Von Matthias Bosenick (30.11.2023)
Lediglich sechs Platten bringt der hyperaktive Zauberschlagzeuger Jörg A. Schneider im Oktember heraus, doch während dies eine Niederschrift erfährt, verschickt er schon die siebte. Seine Improvisations-Kollaborateure sind dieses Mal Gitarrist Thomas Kranefeld, Gitarrist N, Gitarrist Mikel Vega, Gitarrist Barley Rantilla, zum zweiten Mal Gitarrist Michel Kristof sowie unter dem Alias The Nude Spur abermals Thomas Kranefeld. In Zustellung befindet sich zudem das zweite Album mit dem verräterischen Titel „Dos“ des Projektes Glimmen. Falscher Name eigentlich: Der Mann glimmt nicht, er brennt – wie die Feuer auf den Plattencovern.
Schneider | Kranefeld (Vinyl)
Die Gitarre von Thomas Kranefeld, Impro-Gitarrist aus Neukölln, klingt wie eine klassische Jazz-Gitarre oder wie die, die man bei Bob Dylan erwartet, also unverzerrt angeschlagen – wobei angeschlagen wohl der richtige Ausdruck ist: Kranefeld und Schneider improvisieren keine Musik, die man an klassischen Mustern festmachen kann. Keine Melodien, keine festen Rhythmen, sondern aneinandergereihte Töne von zwei Menschen, die selbstvergessen ihre Instrumente umeinanderkreisen lassen. Keiner von beiden hat den Drang, die Oberhand zu gewinnen, beide agieren nicht neben-, sondern miteinander, sie geben sich gegenseitig die Möglichkeit zur freien Entfaltung, und frei ist die Entfaltung hier allemal. Im Verlaufe des Albums steigern sie sich umso mehr in ihre Versunkenheit und prügeln die Seele aus ihren Instrumenten heraus, „Drunken Searchers“ auf der B-Seite etwa ist ein rasendes Etwas, das in voller Wucht aus die Hörenden zukommt, und das schlichtweg durch gesteigerte Spielintensität. Zum Schluss packt Schneider die Kuhglocken aus, die er zu „The Magnificent Liberty Valance“ in sein zufallsgesteuertes Set integriert.
Das Selbstversunkene überträgt sich bestens auf die Hörenden: Das Album hat auf weiten Strecken etwas Kontemplatives, trotz der Nervosität, die es ausstrahlt. Grundsätzlich ist es immer wieder unfassbar, dass die Aufnahmen der an Schneiders Kollaborationen beteiligten Instrumente nicht immer im selben Raum und im selben Moment stattfanden. Wie machen die das?
Schneider | N (Doppel-Vinyl)
Anders als mit Kranefeld betitelt Schneider die sechs Tracks mit Hellmut Neidhardt alias N (oder auch n) auf Deutsch, nicht auf Englisch, und sogar auch mal im Dialekt. Die „Geteerte Teufelin“ eröffnet das Album, es geht weicher zu, was beide Instrumente betrifft, sanftere Snares und Toms, flächige, ambientartige Gitarren, aber dennoch ist es Noise, Drone, was dabei herauskommt. Dunkle Watte. Auch hier verzichtet Schneider auf gerade Takte und steigert sich in sein treibendes Klickern hinein, als sei er Sisyphos. N besorgt dazu dröhnende Flächen, und trotzdem wirkt das Ganze warm und wohlig. Wie ein Boot auf hoher See in wechselnden Wettern verändern die beiden Musiker Intensität und Stimmung, zwischenzeitig schälen sich sogar erkennbare Akkorde heraus, und über allem liegt eine unfassbare Schönheit. Selbst ein Power-Drone wie „Am jröne Meerke“ mit dem extrem aktiven, jetzt wieder härteren Schlagzeug zu den fuzzy Soundscapes kann seine Schönheit nicht verhehlen. Dem Gehirn gelingt es sogar, aus dem Gehörten einen melodischen Postrock zu formen, der in Wahrheit in dieser Form gar nicht vorliegt.
Ab „Elken“ unterbricht das Duo den Drone, die nervösen Drums bleiben, aber N bedient seine verzerrte Gitarre nicht mehr flächig, sondern abgehackt, und bratzt alsbald auch richtig los. Hier wird die Analogie zu Neil Young auf Höhe von „Dead Man“ oder „Le Noise“ am deutlichsten, auch wenn sie bestimmt nicht beabsichtig ist. Zum Ende des langen Albums hin verliert sich die Gitarre, N tritt hinter Schneider zurück, seine Drones werden milde und zögerlich, zurückhaltend, derweil Schneider galoppiert, was das Zeug hält. Die beiden faden gemeinsam rauschhaft mostend aus der Session aus, die übrigens dieses Mal live in Schneiders Studio stattfand. Kleiner Exkurs zum Dortmunder Landschaftsarchitekten Neidhardt: Seine Betätigungsfelder sind angenehm breit gefächert, von Sludge-Doom mit ORT, dem Duo Scatterwound mit dem Belgischen Industrial-Pionier Dirk Serries sowie Ambient-Drone mit den Projekten Tape Measure Kid, No und [multer].
Schneider | Vega (Vinyl)
Es ist schier unglaublich, wie viele Impro-Musiker es weltweit gibt, und es scheint, als kenne Schneider sie alle. Mikel Vega ist Gitarrist aus Bilbao, entsprechend sind die sechs Tracks auf Baskisch betitelt. Während Schneider sein Schlagzeug behutsam drischt, verwendet Vega seine Gitarre wieder anders als die beiden anderen Gitarrenkollaborateure zuvor: Zwar erkennt man das Instrument zunächst noch im Opener „Outsiderraren Begirada“, „Der Blick des Außenseiters“, doch hat Vega in seinem Studio haufenweise Effektgeräte herumliegen, mit denen er Töne aus seinem Instrument herausholt, die es komplett gar nicht mehr wiedererkennbar erklingen lassen. Nicht nur schaltet er Hall und Echo und sonstige Verzerrer zwischen die Kabelage, manches erinnert plötzlich an Electrospielereien, an Morseapparate, an SciFi-Filme der Fünfziger, anderes an Glockengeläut, Sturmgebraus, Eisenbahnen oder Schiffssirenen, und dann hat er plötzlich einen – schnell wieder vorübergehenden – Twang, als wäre er Chris Isaak.
Vega beherrscht die Wechselbäder, was nicht wundert, schaut man sich in seiner üppigen Discographie um: Mit Black Earth macht er eine Mischung aus Dark Ambient, Black Metal und Noise, mit Killerkume experimentellen Noise, mit Loan Sludge Metal, mit Orban Unit Free Jazz und Post Rock, mit Wolkokrots abstrakten Experimental-Noise sowie mit vielen anderen Musizierenden weitere unvorstellbare Projekte. Wie jetzt dieses mit Schneider. Der Hückelhovener umrahmt Vegas irrsinnige Spielereien mit seinen kaum weniger irrsinnigen Schlagzeugimprovisationen, er passt sich an, wird leise raschelnd, klickert, wo es erforderlich ist, und klöppelt an anderen Stellen emsig auf den Elementen seines Sets herum. Schade, dass hier niemand die Titel singt: „Suzko Enborrak Trinkotu Du Bere Gorputza“ heißt „Der Feuerscheit hat seinen Körper zusammengedrückt“, sagt das Internet, und das liest sich schon, als würde es sich gesungen spannend anhören. Was es selbstredend auch so schon macht.
Schneider | Rantilla (CD)
Mit Barley Rantilla von der Doom-Sludge-Noise-Band Rebreather (ehemals Package E) aus Youngstown, Ohio, verfällt Schneider unerwarteterweise in nachvollziehbare Rhythmen: Auf „Nyanbinghi“ gleich, dem ersten der vier Tracks, drischt er voran, als sei er Drummer in einer Speed-Metal-Noiserock-Band. Urst geil, fett gespielt, schön nach vorn und trotzdem mit den experimentellen Elementen drin, die Zeit dafür hat er dann auch noch. Dafür dreht Rantilla frei: Was er seiner Gitarre entreißt, hat mit Musik und Harmonie nun gar nichts mehr zu tun. Feedbacks, lang anhaltend, hochtönige Drones, nadelspitzer Lärm, der sich ins Gehirn bohrt, während Schneider die wilde Pferdeherde in den Abgrund treibt.
Erst auf dem dritten Track „Blacklight Solutions“ nimmt Rantilla sich zurück und lässt zunächst lediglich minimalistische undefinierbare Effekte erklingen, zu denen Schneider sich an seinem Drumset in Rage kloppt. Es muss schon die Hälfte des Stücks, also zehn Minuten, vergehen, bis es dazu kommt, dass Rantilla sich nicht mehr zurückhalten kann, allmählich seine Zahnarztbohrer wieder aus der Schatulle holt und heimlich anschließt. Man sieht es förmlich, wie er sich verstohlen umschaut, ob ihn keiner sieht, hinter seinem Rücken nach dem Einschalter sucht, daran herumhantiert und so tut, als sei es ein Versehen, dass dabei Geräusche entstehen, und es dann einfach laufen lässt, weil, ist ja jetzt eh nicht mehr zu ändern. Ach, und wem gehört eigentlich die Kreissäge, die hier rumsteht? Wann hat eigentlich jemand zuletzt den Feueralarm hier getestet? Und Schneider wetzt dazu die Drumsticks. Die letzten zehn Minuten, „Rock Bottum“, könnten dafür glatt als regulärer Sludge-Noise-Track durchgehen, der etwas in Schieflage geraten ist – als würden die beiden Musiker die Zuhörenden für ihr Durchhaltevermögen mit etwas Vertrautem belohnen wollen.
Schneider | Kristof (CD)
Etwas verwirrend für Sammler und Desorientierte ist der Umstand, dass die zweite Kollaboration von Schneider und Michel Kristof aus Paris keinen von der ersten abweichenden Titel trägt. Man kann sie immerhin am Format unterscheiden: Die erste Zusammenarbeit gab’s auf Vinyl, die zweite auf CD. Naja, die Cover unterscheiden sich außerdem. Und die Musik auch, obgleich die Voraussetzungen sich ähneln: Kristof hantiert selbstversunken an seiner unverzerrten Gitarre herum, holt aberwitzige Sounds aus ihr heraus, unwirkliches Gefrickel, kontemplative Effekte, komplett ungitarrische Geräusche, Knarzen, Orgeln, Zischen, Kreischen, Piepsen. Eile hat er dabei keine, einen dichten Soundteppich webt er ebenfalls nicht, er lässt Lücken, konzentriert sich auf seine Vorhaben, setzt Akzente.
Anders Schneider, der zunächst einen Drumteppich ausrollt, und hier passt wirklich das Englische to roll the drums: Er generiert die rumpelnde Grundlage für das, was Kristof an seiner Apparatur veranstaltet. Das verschiebt sich alsbald, Kristof zieht auch mal anhaltende Töne aus seinen Saiten, doch ist da von Melodien noch lang keine Rede. Ebenso wenig wie von Rhythmus bei Schneider, der im Verlauf auch mal den Teppich zerstückelt und seine Klackgeräusche einzeln neben die Effekte von Kristof stellt. Schneider hat in Sachen Veröffentlichungsmenge überdies in Kristof seinen Meister gefunden: Auf Discogs sind bei dem Franzosen rund 140 Alben und EPs gelistet – und das auch nur bis 2021. Es dürften inzwischen also um die 200 sein.
The Nude Spur (CD)
Der wilde, wilde Westen fängt dieses Mal gleich hinter Hückelhoven an: „The Nude Spur“, also „Der nackte Sporn“, gibt die Reiterrichtung vor, auf dem Album erstellen Kranefeld und Schneider sieben Tracks, die alle „Sheriff, You Forgot Your Pants“ heißen und schlichtweg durchnummeriert sind. Musikalisch indes ist von Western nichts zu wollen: Schlagzeuger und Gitarrist improvisieren herum, aber anders als auf „Schneider | Kranefeld“. Der Gitarrist verwendet ein Instrument mit anderem Sound, unverzerrt auch hier, aber weniger eindeutig einem Genre zuzuordnen. Kranefeld gniedelt herum, Schneider scheppert, gemeinsam reiten sie in etwas, das sie irrigerweise für den Sonnenuntergang halten mögen, doch ist der Weg dahin so uneben, dass sie permanent aus dem Tritt kommen und darob sauer werden. Dem Album liegt eine Aggressivität zugrunde, die es auf den anderen so nicht wahrnehmbar gibt, und diese Aggressivität löst beim Hörenden eine Nervosität aus, sogar ein latentes Unwohlsein, man empfindet sich zur Raserei angestiftet. „The Nude Spur“ ist ein Parforceritt, auf eine Art intensiv, dass nicht einmal auffällt, dass die Musik keinen gängigen Strukturen folgt.
Für Kranefeld ist The Nude Spur nicht das einzige Impro-Duo, dessen Hälfte er ist: Mit Schlagzeuger Sebastian Fäth veröffentlichte er in diesem Jahr als Kalmäuser die „Deborah Kerr EP“.
Glimmen – Dos (Vinyl)
Dieses Album kommt erst noch und ist auch gar nicht Teil von Schneiders Collaborations-Reihe, obwohl es über Schneiders Bandcamp-Seite bestellbar sein wird. Eigentlich erscheint es auf dem Label Soutrane Recording Company aus Milwaukee und birgt neben den Hauptakteuren Schneider und Multiinstrumentalist Jason Wietlispach so viele Mitwirkende, dass es allein deshalb konzeptionell aus dem Rahmen der Reihe fällt. Tracktitel wie „Tunneln Sie einfach am Ende des Lichts“ sind jedenfalls schon mal vielversprechend.
Beteiligte sind Dr. Mark Mantel (veröffentlichte im vergangenen Jahr auf Soutrane sein Solo-Album „Percussion Pieces“, an dem auch Wietlispach mitwirkte), Dave Gelting (von der Band I-Beam und Solo-Musiker, war auch am ersten Glimmen-Album beteiligt), Chet Garrett (ebenfalls Wietlispach-Buddy), John McCoy (ebenfalls I-Beam, dazu Field Of Sound sowie Wietlispach-Veröffentlichungen), Davey Rothenmaier (abermals ein Wietlispach-Gefährte) und Joshua Phillip Lesniak (auch I-Beam und weitere Wietlispach-Projekte).
Ob es das von Schneider bis Weihnachten gewesen sein wird? Das dritte, bislang unbetitelte Album (möglich ist „No. 8“) seiner Band Teen Prime ist jedenfalls bereits aufgenommen, deren noch ältere EP „No. 5“ bislang ebenfalls unveröffentlicht. Und irgendetwas hat er bestimmt außerdem noch in der Schublade.