Von Matthias Bosenick (30.12.2020)
Sie sing auf Englisch! Man kann sie plötzlich verstehen, sofern man nicht sowieso Dänisch spricht, denn als sie noch bei Under Byen war, gehörte es zu den wundervoll mystischen Parametern jener Band, dass man ihr dänisches Säuseln einfach mal nur als Stimme und also als Instrument auffassen und sich unabgelenkt in der Musik fallen lassen konnte. Plötzlich bindet sie den Hörenden an ihre Worte, und dabei entgeht ihm womöglich, dass ihr Solo-Debüt musikalisch in manchen Teilen nicht so weit weg ist von dem, was sie mit Under Byen machte: verträumt, vertrödelt, versponnen, hier nur eher assoziativ barjazzig. „Something Wonderful“, fürwahr!
Das Hauchen ist Sennenvaldts vornehmliche Gesangsart, verhuscht und sowohl unvorhersehbaren wie schwer merkbaren Melodien folgend, wie improvisiert, wie instinktiv vorgetragen. Eine Chorgemeinschaft mit Björk und Stina Nordenstam wäre da eine attraktive Idee, wobei Sennenvaldt selten bis nie die Aggressivität einer Björk rauslässt, auch wenn ihre Stimme mal klarer klingt. Nein, die Dänin schleppt sich durch ihre schleppenden Lieder, und so muss das auch.
Sennenvaldts Form von Jazz ist nicht atonal frei, sondern erinnert eher an „Laughing Stock“ von Talk Talk respektive das Soloalbum von Mark Hollis, also einer sehr kunstvollen Art von Pop, wenn man so will, und trotzdem als Jazz noch frei genug. Ihre Musiker klimpern dezent vor sich hin, vermeintlich unstrukturiert und nicht kontinuierlich, mit Kontrabass, mit Besen gespieltem Schlagzeug, nach Westernart getwangten Gitarren, ungedämpftem Klavier, geisterhaften Flöten und diversen akzentuiert eingesetzten Blasinstrumenten. So richtig wiedererkennbare Songs ergeben sich dabei nicht, die Stücke fließen ineinander, tragen Brüche, Improvisationen, Leere, und erst, wenn man das chillige Album einige Male auf dem Plattenteller rotieren ließ, erschließen sich auch die Übergänge. Insbesondere die Vorabsingle „Clumsy“ hat einigen Swing, und „In A Superior Innocence“ hat noch die konkretesten Liedformen.
„Something Wonderful“ ist weitaus jazziger als alles von Under Byen, und doch lässt sich Sennenvaldts Stammband immer wieder heraushören, was natürlich an ihrem Gesangsstil liegt. Auch bei Under Byen gab es bisweilen eher unkonkrete, also dem Jazz nahe Songstrukturen, doch anders instrumentiert, komponiert und arrangiert – Tanztracks, Industrial, Folk, wuchtige Opulenz findet man auf „Something Wonderful“ nicht einmal im Ansatz.
Offiziell haben sich Under Byen nie aufgelöst, doch ist das letzte Studioalbum „Alt er tabt“ bereits zehn und das nachgeschobene Livealbum „Protokol“ sieben Jahre alt. Und die Band aus Århus hätte dieses Jahr ihren 25. Geburtstag feiern können, stünde nicht auf der Bandcamp-Seite Sennenvaldts, sie sei die „frühere Sängerin“ von Under Byen. Ein Bandkollege Sennenvaldts, der Violinist Nils Gröndahl, ist immerhin auch an „Something Wonderful“ beteiligt; über die weiteren Musiker erfährt man leider nichts. Nur, dass Peter Barnow, königlich ausgebildeter Mixer aus Kopenhagen, bei den Aufnahmen seine Hand an den Reglern hatte. Auf der Seite des Labels sind John McEntire von Tortoise und Mike Hillier als weitere Produzenten vermerkt sowie Hinweise darauf gegeben, dass Sennenvaldt mit ihnen die acht Songs zwischen 2016 und 2019 in Chicago, London und Kopenhagen aufnahm. Überraschend, denn dafür wirkt es doch angenehm kohärent. Die Vinyl-Version von „Something Wonderful“ ist übrigens orange, und die Musik ist definitiv etwas Wundervolles. Nur das Cover ist hässlich.