Anandammide – Eura – Anandammide/Sulatron Records 2024

Von Matthias Bosenick (16.05.2024)

Als „Utopian Psych Folk“ bezeichnet Michele Moschini die Musik seines Projektes Anandammide, sein zweites Album „Eura“ gibt ihm Recht. Mit Musikern aus halb Europa wildert der in Paris arbeitende Italiener aus Bari in der langen Historie psychedelischer Folkmusik von den Sechzigern bis heute, fügt die Puzzleteile zusammen und generiert Musik, die nur oberflächlich chillig wirkt, denn in den Eingeweiden von „Eura“ geschieht eine Menge, dem aufmerksam zuzuhören sehr lohnt. Gute Laune ist auch nicht eben die Kernaufgabe von Anandammide, dem Album wohnt bei aller vermeintlich leichtfüßigen Instrumentierung eine Schwere inne. Am Ende des Albums ist man mindestens bekifft.

Blümchenwiese of Doom, es ist, als schaue man einer Horde depressiver Hippies dabei zu, wie sie einen Totentanz vor der Kulisse einer Atomexplosion aufführt. Die Stimmung auf „Eura“ ist mindestens getragen, melancholisch, der Summer Of Love ist längst entzaubert, hier fällt allen die Wucht der Realität auf die sich ernüchtert dahinschleppenden Füße. Für Moschini und seine Gefolgsleute ist dies kein Grund, das Musizieren deshalb sein zu lassen, im Gegenteil, vielmehr erschaffen sie den Soundtrack zum Untergang, die Tapete zur Depression, und das auf eine kompositorisch wunderschöne Weise: Die Musik selbst ist nämlich ausnehmend ansprechend, und für die äußeren Umstände können Anandammide ja nix, nutzen sie aber eben als Inspiration für ihre Kunst.

Die zehn Lieder auf „Eura“ sind so vielseitig wie ihr Personal, obschon sie die Schwermut allesamt mittragen. Einige Stücke kommen komplett ohne Schlagzeug aus, und wenn dies zum Einsatz kommt, dann auf eine sanfte, unaufdringliche Weise. Weite Strecken deckt die folkloristisch wie am Lagerfeuer geklampfte Akustikgitarre ab, Flöten tirilieren bisweilen, Synthies mit angeschrägten Sounds, ein Bass, wie man ihn später bei Air zu hören bekam, kraftvoll und punktiert, manches klingt nach Neofolk, der Gesang in seiner dunklen Gedehntheit erinnert an den von Nico, auch, wenn er chorartig dargebracht wird, Geigen unterstreichen die Schwere, Harmonien umhüllen alles, einige Lieder haben sogar etwas Sakrales. Alles gipfelt in der Mitte des Albums im am ausführlichsten ausformulierten Titeltrack, der voll und abwechslungsreich instrumentiert die Hörenden in die zweite Albumhälfte und wieder zurück in die Zerbrechlichkeit überführt. Die Musiker arbeiten feinfühlig und filigran, Impresario Moschini bringt sie wunderbar zum Einsatz.

Die Liste der Mitstreiter ist lang, Moschini rekrutiert sie in Frankreich, England, Italien und Schweden, verrät er, teilweise nahmen diese Gäste ihre Beiträge auch in lokalen Studios auf. Der Kopf selbst übernimmt hier Gesang, Gitarre, Synthies, Orgeln und Schlagzeug. Die weiteren Musizierenden sind: die umtriebige Lisa Isaksson (Me And My Kites, Piu, Second Oracle, The Entheogens) mit Gesang, Audrey Moreau an der Flöte, Stella Ramsden mit Geige und der Lesung eines Poe-Textes, Sébastien Grignon am Cello, Lelio Mulas und Pascal Vernin teilen sich mit ihren Bässen die Songs auf und Lorenzo „Cobbro“ Castigliego steuert ein Gitarrensolo bei. Moschini selbst sammelte vor 20 Jahren noch in Bari Erfahrungen in der Psychedelic-Prog-Band Floating State, diese Grundausstattung hört man auf „Eura“ noch heraus.