Devin Townsend – Lightwork – Inside Out Music 2022

Von Matthias Bosenick (29.11.2022)

Yeah, Pop! Der Alleskönner macht nach dem chaotisch-unhörbaren Metal-Zappa-Experiment-Album „Empath“ endlich wieder verträgliche Musik, und dieses Mal eben Pop. Das kann er, das macht er auch nicht zum ersten Mal, manche Performance mit Anneke van Giersbergen etwa deutet sehr sehr in Richtung Schlager, aber weil Dev eben Dev ist, ist das „Lightwork“ vielschichtig: Den Metal packt er in die unteren Ebenen, das Komplexe fließt wie nebenbei ein, sein Pop hat ein massives Fundament, auf dem er leichtfüßig Pirouetten dreht, mit ausgebreiteten Armen. Einmal mehr gibt’s in der limitierten Version ein komplettes Bonus-Album, „Nightwork“, und auf dem tobt er sich etwas mehr aus.

In „Lightwork“ ist wirklich alles drin, was man mit Gitarren an Pop fabrizieren kann, Achtelnoten, Klimperrefrains, epische Melodien, Dreivierteltakt, opulente Power, cheesige Zartheit, große Gefühle, bezaubernde Chöre, kitschige Akustikgitarren, fluffige Drumcomputer, Devs ausdrucksstarker Gesang, äh: Vogelgezwitscher, Erinnerungen an die Achtziger mit Powerpopbands, die sich dem Metal zuordneten, weil es außerhalb kleiner Nischen noch nichts Härteres gab, also keinen Devin Townsend zum Beispiel, der ab den Neunzigern mit Strapping Young Lad dem Metal eine Härte zuordnete, die er auf „Lightwork“ komplett ausklammert. Was nicht schlimm ist, „Lightwork“ ist gut, wenn man dafür offen ist.

Denn Devin kann mehr als Pop, er kann mehr als gefallen wollen, er ist da ganz Spitzbube und stopft seinen Pop voll mit Sachen, die nur der versierte Metalhead mit Freude am Experiment zu generieren in der Lage ist. Da rifft er gegen den Takt, lässt plötzlich eruptive Wucht unter der Oberfläche aufploppen, integriert progressive Trance- und EBM-Synthieeffekte und kreischt doch mal herum, wie er es sonst im Metal vollführt. Dieses Mal indes rührt er seine Zutaten nicht so überfordernd zusammen wie noch auf „Empath“, das mit seinen Haken nicht einfach nur unerwartete Richtungen einschlug, was ja immer schön ist, sondern nicht nachvollziehbare, was keinen Spaß macht, insbesondere, wenn diese Haken noch nicht mal spannend oder wenigstens schön sind.

Die Komplexität dieser heißen Suppe erklärt sich auch mit den Gästen, die bei „Lightwork“ im Studio zugegen waren: Rhys Fulber, EBM-Urgestein aus Vancouver, kennt Dev noch aus Zeiten, als jener bei Front Line Assembly aushalf, auf „Millennium“ 1994 und auf „Hard Wired“ 1995. Matthias Eklund war 1997 am Solo-Album von Meshuggah-Gitarrist Fredrik Thordeldal beteiligt, „Sol Niger Within“. Jonas Hellborg ist Jazz-Bassist. Gitarrist Mike Keneally arbeitete bereits mit Frank Zappa. Keyboarder Diego Tejeida war Mitglied bei den Progmetalern Haken. Als Produzenten wählte Dev den Crossover-Verfeinerer GGGarth Richardson, der schon in den Neunzigern Helden und Humpen wie Rage Against The Machine, Red Hot Chili Peppers, Melvins, L7, Ugly Kid Joe, Sick Of It All und viele mehr in seinem Studio hatte. Und natürlich sind Devs Mentor Steve Vai und Devs Muse Anneke van Giersbergen auch wieder im Einsatz – aber nur auf dem Bonus-Album „Nightwork“.

Wohlklang dieser Art ist einem Dev nicht fremd, man höre nur das fragile „Ghosts“ oder seine Solo-Akustik-Sachen, auch „Accelerated Evolution“ und „Synchestra“ hatten schon eine mächtig opulente Produktion. Mit diesem Pop reagiert Dev auf die katastrophale Weltlage angesichts von Pandemie und Russlandkrieg, er drückt sich selbst und den Hörenden Frieden und Liebe auf, da darf kein vordergründiger Ballast die Kuschelstimmung belasten. Und weil es diesen Ballast ja trotzdem gibt, nimmt Dev noch „Nightwork“ auf, den dunklen Bruder des Hauptalbums, ohne den jenes nicht vollständig wäre. Merkwürdige Verkaufsstrategie, ständig dem Handel nur halbe Alben unterzujubeln und das Komplettding überteuert als Deluxe-Version zu veröffentlichen: Bereits „Ziltoid The Omniscient“, „Empath“, „Casualties Of Cool“, „Epicloud“, „Z²“ und „Transcendence“ waren nur mit Bonus-CD vollständig.

So auch „Lightwork“ mit „Nightwork“, auf dem Dev seine eigene Leine wieder locker lässt. Zum Auftakt verknüpft er Vai und van Giersbergen aufs Herrlichste. Schon Track 2, „Factions“, ist zwar so fett wie Devs Mucke seit seiner Genesung eben ist, aber auch wieder so schnell, brutal und heavy wie alte SYL-Sachen. „Yogi“ ist ein verspielter Kram, nicht so extrem wie „The Mighty Masturbator“, aber doch versponnen. Und auch der Rest ist ein Querschnitt durch Devs Stilvielfalt, von Ambient über Country, Electro, Zappa und Metal zurück zu dem Pop von „Lightwork“.

Die Doppel-CD gibt’s im Digipak, aber auch wie so oft als großformatiges Buch, dann mit Bonus-BluRay, auf der das erste Album nochmal in Dolby Surround sowie kommentiert enthalten ist. Und auf Vinyl in unzähligen Farbversionen, dann aber ohne was auch immer, wer soll denn da noch durchsteigen. Als wäre das nicht schlimm genug, gab es zwischen „Empath“ und „Lightwork“ noch außer der Reihe diverse Live-Alben sowie das Doppel-Album „The_Puzzle/Snuggles (Beautiful Dream)“. Allein eine Raritäten-Compilation von Dev wäre dicker als manch andere vollständige Discografie.