Von Matthias Bosenick (26.02.2024)
Radiohead sind sakrosant, und alles, was auch nur irgendwer aus dieser Band künstlerisch verrichtet, ist dies gleich ebenfalls. Bei dem Trio The Smile sind gleich zwei von Radiohead dabei, mit Thom Yorke sogar die Stimme, was den Bezug zum Mutterschiff für Fans natürlich erleichtert und den Zwang zum Zugreifen erhöht. „Wall Of Eyes“ ist nun schon das zweite Album dieses Projektes, und man erwischt sich als Fan und Verteidiger inzwischen sehr dabei, dass man zwar die musikalische Finesse erkennt, aber das Ergebnis nicht mehr so ganz uneingeschränkt erträgt. Ja, das ist Kunst, und dafür ist es auch noch sehr überraschend populär, doch längst gibt man den Stimmen Recht, die gerade die Stimme von Thom Yorke nicht ertragen können. Sein hohes Winseln übertüncht die herausragende Musik, weil es der nämlich auch noch an Durchschlagskraft fehlt. Den Status von Talk Talk erreichen sie so jedenfalls nicht, trotz aller dahin deutender Anlagen.
Alles schreit „Kunst“, und inzwischen ist es nicht einmal mehr klar, wer davon am lautesten schreit, die Band selbst, die Musik oder die Hörerschaft und das Feuilleton, die einfach gern hätten, dass es sich bei allem, woran Thom Yorke beteiligt ist, um Kunst handelt, weil es so qualitativ hochwertige Musik ja ansonsten gar nicht mehr gibt, schließlich ist Mittelmaß schon seit Jahren wegen fehlendem Besseren das neue Gut. Wenn dann also am Ende eines stoisch shuffelnden Songs die Gitarren unverzerrt, aber kakophonisch umeinandergniedeln, muss das ja Kunst sein. Oder so eine Pianoballade mit Streichern. Alles ist so zaghaft, so zögerlich, so zurückhaltend, von Rockmusik keine Spur, so weich, gelegentlich versetzt mit etwas Kakophonie, in „Bending Hectic“ immerhin sogar mit verzerrter Gitarre, und wenn alles nix hilft, spielt Thom Yorke mit seiner Stimme herum und wimmert, weint, jammert, quäkt.
Am schönsten sind die Stücke, in denen Yorke in gemäßigter Tonlage singt und die Musik nicht dominiert. Also in „I Quit“, dem herausragenden Song auf diesem Album. Da gibt’s auch mal einige interessante Electro-Effekte drin, ganz so, wie man es von den jüngeren Radiohead und den Solo-Sachen Yorkes gewohnt ist. Naja, und die omnipräsenten Kleisterstreicher, mit denen The Smile auf diesem Album zusammenarbeiten. Ja, das Album hat besondere Merkmale, und Schlagzeuger Tim Skinner kann was, doch geht seine Raffinesse oft in der oberflächlichen Belanglosigkeit der Kompositionen verloren. Bedauerlich. Dabei ist mit den Abbey Road Studios als Aufnahmeort ja schon mit Absicht ein Link zur Kunstmusik der Beatles gesetzt.
Das berühmteste Beispiel dafür, wie aus einer Chartsband ein großes Stück Kunst wurde, ist unangefochten Talk Talk. Von Radiohead sagte man das vor 20 Jahren auch noch: Nach „Creep“ mit „Kid A“ und „Amnesiac“ mal eben mit sämtlichen Erwartungen brechen und trotzdem, genauer: TROTZDEM Stadien füllen, also Massen begeistern, das gelang vorher nur Talk Talk. So bedauerlich es auch ist, dass die nach „Laughing Stock“ nichts mehr machten und dass das Solo-Album von Mark Hollis das Vermächtnis ist, aber Radiohead haben nun die Möglichkeit, weiterzumachen, und nutzen sie auch. Wenn dabei als The Smile etwas so Belangloses herauskommt, ist das keine Konkurrenz für den Status, den Talk Talk bis heute haben. Auch wenn man’s gern anders hätte.
Das Vinyl ist blau, der Hörer auch.