Rosa Vertov – Day In Day Out – Crunchy Human Children 2021

Von Matthias Bosenick (25.10.2021)

In der Musik des Warschauer Quartetts Rosa Vertov passiert mehr, als man im ersten Eindruck wahrnimmt: Die chillige, melancholische, stille Indierockmusik birgt enorme Tiefen. Kaum gewöhnt man sich an das Ätherische, unterwandert der dezent eingestreute Lärm die Musik. Nicht durchgehend und allumfassend, und damit jedes Mal aufs Neue überraschend. Auch Album Nummer zwei, „Day In Day Out“, bewegt sich im Wortsinne traumwandlerisch zwischen Heavenly Voices und Noisrerock. Wunderschöne Musik mit dem wunderschönem Gesang der vier Musikerinnen!

Auf eine höchst spannende Weise sind Rosa Vertov uneindeutig, sie lassen sich nicht auf ein konkretes Genre festtackern. So geht das heutzutage! Im weitesten Sinne spielen sie Rockmusik, und zwar eine erheblich reduzierte Form davon. Man könnte beinahe Folklore anführen, womöglich so etwas wie Neofolk, angesichts der Melancholie und Schwermut, die das Quartett transportiert. Sobald die vier dann aber auch mal dezidiert ihr Instrumentarium mit Verzerrern verfremden, der Bass etwa auch mal fuzzy dröhnt, oder um unerwartete Musikalien wie Saxophon, Orgel oder Akkordeon erweitern (nicht alles davon auf jedem Album), überschreiten sie die vom Hörer gedachten Grenzen. Indes, der Noise erfüllt seine Charakteristika bei Rosa Vertov nicht absolut, sondern nur in Relation zu der ansonsten zurückgenommenen Musik; Lärmausbrüche wie bei den Swans sind hier nicht zu erwarten, auch wenn das Quartett etwa deren Schwere musikalisch zu tragen in der Lage ist.

Diese Düsternis lässt Rosa Vertov vorsichtig im Waverock verorten, mit dem verhuschten Gesang und der Instrumentierung ungefähr auf Höhe der Cranes. Die geisterhaften Gesangsmelodien, bisweilen mehrstimmig vorgetragen, wiederum kennt man aus skandinavischer Indierockmusik, etwa von Under Byen, Stina Nordenstam oder Jomi Massage, sowie aus dem Heavenly Voices, was wiederum irreführend in Richtung Gruftmucke deutet. Dabei wären genau genommen sogar Kategorien wie Shoegaze oder Postrock dichter an der Wahrheit gelegen. Herkömmliche Songstrukturen halten Rosa Vertov nicht ein, auch wenn es sich bei ihren Stücken sehr wohl um Lieder handelt. Die Musik hat beinahe etwas Hippieskes, jedoch aus der Zeit nach dem Erwachen aus dem Traum vom Sommer der Liebe, also mit einem Bein auf dem Boden der Realität und dem Kopf weiterhin irgendwo im Nebel.

Mit „Dreamlike (Part 2)“ deutet das Quartett nicht nur seinerseits den Dreampop an, sondern verweist auf das Vorgängeralbum „Who Would Have Thought?“ aus dem Jahr 2017, auf dem der erste Teil dieses Songs zu hören ist. Weitere Veröffentlichungen der Warschauerinnen waren bislang eine EP auf Kassette sowie zwei Non-Album-Singles. Zur Band gehören: Kasia Dziąg (Bass, Maracas und Orgel), Olga Gniadzik (Rhythmusgitarre), Zosia Jakubowska (Schlagzeug) und Julia Szostek (Leadgitarre, Orgel, Delays) – Gesang steuern sie alle vier bei, für einige Stücke holen sie sich gern Gäste dazu.

Eine wundervoll eigenwillige Band, verhuscht und nachdrücklich, nur oberflächlich soft, immer mit der Faust in der Tasche. Die vier stricken den Indierock um und verweben darin Elemente aus anderen Gewerken. So muss das sein.