Von Matthias Bosenick (14.03.2023)
Zuverlässig wie ein Nähwerk tackert das Schlagzeug, und ebenso zuverlässig bringen Yo La Tengo aus Hoboken, New Jersey fortwährend neue Alben heraus, die nicht nur qualitativ nie unter Höchstniveau liegen, sondern dazu auch noch experimentell, emotional, noisy, stoisch, variantenreich, zart, durchgeknallt und wunderschön sind. „This Stupid World“ reiht sich da ein, je nach Zählung Studioalbum Nummer 17 bis 564.194 in fast 40 Jahren. Der Indierock des Trios ist seit jeher durchsetzt von Herumprobieren, Lärm und tiefster Schönheit, diese Art zu Mausen lässt die Katze nimmermehr. Das Doppel-Vinyl ist dreiseitig kreditiert, aber vierseitig bespielt und transparent blau, also ebenso experimentell und schön wie die Musik darauf.
Ach du Liebezeit, Can das denn sein, denk man sich, sobald Schlagzeugerin Georgia Hubley stoisch ihre Beats motuckert. Gelegentlich singt sie, wenn ihr Gatte, Gitarrist Ira Kaplan, mal nicht seine Stimme fragil erhebt. Dritter ist Bassist James McNew, und das schon seit 1992, seitdem ist die Besetzung nach einigen frühen Abgängen stabil. Um die durchgehenden Rhythmen herum gestalten die Saiteninstrumentalisten ihre Lieder im Spannungsfeld zwischen einfühlsamer Fragilität und einnehmender Schrägheit. Inmitten eines stillen Popsongs etwa beginnen die beiden plötzlich, zarte Drones und behutsames Gegniedel zu streuen. Andere Songs sind in ihrer musikalischen Grundlage bereits schräg, aber die Band singt dazu im harmonischen Chor. Oder sie bettet eine Art Shoegaze-Ambient in einen als solchen auch deutlich spürbaren Drone, der jedoch nicht schmerzt. Und selbst, wenn die Akkorde auch mal aus dem Ruder laufen, verliert die Musik von Yo La Tengo nichts von ihrer überwältigenden Schönheit.
Gleich mit dem Opener stecken die drei das Terrain ab: Der Rhythmus tackert, Bass und Gitarre werden dazu gewürgt, so geht Popmusik mitnichten, also alle mal herhören, das hier ist kein Spaziergang, wir meinen das ernst. Und wenn ihr alle diese Kröte geschluckt habt, können wir immer noch in den Wohlklang finden. Also schon wenige Takte darauf. Vorübergehend. Das halten Yo La Tengo nie lang durch, einfach nur schöne Musik, wie sie die Hausfrau nicht beim Bügeln stört (einmal mehr: Zitat Krüger), da muss man auf dem Griffbrett schon mal zwischen die Bunde greifen, da hilft der Schritt in Richtung Lautsprecher, um ein unaufgeregt wohltönendes Feedback zu erzwingen, da kann man die hübschen Akkorde auch mal leicht verzerren. Mindestens die harmonischen Gesänge glätten die in Bewegung geratenen Wogen wieder. Und das Schlagzeug setzt seinen Weg unbeirrt fort.
In welche Schublade soll man Yo La Tengo überhaupt stecken, da scheiden sich die Wikipediaeinträge. Indierock grundsätzlich, Avantgarde, Noiserock, Jazz, Alt.-Country, Sixties-Pop, Shoegaze, Krautrock, Garage Rock, Drone, Surf? Alles davon, nacheinander, nebeneinander, gleichzeitig. So kommt es, dass auch „This Stupid World“ wieder voller Hits ist. Und man denkt: Oh, schön, neue Musik, war ja lang kein Album mehr, seit – wann, „Fame“? Dann guckt man im Plattenschrank nach und stellt fest: Quatsch, „Fame“ ist schon zehn Jahre alt, danach kamen „Stuff Like That There“ und „There’s A Riot Going On“ sowie das noisige Corona-Werk „We Have Amnesia Sometimes“ sowie die EP „Sleepless Night“. Und sie alle sind so gut und, nun, voller Hits wie das neue Album.
Nummer 17, sagt Wikipedia, sei „This Stupid World“, doch der Plattenschrank widerspricht dem, so voller Nebenschauplätze, wie der inzwischen ist, mit dem Seitenprojekt Condo Fucks, mit Soundtracks, mit Compilations voller Coverversionen, mit Split-Alben, mit Best-Of-zusammenstellungen, mit EPs und Singles. Das vorliegende Album sollte man sich überdies nicht nur der Farbe wegen auf Vinyl zulegen: Seite B läuft ins Unendliche, zudem ist auf Seite D ein unbetitelter Bonus-Instrumental-Track enthalten. Zulegen sollte man es sich überhaupt, schließlich ist es ein Album von Yo La Tengo, und die machen seit 1984 nichts Schlechtes. Nur Schönes.