Von Matthias Bosenick (09.04.2024)
Die zweite Staffel der Krankenhaus-Serie „Geister“, im Original „Riget“, international „The Kingdom“, ließ 1997 viele Fragen unbeantwortet. 25 Jahre später nimmt Regisseur Lars von Trier, ganz wie sein Vorbild David Lynch mit „Twin Peaks“, mit „Geister: Exodus“ die Fäden wieder auf, lässt eine Karen an die Stelle der Geisterseherin Sigrid Drusse treten, reibt sich an Schweden und seiner eigenen Biografie auf und vermengt abermals Aber- und sonstigen Witz mit Horror und Grusel. Das Ende hinterlässt indes wiederum Fragen und die Betrachtenden verunsichert: Was war denn das jetzt?
Es geht gut los, auf der Metaebene und somit mit dem Anschein von Dokumentation: Karen guckt sich „Riget 2“ auf DVD an und ist stinksauer, dass das Ende so Scheiße ist. Solcherlei Meta-Elemente finden sich allenthalben in Staffel 3: Der Wachmann am Eingang ist stinkig auf den „Idioten Trier“, der sich die Drusse und den Lillebror nur ausgedacht hat, eine asiatische Touristengruppe verfolgt eine Führung zu den Drehplätzen, eine Krankenschwester empfindet die Serie als schädlich für den Ruf des Hauses, Lars von Triers immer noch nicht geräumtes Büro ist Schauplatz. Mit Humor nimmt einen der Regisseur aus dem Stand für sich ein, so bleibt es auch für die erste halbe Stunde: Der Sohn des schwedischen Chefarztes Helmer, Helmer Jr., tritt eine Stelle am Reichskrankenhaus – Riget – an, und nimmt wie sein Vater selig die Radkappen von seinem Volvo mit und verzweifelt am dänischen Wesen und am alkoholseligen Trinkspiel.
Und schon dringt das Dunkle ein: Karen findet einen verlassenen Gang im Keller und wird ohnmächtig, das Fundament des Hauses zeigt schon wieder blutende Risse. Ein Grand Duc genannter Dämon, dargestellt von Willem Dafoe, kann sich in eine Eule verwandeln und frisst eine zur Ratte gewordene Krankenschwester. Da ist man mittendrin in der Melange aus Selbst- und Gesellschaftskritik, Horror, Komödie und Slapstick, im typischen Sepia gedreht und mit den typischen Dogme95-Jumpcuts montiert, mit Spezialeffekten durchsetzt, die man in einer solchen wackeligen Handkamera-Doku nicht erwartet hätte und die daher umso realistischer wirken. Lars von Trier eben.
Jener ist seit Jahren als Provokateur verschrien, war wegen Nazi-Äußerungen, unterstellter Misogynie und Missbrauchsvorwürfen im Zentrum der Öffentlichkeit, und konnte sich noch immer selbst glaubhaft rehabilitieren. Das nimmt er zum Anlass, Helmer Jr. in einen Rechtsstreit mit der schwedischen Krankenschwester Anna zu treten, die ihn provoziert und dann verklagt; da ist das Verhalten beider Figuren nicht nur rätselhaft, sondern bescheuert, mithin ergreift von Trier für keinen von ihnen Partei, sondern entblößt das Absurde. Das allerdings so überzogen, dass es bald nervt und in sich unentschieden wirkt. Bis hin zum Finale des merkwürdigen Paares auf der Storebæltbrücke.
Ja, puh. Beide Figuren sind überdies Teil der anonymen Schweden, die sich im Keller treffen und gegen die herablassenden Dänen verschwören. Da beweist von Trier Selbstironie: Die Schweden wollen sabotieren und den Betrieb verlangsamen, erkennen aber bald, dass sie nicht zerstörerischer oder langsamer als die bekloppten Dänen sein können. Die wiederum mit skurrilen Traditionen und Ritualen aufwarten, wie man es bereits aus den ersten beiden Staffeln kennt, nur überzieht von Trier es auch hier immens und kippt zu oft ins Alberne.
Dabei hat er doch genug zu erzählen: von Lillebror, dem von Udo Kier gespielten Sohn, den die Krankenschwester Judith mit dem Geist von Åge Krüger zeugte und dessen übermäßiges Wachstum der ersten Staffeln nun darin mündet, dass er sich als Gigant in den Färberteichen unterhalb des Krankenhauses in seiner Rolle als dessen Gatekeeper dadurch in Gefahr begibt, dass er in seinen eigenen Tränen versinkt, etwa. Judith läuft noch immer in den Katakomben herum, ihr Ex Kroge, der seinen Ruhestand als Punk in der Opiumhöhle der emeritierten Ärzte ebenfalls im Keller verbringt, tritt bald als Begleiter der technikaffinen Karen und ihrem Pfleger, der von allen als Nachfolger von Bulder gehandelt wird, den Kampf gegen die bösen Geister an. Dabei stoßen sie unter anderem auf spiegelverkehrte böse Versionen ihrer selbst und treffen in der Unterwelt auf Mona, die aus den vertrauten Bauklötzen eine Botschaft legt, die für einen der eher überzogenen Handlungsstränge relevant ist. Ja, derbe unheimlich, trotzdem.
Interessanterweise birgt auch die Skurrilität der Figuren eine Stringenz: Der mental überforderte Arzt Pontopidan, den Lars Mikkelsen grandios verkörpert, findet in den absurden Situationen stets eine in sich schlüssige Argumentation für den Unsinn. Der jähzornige Naver flucht in Gegensätzen: „Entweder lade ich euch alle in das teuerste und beste Restaurant der Stadt ein, oder ich säge ihren Kopf auf und mache aus ihrem Gehirn Hackfleisch“; eine solcher Optionen ist auch, sich selbst das Auge mit einem Löffel herauszunehmen, was er tatsächlich beherrscht und was ihm nach einer kuriosen Szene neben Brad Pitts Figur in „Burn After Reading“ einen Ehrenplatz einbringt. Auch die Spiegelung als Erkennungsmerkmal für das Böse bekommt mehrmals Relevanz.
Überdies zitiert sich von Trier reihenweise selbst, greift auf Bilder und Geschehnisse der ersten Staffeln zurück wie den blutigen Handabdruck, hier in einem Geisterhubschrauber, die Volvo-Radkappen oder den Ausruf „Dänischer Abschaum“; einiges davon überdreht er jedoch. Man findet sich aber sofort in der Fortsetzung zurecht, zumal er auch die noch lebenden Schauspieler in ihren Rollen wieder auftreten lässt, nach und nach; eingebaute Rückblenden ermöglichen außerdem auch Neuzuschauern den Zugang.
Tja, und dann lässt von Trier alles einigermaßen schlüssig in ein Finale münden, in dem ein Geist dem wissenden Trio aus Karen, Bulder und Kroge Tipps dafür gibt, wie das klaffende Tor zur Hölle wieder geschlossen werden kann. Man wundert sich noch, wie leichtfertig sich der Grand Duc das Heft aus der Hand nehmen lässt, und unterschätzt von Trier, der nämlich keine guten Absichten hat. Das Ende erschüttert so sehr wie das aus „Die neun Pforten“; dabei wunderte man sich die ganze Zeit über schon, warum die gottgläubige Karen so schwarze Augen hat, wie man es ansonsten von dämonischen Darstellungen im Film kennt. Da nimmt es nicht Wunder, dass der „Antichrist“-Regisseur zuletzt einen Auftritt als Satan hat. Und, als Krönung in diesem gefallenen Königreich, filmisch auch noch „Das siebte Siegel“ von Ingmar Bergman zitiert – einem Schweden!
Das Ende hinterlässt die Zuschauenden mit Magengrummeln und Fragen. Warum hat sich Judith umgebracht? Was wurde aus der Leiche von Lillebror, der sich hier Storebror – also Großer Bruder, nicht „Bruderherz“, wie es auf Deutsch heißt – nennt? Betrifft der Exodus nur das Riget oder die ganze Welt? Warum entscheidet sich von Trier für diesen Abgrund? Immerhin gibt er Antworten auf Fragen, die man sich teilweise nicht einmal stellte, darunter, wer wirklich für den Zustand von Mona verantwortlich ist oder was aus Sigrid Drusse wurde.
Es empfiehlt sich übrigens, sich die Serie im Original anzusehen, wie schon „Die Brücke (Broen/Bron)“, weil einem sonst entgeht, in welcher Sprache sich die Leute gerade verständigen oder missverstehen. Außerdem klingt es besser. Die Optionen für eine vierte Staffel sind mit dem Schluss gleichzeitig offen wie geschlossen, mit von Triers Parkinson-Erkrankung indes sehr unwahrscheinlich. Nachdem von Trier vor zwei Jahren eine Langfilmfassung von „Riget – Exodus“ in Venedig aufführte, kommt es jetzt als Fünfteiler auf DVD und BluRay heraus. Trotz des unbefriedigenden Endes und des Klamauks lohnt sich der Horrorspaß – inklusive Elevatornisse Rigmor, Tellerwäscher, mittelfeinen TK-Erbsen und vielen weiteren mehr als unterhaltsamen Bestandteilen. Für die ganz Neuen gib’ts auch alle drei Staffeln als Box.