Von Matthias Bosenick (23.03.2023)
Zuerst zwei Alben in zwei Jahren herauswerfen, weil man ja so viel Material hat, und dann direkt danach elf Jahre Pause machen: dEUS haben Humor. Dabei kündigte Violinist Klaas Janzoons dem Rezensenten 2014 in seiner Bar Plaza Real in Antwerpen noch an, dass es ein neues Album bereits 2015 oder 2016 geben sollte. Unklar, ob er damals schon von „How To Replace It“ sprach, aber jetzt ist es da und setzt den Kurs fort, weg vom Kunstlärm der frühen Neunziger hin zum daraufhin entwickelten Kunstpoprock mit gelegentlichem Sägen. Die Band hat ein Händchen für schöne Melodien und Harmonien und auch dafür, ihre selbst erdachte musikalische Schönheit mit aggressiven Untertönen zu versetzen. Man muss das Album laut hören, um die Feinheiten zu erfassen, ansonsten könnte womöglich der Eindruck entstehen, es sei weich und langweilig, AOR oder Yachtrock für herausgewachsene Indiekids. Ist es aber nicht, jedenfalls nicht ausschließlich. Etwas Enttäuschung ist dennoch zulässig.
Dieser erste Eindruck stellt sich in der Tat ein, dass dEUS den Biss verloren, weil der Lärm- und Tempo-Pegel auf „How To Replace It“ in minderer Hörlautstärke in keine Richtung auszureißen scheint und weil die Songs so milde wirken. Nicht mal richtig nach Rock, schon sehr geschmeidig poppig. Was nach einigen Durchläufen als erstes hängenzubleiben scheint, sind Elemente, die man von früheren Alben bereits zu kennen glaubt, einige Melodieführungen, Tom Barmans gelegentliches Croonen, manche Gitarreneffekte. Dann denkt man sich, dass man das Album dann ja gar nicht bräuchte, wenn man sich eh nur an alte Sachen erinnert fühlt und neue kaum ins Ohr gehen. Dann bricht man eben mal mit den Nachbarn und dreht die Anlage auf, setzt sich unmittelbar mit der Musik auseinander, dringt in die Details vor. Und wird fündig.
Zunächst sind dEUS ja nun wirklich dazu in der Lage, großartige Songs zu schreiben. Darin folgen sie gottlob lieber ihren eigenen Visionen als populären Strömungen, was das Album eigenständig und etwas aus der Zeit gefallen sein lässt. Das Schrille, hauptsächlich hervorgerufen mit der kratzigen Violine, mit dem dEUS 1995 ihren Hit „Suds & Soda“ auf MTV und die Indieclubs losließen, legten sie noch gegen Ende des Jahrzehnts ab, wie eine Haut, aus der sie gereifter hervortraten. Ihre Songs hatten dennoch Schräges in petto, zumeist ausgedrückt mit ungewöhnlichen Akkorden, unerwarteten Halbtönen oder komplexen Strukturen. Auf „How To Replace It“ sind dEUS nun offenbar noch mehr gereift, weil sie diese fürs Popradio sperrigen Elemente zurückfahren.
Mit Paukenschlägen beginnt das Album, Barman croont dazu, man könnte seinen gebrummelten Vortrag bald als Rap bezeichnen. Die Band steigert sich langsam in den Song hinein, mit im Hintergrund zerstörter Gitarre, Piano und mehr rhythmischer Percussion sowie mit gesungenem Refrain. Ja, es scheint unaufgeregt zu sein, wenn das Titellied so beginnt, aber dann dreht man die Lautstärke höher und stellt fest, welche Unebenheiten unter der Oberfläche liegen, wie viele schräge Sounds sich alsbald ansammeln, wie dieses im unteren Midtempo angesiedelte Stück sich allmählich psychedelisch aufschaukelt. Das Tempo erhöht sich in den nächsten Tracks nicht, aber die musikalische Dichte, die in höheren Tonlagen angeschlagene und leicht verzerrte Gitarren, Backgroundchöre und Electroelemente zulässt. Interessanterweise bestätigen dEUS die Binsenweisheit, dass sich Aggressivität nicht ausschließlich über Tempo ausdrücken lässt: Allein Barmans Gesangsstil in „Man Of The House“ lässt spüren, dass er ziemlich angepisst sein muss, und das in Kombination mit aufgerauhten Gitarren, das fetzt. Bis „1989“ erklingt, die extrem poppige Single, die kaum noch Elemente von alternativer Rockmusik birgt, was indes auch nicht so neu ist für dEUS.
Erstmals etwas flotter wird das Tempo in „Faux Bamboo“, dem fünften von zwölf Stücken, dafür nimmt die Band das Fett aus dem Song heraus und behält das Melancholisch-Fröhlich-Poppige bei. Und dann wird’s wieder langsamer, balladesk beinahe, mit einer neuerlichen Rap-Einlage in diesem reflektierten Stück. Manche Stücke, die so kontemplativ beginnen, polstern dEUS im Verlauf mit einer Prise Lärm auf, andere behalten sie in einem Sound, den man auch in den Achtzigern schon gern im Radio gehört hätte. Den Blick zurück auf die experimentellen Zeiten werfen sie dann an achter Stelle mit „Simple Pleasures“, das auf einem funkigen Groovebass mit hektischen Schlagzeugelementen, Samples und schrägem Chor zeigt, wo Bartel den Hammer hängen hat.
Energie erzeugen dEUS nicht selten mit den Stimmen, wenn sie im Chor über den niedrig temperierten Kopfnickerstücken ihre Kraft zum Ausdruck bringen. „Why Think It Over (Cadillac)“ ist an zehnter Stelle ein schönes Beispiel dafür, dazu sägt einmal mehr die Gitarre und klöppelt gegen Schluss das Klangholz in Kuhglockenmanier. Ein ganzes Album hingegen im Sound der Jammerballade „Love Breaks Down“ möchte man von dEUS nicht haben, das Stück kann man aber wegstecken, insbesondere, weil sie als Rauswerfer „Le Blues Polaire“ nachschieben, auf dem Barman auf Französisch wispert und croont und das die Instrumentierung trotz Balladenhaftigkeit etwas rauher und abwechslungsreicher gestaltet. So angepasst, wie das Album beginnt, so zerfasert endet es und wirft die Hörenden in eine Welt voller Herausforderungen. Zum Beispiel der, in diesem ausgebremsten Midtempoalbum die Perlen zu finden, und deshalb empfiehlt es sich, es gleich nochmal zu hören.
Sänger und Gitarrist Tom Barman sowie Violinist Klaas Janzoons sind die einzigen seit 1991 verbliebenen Urmitglieder bei dEUS. Der frühere 2-Belgen-Bassist Alan Gevaert und Ex-Soulwax-Schlagzeuger Stéphane Misseghers sind seit 2004 dabei, Gitarrist Mauro Pawlowski wäre es ebenfalls, unterbrach seine Beteiligung indes für einige Zeit und teilt sich zuletzt den Posten mit seinem Substitut Bruno de Groote. In der Pause betrieb Barman sein Jazzprojekt TaxiWars und sein Electroduo Magnus sowie Janzoons seine Kneipe, die anderen verloren sich in Aberdutzenden von Projekten. Übrigens verriet Janzoons dem Rezensenten weiland, dass der Bandname eher Flämisch ausgesprochen werde, also ungefähr „deüs“.
So richtig göttlich ist „How To Replace It“ vielleicht nicht, da war nach elf Jahren Vorlaufzeit mehr Wumms zu erwarten. Indes ist das, was dEUS heute machen, trotzdem geil. Man wird halt nicht jünger, aber man bleibt Jünger.