Dream Invasion – 50 – db2fluctuation 2022

Von Matthias Bosenick (28.02.2022)

Anlass für den Track seines Projektes Dream Invasion, dessen Länge im Titel definiert ist, ist ein Posten in Erwin Jadots Leben, der mit der darin enthaltenen Nummer korrespondiert: sein 50. Geburtstag. Nun könnte man meinen, Jadot nähme sich pro Jahr eine Minute Zeit, um das Erlebte in Musik zu verpacken, und der Track wäre ein turbulenter Reigen an kunterbunten Ideen, aber weit gefehlt: „50“ ist Ambient und erweckt den Eindruck, der Komponist müsse sich nach der zurückliegenden Zeitspanne erstmal erholen. Das sei ihm gegönnt, und mit dem Album im Ohr schließt man sich ihm gern an. Eine abenteuerliche Geschichte erzählt es nämlich trotzdem, nur stiller.

Und wie sanft das Album beginnt. Jadots Kindheit muss wohlbehütet gewesen sein, man hört zunächst lediglich einen chilligen Ton, der leicht die Höhe variiert, ungefähr bis der Künstler eingeschult wird, dann gesellt sich ein gelegentlicher Drone hinzu, verbunden mit wellenartigem Rauschen alle paar Monate. Der Ton wird deutlicher, verdoppelt sich, bekommt Zuwachs, wird in Kombination mit dem sich häufiger einschaltenden Drone kurzzeitig auch mal dissonant, bevor er knapp zum Eintritt ins Teenageralter den Anschein erweckt, einer Kirchenorgel zu entspringen.

Mit 15 verstärken sich die Drones, die Sounds bündeln sich zu einem einzelnen, schwellen an und ab und bilden den Übergang zur Volljährigkeit, indem sie fokussierter die vorherigen Elemente hinzuziehen, das Rauschen, den einsamen Sound, dezidiert gesetzt. Mit 18 geht es aufwärts, wird lauter, neue Sounds gesellen sich hinzu, Keyboardflächen, die sich über die folgenden zwei Jahre bündeln, konzentrieren und in die Höhe schrauben, dass man beinahe den Eindruck eines Horror- oder Suspense-Soundtracks bekommt. Die US-Volljährigkeit markieren dann bassige Patterns, die erstmals so etwas wie einen Rhythmus vorgeben. Mit ihnen hellt sich hernach der gesamte Sound auf, der Eintritt ins Erwachsenenalter scheint einem Sonnenaufgang zu gleichen.

Zumindest kurzzeitig, denn in seines Lebens Mitte kehrt Jadot zurück zur Stille, zum Sound des Anfangs, beginnt beinahe neu und lässt erst mit 26 wieder abgehackte rhythmische Synthiesounds zu, die in den flächig-sphärischen Ambient-Raum treten, immerhin für wenige Monate, und dann als Übergang in die vierte Dekade immer mal wieder latent im Hintergrund. Mit Anfang 30 dann kehrt einmal mehr die Stille zurück, Jadot braucht einige Monate, um sich wieder aufzurappeln, untermalt dies mit entferntem Donner, der sich in die Flächen und den Drone mischt und sich alsbald häuft, wie ein Spuk aus einer anderen Welt.

Mit Mitte 30 übernimmt das Bedrohliche und löst das Behagliche ab. Die Drones schwellen an, drängen in den Vordergrund und lassen den Sphären kaum noch Raum. Die erobern sich das Feld alsbald zurück, und mit dem Übergang in die fünfte Dekade hält ein dunkles Pulsieren für einige Monate Einzug in den Jadot’schen Soundkosmos. Bis zu einer neuerlichen Unterbrechung mit Anfang 40, die der Musiker erneut mit einer Rückkehr der früheren Sounds auflöst, nur dass es wiederum nicht mehr so harmonisch-umfangend klingt, sondern zögerlicher, defensiver, fragiler, womöglich sogar leicht bedrohlich, oder besser: bedroht.

Die bislang letzten fünf Jahre in Jadots Leben klingen spukig, feenhaft, mit langsam umherfliegenden Elementen, die keine Grundlage haben, nur sich selbst, frei in der Luft, umeinanderschwirrend. Es könnten auch entfernte Walgesänge sein, die die Rückkehr der Drones einleiten. Das letzte Jahr ist wieder zurückgenommen, Jadot zieht sich aus seinem eigenen Leben zurück, lässt gelegentliche sphärische Tupfer in den Raum fallen, bis der Track dann ins Nichts driftet.

Ein richtiger Schluss ist das natürlich nicht, denn wir wissen, dass Jadots 50. Geburtstag im Jahr 2021 stattfand und er diesen Soundtrack zu seinem Leben erst danach anfertigte – es geht also weiter, gottlob, und angesichts seiner raren, aber feinen Ambient-Alben kann man sich nur freuen, wenn er seine Arbeit als Dream Invasion ebenso fortsetzt wie sein Leben. Lustig übrigens: Zwar heißt das Album „50“, der Track indes ist mit „Fifty“ betitelt.