Von Matthias Bosenick (04.11.2025)
Einige neue Singles und EPs erreichten das Emailpostfach: Oldschool-Rock’n’Roll von Faz Waltz, Goth-Balladen von Dramatika, Goth Rock von Sorry We Weren’t Here Before, Psychedelic-Rock-Pop von Messiness, Post Punk von Factheory, EBM von Mi6, Schamanen-Rock von Transnadežnost‘, Cabaret-Musik von Absent Sunday feat. The Bluestocking, Smooth Jazz von Georgeanne Kalweit, Folk von The Owl Service und Psychedelic Rock vom Behind The Sun Collective.
Faz Waltz – Your Lovin’ Really Got Me Wild – Head Perfume Records/Melody Bunker 2025
Da rock’n’rollt einem glatt der alte Elvis entgegen, wenn man „Your Lovin’ Really Got Me Wild“ der italienischen Band Faz Waltz aus Cantù auflegt. Boogie-Klavier, Oldschool-Sound, expressiver Gesang, Hüftschwung inklusive. Auf der Flipside, wie die Post-Boomer zur B-Seite sagen, gibt’s mit „If You Don’t Care About Me“ als Single-Version einen Tearjerker im Country-Stil mit Depri-Twang. Beide Songs sind nicht auf dem jüngsten Album „Endless Beat“ enthalten, kommen also exklusiv auf dieser 7“ heraus.
Dramatica – Jamaica (Remastered 2025) – Tanzende Kadaver 2025
Diese Post-Punk-Wave-Rock-Ballade erschien bereits vor vier Jahren, als Wolf Kadaver, Sänger der Tanzenden Kadaver, noch nach einer neuen Spielwiese suchte und die kurz darauf mit Wolf Kadaver & Die Betrüger fand. „Jamaica“ ist ein Liebeslied aus der Zeit nach der Liebe, also eines über Trauer, mit Mitsing-Passage, Synthie-Flächen, Akustikgitarre und sogar Piano mit E-Gitarren-Solo. Das große Kino also. Der „Buddy Bradley Mix“ versetzt den Song mit reduzierten Hall- und Dub-Effekten, das „Original Acoustic Demo“ bringt den Nachtrauernden sogar noch intimer an die Hörerschaft heran, denn Wolf Kadaver singt und spielt seinen Schmerz unmittelbar ins Ohr und ins Herz.
Sorry We Weren’t Here Before – Forest Lights – Agoge Records 2025
Als Neueinstieg im fast 50 Jahre alten Refugium Gothic Rock empfiehlt sich die Berliner Band mit dem kryptischen Namen Sorry We Weren’t Here Before, vermutlich als Anspielung darauf, dass sie älter klingen, als sie sind. Sie bedienen sich bei den Helden, von The Mission über The Sisters Of Mercy und The Cure bis hin zu Red Lorry Yellow Lorry oder The Fair Sex, also mit in die abgedunkelte Rockmusik integrierter Elektronik und tiefergelegtem Gesang, bis hin zu neueren Vertretern wie den Editors. Das Gebräu, das sie hier anrühren, versetzen sie mit passenden, aber nicht zwingend erwartbaren Details und Brüchen, tragen die Schwermut mit einer unterschwelligen – nun – nicht gerade Fröhlichkeit, aber Gelassenheit vor, die darauf verweist, dass man auch als Melancholiker Freude am Leben haben kann.
Dabei kommt dem Trio zugute, dass die Musiker offenbar bereits einige Erfahrung haben, also nicht ganz so neu dabei sind wie ihr Projekt, denn spielerisch gibt es an „Forest Lights“ nichts auszusetzen. Mit Gitarre und Bass generieren die Jungs hier mehr als nur heruntergerockte banale Songs, Keyboards erweitern das Soundspektrum, und auch kompositorisch passiert hier einiges; hervorzuheben sei hier das verschachtelte „Faithful Lights“. Diese Jungs sind: Sänger Robert Korić, Bassist Sandy Pötsch und Gitarrist Gianmarco Bellumori. Am Schlagzeug sitzt der Enkel von Doctor Avalanche. Wo die drei jeweils Erfahrungen sammelten, ist nicht so einfach zu recherchieren – Herr Pötsch scheint zumindest ein Orthopädieschuhmachermeister zu sein. Bei Bellumori handelt es sich nicht um den erstaunlicherweise gleichnamigen Schauspieler, sondern um den Sound-Engineer, der bereits haufenweise Musikproduktionen begleitete. Seit über 30 Jahren ist er offenbar Mitglied der italienischen Gothic-Rock-Band Blooding Mask, aber wer weiß, ob es sich dabei nicht um einen dritten Namensvetter handelt.
Messiness – Eternity Unbound – Tarla Records/StoneFree Records 2025
Leider nur ein Song: Die Mailänder Messiness spielen einen polyrhythmischen Psychedelic-Rock-Pop voller Energie und verträumter Hymnenhaftigkeit, leichtfüßig und mit Fuzzgitarre, irgendwo zwischen England und dem eigenen Universum. Der Song kündigt als vierte Vorab-Single ein ausstehendes Debütalbum an. Massimiliano Raffa ist Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Kopf dieses Projektes, umringt von Gitarrist Rosario Lo Monaco, Bassist Giovanni Calella, Keyboarder Filippo La Marca und Schlagzeuger Luca Anello. Das Album soll im Herbst erscheinen – der ist ja nun angebrochen. Die anderen Vorab-Singles waren „Fatally“, eine fast fröhliche raumgreifende Popnummer, „Feature Withj A Rapper“, was genau das sogar ist, eine psycheddelische Power-Ballade mit Kopfnicker-Rockismen und Sprechgesang nämlich, und „Previous Life“, das den Rock in den Pop trägt und ebenfalls das Psychedelische dabeihat.
Factheory – Bird Of Time – Factheory 2025
Ebenfalls nur ein Song: Auch Factheory aus Brüssel klingen älter, als sie sind, und sind im Post Punk und New Wave bestens aufgehoben. „Bird Of Time“ ist ein beinahe fröhlich anmutender melancholischer Wavesong, der im Refrain unerwartet losbratzt. Orgel und psychedelischer Gesang verleihen dem Song zusätzlichen Groove. Extra-Wavepopappeal holen sich Factheory mit ihrem Gastsänger ins Studio: Michel Sordinia von The Names, der belgischen Band aus dem Factory-Records-Umfeld, die bereits in den Siebzigern aktiv war. Mit ihm im Pub sitzen Bruno Uyttersprot, Charles de Reus, Dominique Nuydt und Stefan Steed Weidemann. Factheory selbst debütierten 2018 mit „Week-end au Black Studio“.
Mi6 – The Mind Machine – Mi6 2025
Die nächste Ein-Song-Veröffentlichung ist „The Mind Machine“, nicht von Deine Lakaien, sondern von Mi6, einem Nebenprojekt von Dominique Nuydt von Factheory. Die Gesangsmelodie dieser „Mind Machine“ erinnert stark an Kraftwerks „Radioaktivität“, der elektronische Einschlag kombiniert Synthiepop mit EBM. Mit Nuydt am Werk sind Richard Belgium (nicht Richard 23 aus Belgium!) und Jean-Luc „JHell“ Berge (von den Rockern GabbaLovers und einer Band namens Skin Deep). Klingt nach mehr Rock, als es dieser körperbetonte Electro-EBM-Track ist; eine Gitarre ist durchaus vertreten, aber nicht vordergründig.
Transnadežnost‘ – Persia – nonae/addicted Label 2025
Abermals nur ein Song: Während sich die umfangreich besetzte Band Transnadežnost‘ flott durch die Wüste spacerockt, setzt einer plötzlich die Trompete an. Sphärische Synthies und ein brutaler Bass setzen zusätzliche Akzente. Das Schamanische der Eigenbeschreibung setzt die Band aus Sankt Petersburg glaubhaft um: Wiederholung, entrücktes Gniedeln, alles in unerwartet hohem Tempo. Nicht schnell, aber mitreißend. Mit dabei: Gitarrist Alexandr Yershov, Bassist Artemiy Cherednichenko, Schlagzeuger Igor Yudin, Thereminspieler Ta Sha und Trompeter Alexei Gorshkov.
Absent Sunday feat. The Bluestocking – Passerby – Yandex Music 2025
Und wiederum nur ein Song: Für „Passerby“ verlegten sich Absent Sunday und The Bluestocking aus Moskau komplett auf akustische Instrumente, darunter neben den Rock’n’Roll-Klassikern auch Piano und Geige. Hier schwingt ein Cabaret mit, die Dresden Dolls lugen anerkennend hinter dem Vorhang hervor. In kaum sechs Minuten decken die Musizierenden einen ganzen Stapel diverser Stimmungen und Stile ab. Der klare, schöne, ausdrucksstarke Gesang von Ozma Nagatovna steht im Zentrum, insbesondere, sobald zum Ende hin ausschließlich das Piano sie begleitet. Mit ihr dabei sind Kira Mikheeva mit Gesang und am Flügel, Mila Yurist an den geigen, Aleksandr Konoplev am Bass und Hellen Dergaus am Schlagzeug. Auftakt für die Post-Punk-Goth-Kammermusiker Absent Sunday war 2018 die Single „LSD Grandma“ vom Debüt-Album „Extraversion. Introversion. Perversion“.
Georgeanne Kalweit – Tiny Space – NOS Records 2025
Und noch eine Ein-Song-Veröffentlichung: Mit der Single „Tiny Space“ startet Georgeanne Kalweit einen weiteren Neuanfang, dieses Mal als Solo-Künstlerin mit unbenannter Band. Ein sanftes Stück melancholischen Jazz-Pops ist dies, mit Besenschlagzeug, Vibraphon und Orgel, die diese Stimme begleiten, die stark an Nico erinnert. Vor drei Jahren erst erschien ihre letzte LP „A Temporary Lie With Georgeanne Kalweit“, die – zurückgeblättert – auf Projekte und Bands folgte wie The Kalweit Project, Kalweit And The Spokes sowie Delta V, damals als Gi Kalweit. In Minneapolis geboren, lebt und arbeitet die Musikerin seit Jahrzehnten in Italien. An diesem Song beteiligt sind Bassist und Keyboarder Giovanni Ferrario, Vibraphonist Diego Sapignoli und Organist Lorenzo Cortii. Wer all ihre sonstigen Aktivitäten aufzählen kann, bekommt einen Tiny Space.
The Owl Service – A Tribute To Sandy Denny – Fruits de Mer Records 2025
Zwei Songs von Sandy Denny covern The Owl Service aus Leigh On Sea im Vereinigten Königreich. Die Alternative-Folk-Band macht dies so zart und träumerisch, dass man sich in den Songs fallen lassen möchte. Kurioserweise erinnert die Musik hier mehr an die Nicht-Briten Cowboy Junkies als an die Gecoverte oder, sagen wir, deren wichtigste Bandstation Fairport Convention. Zurückgenommen Instrumentiert, steht der weibliche Gesang im Zentrum dieser sehr melancholischen Lieder. Ausgewählt sind hier „The Sea“ von Dennys Band Fotheringay und für die B-Seite „Genesis Hall“ von Fairport Convention, das allerdings deren Richard Thompson komponierte, aber nicht wild. The Owl Service gibt‘s auch seit bald 20 Jahren, das Trio besteht aus Dorothy Chappell, Rebecca Leivers und Steven Paul Collins.
Behind The Sun Collective – Children Of The Revolution/Maggot Brain – Fruis de Mer Records 2025
Psychedelisch widmet sich das Behind The Sun Collective aus Norwich zwei anders gelagert psychedelischen Songs, als sie hier zu hören sind: „Children Of The Revolution“ von T-Rex geht direkt ins All, mit spacigen Synthieeffekten direkt aus der „Silver Machine“, einer bratzig gniedelnden Gitarre sowie einem Zwiegespräch von freiem Frauengesang und männlichem Rap. „Maggot Brain“ auf der B-Seite ist hier kaum halb so lang wie von Funkadelic, aber dafür nicht wiederzuerkennen, so derbe geht dieses Stück Spacerock in fremde Universen. Vom Behind The Sun Collective gibt’s bisher erst das selbstbetitelte Debüt, das im vergangenen Jahr herauskam. Die Bandmitglieder nennen sich Cos, Shep, Kev, Andi, Robert und Dandelion Flowers, die den Gesang übernimmt.











