Die Müller-Verschwörung – Versuch und Irrtum Vol. 1: Alles auf Plan B – Die Müller-Verschwörung 2023

Von Matthias Bosenick (13.03.2023)

Als erste von drei geplanten EPs zum Thema „Versuch und Irrtum“ wirft Die Müller-Verschwörung „Alles auf Plan B“ als 12“ in die Runde. Diese vier Songs decken die ganze Palette der Müller‘schen Eigenschaften ab, wie Polyrhythmik, Rock’n’Roll, Jazzpop, Humor, Melancholie, Tiefsinnigkeit, Plakativität sowie hochgradige kompositorische und spielerische Fähigkeiten. Einige der Songs kennt man bereits live und kann sich bestens vorstellen, dass der Rest der EP ebenso mitreißend auf der Bühne funktioniert. Nur eines fehlt: Die Stimme des Chefs.

Was ist das: ein 15 7/3-Takt?! Der Opener „Supergute Idee“ ist bereits länger Teil der Müller-Livesets und bedient gleich mindestens zwei bemerkenswerte Aspekte: Er ist mitreißend und rhythmisch verblüffend. Wie Kremer da die Titelzeile „Das ist ‘ne supergute Idee“ variabel skandiert und die Band, neben Gitarrist Müller sind dies Bassist Meier und Schlagzeuger Pohl, mit allem bricht, was einen Viervierteltakt haben könnte, das verheddert die Nacken der Zuhörenden, die gerade eben noch chillig zur inhaltlich absichtlich plakativen Strophe mit dem Kopf nickten. Und der Song ist dabei auch noch catchy. Also drei bemerkenswerte Aspekte. Und er ist auch noch sehr geil gespielt, also die vier bemerkenswerten Aspekte der Spanischen Inquisition.

Geil gespielt sind alle vier Songs, geil gespielt ist überhaupt immer alles, was die Band so veröffentlicht, seit sie 2002 als Müller & die Platemeiercombo die halbe Nachfolge der Trottelkacker antrat. Eine musikalische Vielfalt der Superlative zeichnet diese Band seit jeher aus, und das setzt sie auch als Verschwörung und auch auf dieser EP traumwandlerisch fort. Es klingt irgendwie nach Indierock, greift aber wild um sich und schnappt sich Walzer, Bossa, Chacha, Swing, Boogie und was da sonst noch so herumschwirrt, und alles davon beherrscht die Gruppe aus der Hüfte und bastelt daraus derartig überzeugend flüssige Songs, dass man unbewusst gar nicht mitbekommt, wie grandios sie aufgebaut sind, bewusst dafür umso mehr Freude an ihnen hat.

„Meiers Gesetz“, das Quasi-Titelstück, nachdem der Titel der Reihe bereits im Opener abgefrühstückt ist, swingt gutgelaunt vor sich hin und feiert das Scheitern als erstrebenswerte Errungenschaft. Mit dieser respektlosen Herangehensweise an als selbstverständlich vorausgesetzte gesellschaftliche Anforderungen setzt die Verschwörung ihren Protest fort, den sie mit dem Konzeptalbum „Von Müßiggängern und anderen Taugenichtsen“ bereits mit Ironie, Nachdruck und einem gewissen Punkgeist zelebrierte: Rebellion ja, aber mit Argumenten. Neben der Mundharmonika als eher selten zum Einsatz kommendem Instrument ist es hier die Tatsache, dass Meier singt, die zusätzlich aufhorchen lässt.

Den Rest der vier Songs intoniert nämlich Kremer, dessen Performance die Stimmungen der Lieder trägt, vom aufgedrehten Schreihals in „Supergute Idee“ bis zum Westernhagen-Grölen am Ende des Rausschmeißers „Meine imaginäre Chimäre“ – sowie dem einfühlsamen Crooner im „Schattenmann“, einem melancholischen Walzer, dessen Stimmung der Abschlusssong dann wieder aufhebt. Denn in der Chimäre transportiert die Verschwörung einen Humor, wie man ihn bei den Ärzten seit Jahrzehnten vermisst: gleichzeitig mit Inhalt und Sprachwitzen. Kremer singt alle Wörter, die sich auf Chimäre reimen, und seien sie im Kontext noch so absurd, und erzählt dabei gleichzeitig von einem inneren Dämon, der ihn plagt – und den er dennoch akzeptiert. Und die Band kippt dazu in einen Lynyrd-Skynyrd-Boogie.

Vier Songs auf Vinyl, als erste von drei EPs, die es möglicherweise hernach als Album geben könnte, ganz so, wie die Pixies seinerzeit ihr Comeback einläuteten, indem sie zunächst drei 10“-EPs auf Vinyl unter die Leute brachten, die dann anders zusammengewürfelt das Album „Indie Cindy“ ergaben. Man darf sich sicher sein, dass der Verschwörung ein besserer Titel für ein Album einfällt. Und bessere Musik auch. Bedauerlich ist lediglich, dass Bandkopf Müller selbst nicht mehr singt: Seine Songs hatten immer eine völlig eigene Tiefe. Nix gegen Kremer und Meier – es ist nur ein Vermissen, Baby!

[Edit 14.03.2023] Bassist Meier wies mich auf zwei Fehler hin: Den Song mit seinem Namen im Titel singt nicht er, sondern wiederum Kremer, Meier ist lediglich gegen Ende im Hintergrund zu hören. Und der „Schattenmann“ ist kein Walzer, auch wenn es sich für mich Laien wie ein Dreivierteltakt anhört. Dazu Meier: „Unser Taktexperte O. Pohl sagt, es wäre ein 6/8-Takt. Und nein, das ist nicht das doppelte von einem 3/4!“ Das muss ich unbedingt vertiefen. Danke!