Von Matthias Bosenick (09.08.2024)
2024, die beiden verbliebenen Mitglieder des künstlerisch wie musikalisch unschätzbar einflussreichen Trios Die Trottelkacker aus der Samtgemeinde Velpke veröffentlichen 22 Jahre nach dem Ende jener Band neue Solo-Sachen. Der eine, Krüger, mit „GÜT“ eine Best-Of seiner Songs aus der Zeit von 2007 bis 2017, der andere nach Bandprojekten wie Müller & die Platemeiercombo und der weiterhin aktiven Müller-Verschwörung mit „Räume“ sein erstes echtes Solo-Album als Bo Müller. Behandelt Krüger mit fettem Indie-Rock gesellschaftliche wie emotionale Schief- und Tieflagen, reduziert sich Müller bei gar nicht so unähnlichen Themen auf seine Akustikgitarre. Bei aller Ernsthaftigkeit, Reife und musikalischer Perfektionierung: Die Kriegst die Jungs aus den Trottelkackern, aber die Trottelkacker nicht aus den Jungs. Und das ist GÜT so, das weitet Räume.
Kurzer Rückblick: In den Achtzigern schlüpften Die Trottelkacker aus Velpker Kellern, zunächst ohne große Kenntnis von Instrumenten und Songwriting, was gerade den Reiz des Trios ausmachte. Anarchie und Progressivität, absurder Humor und sich über Zeit enorm steigernde künstlerische Fähigkeiten, schnell vergrößerte sich die Schar der Fans und Geflogsbands. Krüger, Müller, Knotke waren im Schlagschatten der Autostadt größer und bedeutsamer als Die Ärzte, nicht nur bis zur Trennung 2002, auch noch heute, was etwa ein Festival wie „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt“ belegt, dessen Name explizit auf Die Trottelkacker zurückgeht. Und immer noch leuchten überall Augen, wenn jemand das „Open Arsch“ erwähnt.
Krüger – GÜT
Zwar grenzen sich Müller und Krüger längst künstlerisch von ihrem Etikett ab, einmal Die Trottelkacker gewesen zu sein, und doch finden sich deren Gene auch in der danach veröffentlichten Musik wieder. Eine Abgrenzung nimmt man etwa auch darin wahr, dass Krüger seine Best-Of zwar „GÜT“ nennt, quasi der Titel des Trottelkacker-Albums aus dem Jahr 1999, nur mit Umlaut, er darauf aber sein Solo-Debüt „Sprechen hier von Suppe“ komplett ausspart, das die Flamme der Kacker noch wesentlich deutlicher in sich trägt und bereits 2001 erschien, also ein Jahr vor dem finalen Album und dem Split des Trios; auch die Begleit-Maxis und die EP „Die Zwiebel ist schon in der Pfanne“ aus dem Jahr 2002 bleiben unberücksichtigt. So richtig los mit der Solo-Karriere legte Krüger nach eigener Auffassung also erst 2007, gut zehn Jahre lang veröffentlichte er Singles, EPs, Demos, Alben und bündelt nun ein Filtrat daraus in „GÜT“.
Auf Chronologie legt Krüger keinen Wert, vielmehr auf Dramaturgie: Seine Songs sind zeitlos genug, um in zeitlich veränderter Abfolge zu funktionieren. Im Grunde kann man seine Musik als Deutschrock bezeichnen, am ehesten noch als Indierock mit angenehmem Pop-Einschlag. Komposition und Arrangement sind darauf ausgelegt, dass man die Lieder sofort ins Herz schließt, dass sie im Ohr bleiben, dass sie ins Blut gehen. Auch zwischen Strophen und Refrains passen immer noch viele feine Details, die die schönen Songs garnieren. Und das macht der Mann auch noch beinahe komplett allein! Nur beinahe: Sobald Krüger die Drums nicht programmiert, lässt er sie von Olaf Ungeheuer oder Olli Pohl einspielen, letzterer auch Schlagzeuger bei der Müller-Verschwörung. Deren Chef spielt als Gast Klavier und Gitarre. Ebenfalls Gitarre trägt der international renommierte Christian „Krishn“ Kypke bei, und mit der Bottleneck schaut Fritz Aly um die Ecke – überdies Bandkollege beim anderen langjährigen Betätigungsfeld von Müller und Krüger, nämlich der psychedelischen Stoner-Rock-Band Grass Harp, von der in diesem Jahr eine neue EP ins Haus steht.
Den Trottelkacker-Humor lässt Krüger nicht vollständig fallen, vereinzelt dringt er noch durch, wenn er sich etwa in „Ballet“ in ein Tütü fantasiert oder in „Stuhl“ die fäkale Teekesselchen-Variante des Mobiliars ausspielt. Auch seine gesellschaftlichen Betrachtungen transportiert er mit dem Schalk im Nacken, dummes Gerede etwa würde er bei einem gegenüber gern ausschalten und fragt daher: „Wo ist der Knopf?“ Oder er bringt eine bewusst krude Sprache zur Anwendung, etwa in Titeln wie „Wir burnen“ oder „Grünspan und Entendreck“. Die meisten Songs indes handeln von einem idealisierten Leben, in der Grundierung mal befreit, mal melancholisch. Eine gewisse Schwermut lässt sich bei Krüger nicht leugnen, auch wenn er sie in Wohlklang und Anmut kleidet.
Eine Best-Of von Krüger ist überdies relevant, weil sie rare Single-Tracks und -Edits und B-Seiten birgt sowie von „Schweben“ den Mix von Andy Silver, abermals Bandkollege von Grass Harp, und überhaupt viele Songs, die es nicht auf Alben oder auf Bandcamp gibt. Auch Krüger-Sammler finden hier Vollständigkeit.
Bo Müller – Räume
Als Müller nach dem Album „Castafiore“ aus seiner Platemeiercombo die Verschwörung machen musste, weil einzelne Mitmusiker andere nichtmusikalische Aufgaben zu übernehmen hatten, überließ er das Mikrofon Roland Kremer, um sich besser auf sein Gitarrenspiel konzentrieren zu können. Für Freunde der Müllerschen Intonation dürfte es daher ein Geschenk sein, dass er seine Qualitäten nun solo ausspielt: Auf „Räume“ singt er wieder selbst und spielt auch sonst alles selbst ein. Er begleitet sich auf der akustischen Gitarre, baut aber auch mal Percussion, Field Recordings und Mundharmonika ein. Klar, Bob Dylan ist dann eine recht eindeutige Referenz, auch ein Nick Drake fällt einem ein. Das hängt auch damit zusammen, dass Müller ebenso verinnerlichte, nachdenkliche, philosophische Gedanken und Themen in Worte fasst, wie Krüger es vornimmt, und somit im Kontext mit der Klampfe das Ohr auf den melancholischen Singer-Songwriter von „Pink Moon“ richtet.
Was Müller gottlob nie sein lassen kann, ist, ungerade Rhythmen einzubauen, die man als Nicht-Auskenner nicht immer zuordnen kann – ist Swing oder etwas Lateinamerikanisches wie Bossa Nova, Cha Cha Cha, Merengue, Samba, Mambo, Salsa? Scharf ist es in jedem Fall, denn Müller integriert solche Spezialitäten so beiläufig, dass man schon hinhören muss, um sie wahrzunehmen, etwa als rhythmisches Klicken, und nicht als plakativen Beleg seines Könnens. Und Können, das hat er. Bei Müller ist die Gitarre nicht einfach nur das Instrument, das zu seinen Texten banal die Akkorde schrammelt, sondern etwas, womit sich Kunst erzeugen lässt, und das macht er. Filigran und behutsam, gleichwohl nachdrücklich zupft er die Saiten, kreiert wunderschöne Melodien und Harmonien, gibt dem Instrument eigenen Raum neben seinen Inhalten, teils auch, indem er Instrumetals zwischen den Liedern platziert. Hört man „Räume“, bekommt man den Eindruck, Müller säße neben einem und spiele diese Songs nur für einen selbst, ganz privat und persönlich. Ganz ohne latenten Stoner Rock, nebenbei bemerkt.
Zur Musik passen die Texte, reflektiert, introvertiert, gleichwohl ermutigend, motivierend, etwa das etwas energetischere „Tage des Dämmerns“. Der Aufruf zum Widerstand gegen die auf Erfolg formatierte Gesellschaft ist Müller spätestens seit „Von Müßiggängern und anderen Taugenichtsen“ ein Anliegen, hier etwa in „Zeitverschwendung“. Von Liedern wie diesem fühlt man sich direkt angesprochen, wie so oft auf dem Album, kann sich aber auch gut in die Rolle eines Kindes hineinversetzen, das diese Songs von seinem erfahrenen und liebevollen Vater zur Erbauung und Orientierung im Leben vorgesungen bekommt. So ernsthaft Müllers Anliegen auch sind, so verspielt verwendet er doch bisweilen die Sprache; da finden sich die Trottelkacker-Gene wieder, wenn er in seiner typischen Art formuliert und etwa Sachen wie „irgendwann kam ich dann auf den Hund“, „jetzt mach dir nicht ins Hemd“ oder „über dies und das parlieren“ singt.
Es ist ein Fest, Müller wieder selbst singen zu hören, und dann noch so unmittelbar. „Räume“ erhöht zudem die Vorfreude auf die bereits angekündigte zweite „Versuch und Irrtum“-EP der Müller-Verschwörung. Wie gut, dass Die Trottelkacker vor fast 40 Jahren, also neulich vor zwei Wochen, den Weg aus dem Keller fanden, sonst wäre dem Rest der Welt einiges entgangen.
GÜT: Das Beste von 2007-2017
01 Gütersloh (Single, 2010)
02 Wo ist der Knopf? (von „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“, 2009)
03 Hängemattennachmittage (Single Edit) (Original von „Banana Holiday“, 2016)
04 Ballet (von „Vor dem Tisch ist Stuhl“, 2017)
05 Unbemerkt verschwinden (Single Edit) (Original von „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“, 2009)
06 Hass ist immer noch mein Lieblingsgefühl (Single, 2007)
07 Schweben (Andy Silver Mix) (Original von „Der Masterplan“, 2012)
08 Nur du und ich (von „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“, 2009)
09 Scheißegal Gefühl (Single Mix) (Original von „Banana Holiday“, 2016)
10 Fein fein fein (von „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“, 2009)
11 Seifenblasen (von „Der Masterplan“, 2012)
12 Grünspan und Entendreck (von „Myspace-Singles“, 2007)
13 Stuhl (von „Vor dem Tisch ist Stuhl“, 2017)
14 Wir burnen (von der Single „Nu du und ich“, 2009)
15 Der Masterplan (Edit) (Original von „Der Masterplan“, 2012)
16 St. Nimmerleinstag (von „Unerhört EP Vol. 1“, 2021)
17 Nichts überstürzen (von „Banana Holiday“, 2016)
18 Morgengrauen (Edit) (Original von „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“, 2009)