Von Matthias Bosenick (25.06.2025)
Mit „Fortsetzung folgt …“ trägt das neue Album von Wolf Kadaver & Die Betrüger schon mal einen vielversprechenden Titel, den das noch junge Projekt um den Kopf der Tanzenden Kadaver auch umgehend umsetzt, indem es den Song „Im Morgengrauen“ als Single mit B-Seiten auskoppelt. Dieses Projekt trägt weit weniger Punkrock in sich als die Hauptband, dafür aber haufenweise Sounds und Stile mehr, die man nicht erwartet hätte, bis hin zum Surf und zum Techno, die sich in diese Menge aus Waverock, Deutschrock, Spaßpunk und vielen weiteren Genres bestens einnisten. Mit der durchschlagenden Kraft des Ohrwurms.
Das gelingt dem Kadaver-Wolf echt wie aus dem Handgelenk: Songs zu schreiben, die bisweilen mit gefühlt sperrigen Elementen und Aufbauten daherkommen und sich schnell zu etwas entwickeln, das man nie wieder aus dem Kopf bekommt. Seine Gesangsmelodien und Arrangements tragen da viel zu bei, seine angenehm die Texte vortragende Stimme sowieso, und dann eben jene Texte – vieles ist von Ironie durchtränkt, hat aber nicht selten ernsthafte Inhalte; manchmal ist es umgekehrt, da bringt er einen kleinen Twist in einem nicht vordergründig lustigen Song unter.
Wie man es überhaupt hinbekommt, solche Bandwurmsätze dergestalt in Melodien zu kleiden, dass man sie aus dem Stand mitsingen kann: „So, wie du aussiehst, würd ich meinen, da ist Scheiße passiert“, singt Wolf Kadaver gleich mal im Opener mit dem Die-Sterne-Gedächtnis-Titel „Was hat dich bloß so uriniert“. Dieser Song lässt schon durchschimmern, dass dieses Album etwas elektronischer ausfällt als die Veröffentlichungen davor. Synthies spielen tragende Rollen, man wähnt sich hier bei einer Achtziger-Band, die ihren Sound reif in die Gegenwart transportierte. Auch fällt auf, dass Die Betrüger unerwartete Elemente in ihre Songs einbauen, mit denen sie sie garnieren; im rockbefreiten Opener gehört dazu sogar die ansonsten dominante Gitarre.
Die bekommt ab „Mein Nachbar“ wieder mehr Raum. Dieser Song ist nah am Offbeat errichtet, man möchte das Wort Skapunk noch nicht ganz überzeugt hervorholen. Schöner Inhalt überdies, in dem sich ein Mensch, der – nehmen wir den Künstler als Ich-Figur an – laute Musik macht, über einen Nachbarn beklagt, der laute Musik hört. In „Fallout“ gehört plötzlich ein Banjo zum Instrumentarium. Der „Treppenhaus-Zombie“ erinnert angenehm an Die Ärzte, wie sie sich noch in den Achtzigern aufführten, melodisch, mit fröhlichem Background-Gesang und einer ansteckenden Melodie, die zu dem bedrohlichen Szenario mit der übergriffigen Nachbarin gar nicht passen mag, und genau das passt.
Es folgt die erste Single „Im Morgengrauen“, die das Auskoppeln allemal wert ist: Das Stück ist so etwas wie Gothic-Doom-Rap-Pop mit dem „Lullaby“-Rhythmus von The Cure und eingebauten Pianosolos und handelt von einer kurioserweise versehentlich eingegangenen Affäre. Mit „Wir fahren ans Meer“ hebt Wolf Kadaver die Stimmung gleich wieder, indem er zu einem beschleunigten Country- oder Northern-Soul-Rhythmus mit Mitsingchören aus dem Stand eine ansteckende Urlaubsstimmung erzeugt, mit Sonne, Eis und Strand. Und einem kleinen ironischen Twist in dem ansonsten unironisch den Ferienhedonismus feiernden Song. Das nach der Schauspielerin, Regisseurin und Tochter von Dario benannte „Asia Argento“ ist ein anderthalbminütiges Zwischenspiel, das aus Zugrattern besteht – da schaltet es bei Horror-Kennern vermutlich schneller, woher der Zusammenhang kommt.
Umso eingängiger wird es anschließend mit „Don’t Torture A Duckling“, das als catchy Surfpunk mit Chören die Ohrwurmqualitäten des Komponisten unterstreicht. Noch mehr gute Laune bekommt man mit „Helikopter“, das mit den Text ergänzenden und „lala“ liefernden Backgroundgesängen herrlichen Unsinn verbreitet, darüber nämlich, welchen Vorteil es hat, Hubschrauber zu fliegen: „Denn so’n Propeller, nicht ohne Grund Bestseller“, singt Wolf Kadaver, bringt aberwitzige Argumente und liefert ein nettes Solo zum Rauswurf. „Die üblichen Verdächtigen“ behandelt nicht etwa Keyser Söze, sondern ist eine Hymne gegen Arschlöcher, oder anders gesagt, ein Loblied auf Leute, die sich positionieren, gegen rechte Elemente in der Gesellschaft. Diese wichtigen Inhalte sind gekleidet in oldschooligen Goth-Wave-Punk.
Und dann kommt’s dicke: Wir begleiten Max Schmelings Gattin „Anny Ondra auf der Jagd nach dem irrelevanten MacGuffin“, vermutlich in Alfred Hitchcocks „Erpressung“ – und zwar als Techno. In kaum über einer Minute stellt Wolf Kadaver selbst dieses Genre noch auf den Kopf, indem er den Track komplett unüblich mit Mundharmonika, Pfeifen und Schreien anreichert. „Carnivores“ nimmt den Beat anschließend auf, geht aber wieder in Richtung Gothpunk, nur jetzt mit einem DAF-Beat. Was zunächst nach einer Verherrlichung klingt, „Fleisch und Käse, Ketchup Mayonnaise“, kommt bald mit dem Hammer um die Ecke, dass dafür ja „ein Tier verreckt“ ist.
Mit „Zombie2“ greift Wolf Kadaver nicht nur im Titel das Franchise-Gebaren von Horrorfilmen auf, es ist tatsächlich eine Reprise auf den „Treppenhaus-Zombie“ weiter vorn. Der Ärzte-Sound bleibt, aber kommt der Gesang jetzt von der zuvor besungenen Nachbarin, die sich an den zitternden Ich-Erzähler heranpirscht und das Bedrohliche noch verstärkt. Zuletzt geht es „Tiefer“, der zehnminütige Song ist ein depressiver, langsamer, groovy Kopfnicker-Rocker, episch, mit langen Instrumentalpassagen, mit einer eingebauten zusätzlichen Strophe mittendrin sowie zwei kurzen Punk-Passagen. Ein geiles Stück Musik, das keine Sekunde zu lang ist. Dann kommt noch der Bonus-Track, versteckt am Ende des Songs: „Und sie kamen zu mir“, bei den Tanzenden Kadavern noch ein schneller Punkrocker, wird hier ein Goth-Song.
Wer den Punk vermisst, greife zu der „Im Morgengrauen“-Single: Die beiden Bonus-Tracks gehören in jenes DIY-Genre. „Per Anhalter durch die Galaxis“ hat mit dem Buch nichts zu tun, sondern handelt von einem, der mit seinem Beziehungsstatus nicht so ganz glücklich ist, sich an die Straße stellt und wünscht, mitgenommen zu werden, aber er will ja nirgendwohin, sondern Erfolg, viel Geld und eine Freundin, die immer zu ihm hält. Zuletzt gibt’s mit „Smells Like Coversong“ eine Betrachtung des Phänomens, dass die Konzerthallen bei One-Hit-Wundern wie leergefegt sind, sobald sie den Hit zum Besten gaben. An Nirvana orientiert sich der Song nicht; wenn Wolf Kadaver da tatsächlich eine Vorlage im Ohr hatte, erschließt sich die nicht so einfach, aber das stört nicht.
Als nächste Fortsetzung folgt „Was hat dich bloß so uriniert“ als Single mit Bonus-Tracks, darunter ein exklusiver auf Bandcamp, da sollte man also bei Gefallen ein Auge drauf haben. Es lohnt sich!