppige Weise interpretiert. Man mag die Achtziger heraushören, aber tatsächlich ist der Sound eher zeitlos und der groovende Song eher hintergründig im Ska verankert. Bereits zwei Gigs im Nexus haben die Londoner im Lebenslauf, 2019 und 2020.
Track 7: The Easy Notes – Come With Me, von „The Easy EP“, 2020
Das geht so richtig zurück in der Zeit, was The Easy Notes aus Leipzig hier abliefern. Schleppend, authentisch, traditionell quasi, perlt der Reggae gekreuzt mit Rocksteady aus der Rille. Die noch frische Band, erst 2019 gegründet, besteht aus acht Leuten und punktet mit einer Sängerin. Der Song klingt nach Sommer, Entspannung, Palmen, Meeresrauschen und der Lust, das Leben einfach so zu gestalten, wie es sich eben anbietet. Mag man gar nicht umdrehen jetzt, die Platte.
Seite B
Track 1: The Spartanics – Right And Wrong, von „… It Sounds Spartanic!“, 2018
Sollte man aber, denn hier geht‘s mit Punk weiter, Oi!-Punk zumeist. Ebenfalls aus Leipzig liefern The Spartanics Streetpunk, schnell und rotzig und in der klassischen Trio-Besetzung. Mitgrölen geht hier bestens, sogar Bass- und Gitarrensoli sind erlaubt. 2018 waren sie in der Klaue und ein Jahr später im Nexus, laut Info von Kindesbeinen an befreundet und überdies im Visier des sächsischen Verfassungsschutzes. „Hey hey, society“, noch ein Ohrwurm, danke!
Track 2: Attention Trickster – Working Ant, von „Working Ant Hero EP“, 2018
Auch auf den Koffern von Attention Trickster klebt das Label Streetpunk. Das offenbar in Wolfsburg gegründete und nun in Braunschweig beheimatete Quartett orientiert sich am Punk der Siebzigern und transportiert ihn in die Moderne, mit fetten Gitarrenparts, Melodien zum Mitmachen und einem Tempo im oberen Mittelfeld. Sie waren mehrfach Gäste im Nexus und im B58.
Track 3: Snob City Boys – Our Storybook, exklusiv
Mit einem klaren Gesang heben sich die Wiesbadener Snob City Boys von den Oi!-Kollegen ab. Musikalisch hingegen bleiben sie auf Linie, spielen dichten Punk mit eingestreuten Shouts und Raum für Soli. Die Boys waren ebenfalls schon im Nexus, 2019 war das. Und sie steuern als einzige einen exklusiven Song zu diesem Soli-Sampler bei!
Track 4: Fontanelle – V.S., von „Noi!e Einträge“-10“, 2021
Zurück nach Leipzig: Fontanelle starten ihren Song auf eine Weise, die die Möglichkeit nahelegt, man bekäme es hier mit Hardcore oder Nosierock zu tun, nur um dann klassisch in den flotten Oi!-Punk zu schalten. Auch diese 2016 gegründete Skinhead-Band ist aufgrund ihrer ausgeprägt antifaschistischen Haltung dem Kuratoren zufolge auf der Liste des sächsischen Verfassungsschutzes. Und auf der des Nexus, da waren sie 2019 und 2021.
Track 5: First Attempt – Life Trap, Youtube 2021
First Attempt aus Hannover sind so frisch, dass es über sie im Internet so gut wie gar keine Infos gibt. 2018 gaben sie als Gefolge von Fontanelle im Nexus ihr Livedebüt und kehrten schon 2019 zurück. Ihr Oi!-Punk ist klassisch englisch, schnell, rotzig, mit Ohrwurm-Refrain und eingestreuten instrumentalen Elementen, die aufhorchen lassen. Das groovt und schreit nach mehr.
Track 6: Harbour Rebels – No Place For You, von „On A Journey“-10“, 2020
Die zweite Sängerin dieser Zusammenstellung haben die 2017 gegründeten Harbour Rebels aus, natürlich, Hamburg. Ihr Song geht derbe nach vorn, bietet Shouts, einen groovenden Bass und einer zurückgenommenen Passage, von der aus die Band das Inferno neu entfacht und die Mucke leicht in Richtung Hardcore driften lässt. Das Oi!-Streetpunk-Quintett spielte 2019 mit den Snob City Boys im Nexus.
Track 7: Hors Contrôle – Face à face, von „2000 2020“, 2020
Die dienstälteste Band schließt den Reigen ab: Seit über 20 Jahren gibt es Hors Contrôle aus Montceau-les-Mines (Region Bourgogne-Franche-Comté). Die Anarcho-Skins spielen reichlich fetten Oi!-Punk und brüllen ihre Texte auf Französisch. 2019 waren sie mit First Attempt und The Spartanics im Nexus. Was ein Brett zum Abschluss!
Die Schallplatte ist wahlweise als schwarzes oder goldenes Vinyl zu haben. Das Innenfoto des Klappcovers zeigt ein Foto des Gebäudes, in dem sich heute das Nexus befindet, aus dem Jahre 1993 – ein Stück Geschichtsstunde bekommt man zu dieser antifaschistischen Aktion also auch noch dazu. Und einen Downloadcode, übrigens: Zu streamen ist dieses Album darüber hinaus indes nicht. Muss man schon als Platte laufen. Sollte man auch!