Von Matthias Bosenick (29.10.2024)
Wer außerhalb Londons hat schon mal vom Dream Of Dr. Sardonicus Festival gehört, das alljährlich seit 2015 in The Cellar Bar im Stadtteil Cardigan vor kleiner Runde, nämlich nur ca. 150 Gästen, stattfindet? Man kann sich Ausschnitte dieses Festivals aus dem vergangenen Jahr jetzt – zusätzlich zu Komplett-Mitschnitten fast aller Beteiligten, siehe Text zu London Underground auf dieser Plattform – als Doppel-LP ins Haus holen, herausgebracht vom mitveranstaltenden Label Fruits de Mer Records. Zehn Bands, zwei aus Italien, der Rest aus dem Lande, zehn Genres, von Sechziger-Psychedelik bis Trance-Disco, ein herrliches Spektrum. Die Pläne für das Festival im Jahre 2026 laufen schon jetzt!
Den Opener „Tropic Of Capricorn“ kennt man bereits vom kompletten Mitschnitt von London Underground, der ersten italienischen Band des 2023er-Lineups. Zehn Minuten Orgel-Funk-Blues-Prog, herrlich oldschool und mitreißend, ein perfekter Auftakt. Das Projekt Spectral Streams besteht ausschließlich aus Derek Cook, dessen Track „Dust Storms On Mars“ schlägt in Sachen Stimmung und Herangehensweise den größtmöglichen Haken zum Vorgänger: Der Track – mit zwölf Minuten abermals unendlich lang – besteht aus spacigem Ambient, Chill-Out und Musik der klassischen Berliner Schule. Es folgt die instrumentale Prog-Band Sendelica aus Wales, die ebenfalls zu den Veranstaltern des Festivals gehört und auf ihrer Bandcamp-Seite die Mitschnitte komplett zum Download anbietet. Deren Mix aus „Maggot Brain“ und „Masters Of The Universe“ erreicht ebenfalls die zehn Minuten, geht nach der Hälfte von einem spacigen Blues mit ewigem introvertiertem Solo in ein amtliches Gebratze über und begibt sich mit entsprechenden Synthies in die Silbermaschine.
Abermals zehn Minuten dauert die Reise im „Space Tractor“, die Hanford Flyover hernach antreten. Das Stück stellt den nächsten Ausreißer aus dem Erwartungshorizont dar: ein Uptempo-Dance-Track, die Musik ist handgespielt und elektronisch gemischt, hat einen schönen Bassgroove, mit Gitarren und Synthies gleichwertig drüber. Ein tanzbarer Lärm, extrem energetisch. Lediglich gut neun Minuten lang ist „Sepia“, das folgende Stück von Consterdine, einem ewig improvisiertes Ambient-Gniedeln mit unterschwelligen Jazzanstößen, experimentell, eckig, fast ohne Rhythmen und wenn, dann sind sie irgendwie spukig; der nächste überraschende Ausreißer also aus der Vorstellung von einem Festival mit psychedelischer Rockmusik.
Mit Pinhdar folgen die zweiten Italiener des Lineups, über die auf dieser Plattform ebenfalls bereits berichtet wurde. Deren „Atoms & Dust“ kombiniert in lediglich sieben Minuten, was in dieser Runde ja beinahe kurz ist, analoge und elektronische Bestandteile zu einem Uptempo-Surf-Stück mit Orgel. Das wahrhaftig kürzeste Stück liefern McDowell & Westaway mit „Black Tar Acid“: In unter fünf Minuten kehren sie ihre Garage aus, zu Tage kommen versponnenes Gniedeln, Rock’n’Roll und Space Rock. „Ice Locks Up The Stones“ vom Dark Zen Kollective musste auf sieben Minuten gekürzt werden, schließlich bestand der gesamte mehr als einstündige Gig aus lediglich diesem Acid-Drone-Track.
Die Cary Grace Band, als einzige ohne komplettem Gig auf der Sendelica-Seite, widmet sich neun Minuten lang „Venus In Furs“ von The Velvet Underground in einer würdigen experimentellen Weise: Mit Drones und einem unterschwelligen Beat nähert sich die Band dem Song nur zögerlich, er schält sich erst allmählich aus den Soundscapes heraus und behält dann den psychedelischen Rock des Originals bei, gesungen indes sehr passend mit weiblicher Stimme, eben von der Bandnamensgeberin. Zuletzt gibt es mit „Café Emery Hill“ einen angeschrägten Sixties-Freakpop von Spygenius, mit unter fünf Minuten das zweitkürzeste Stück hier.
Ein sehr abwechslungsreicher Reigen also, nicht nur ausgehend von der Idee eines Festivals mit psychedelischer Rockmusik. Das mit der 19. Ausgabe vermutlich zum siebten Mal stattfand, weil 2015 als The 13th Dream Of Dr. Sardonicus gestartet, nämlich als Quasi-Fortsetzung des Albums „Twelve Dreams Of Dr. Sardonicus“ der US-Band Spirit aus dem Jahr 1970, das sich wiederum auf den Film „Der unheimliche Mr. Sardonicus“ aus dem Jahr 1961 bezieht.