Von Matthias Bosenick (23.02.2023)
Der Mann liebt Zahlenspiele, und auf seinem dritten numerisch betitelten Studioalbum als Dream Invasion dreht Erwin Jadot die Schraube noch acht Umdrehungen weiter: Nicht nur sind sämtliche acht Tracks auf „8.8.64“ exakt acht Minuten lang, es beginnen alle Titel mit dem achten Buchstaben des Alphabets und bestehen aus exakt acht Buchstaben. Auf diesen acht Tracks – plus einem Bonus-Track im Download – bewegt sich der Soundtüftler aus Belgien im weiten Feld des Ambient, von dräuenden Drones über zarte Synthieflächen bis ab ins All. So chillig Ambient üblicherweise auch sein mag, Jadot vertritt die Ansicht, dass Musik auch mal wehtun darf, und fordert die Hörenden mit vereinzelt gesetzten Spitzen oder dunklen Sounds heraus. Nehmt euch in Acht!
Das macht Jadot ganz erstaunlich, dass er mit Intro und Outro pro Track auf die Sekunde genau die acht Minuten einhält, ohne dass man den Eindruck bekommt, das sei erzwungen oder etwas sei künstlich gestreckt oder vorzeitig abgebrochen. Die Tracks sind schlüssig, sie bauen sich allmählich auf, entfalten sich über die Laufzeit und ebben wieder ab, sie verschwinden in der Dunkelheit. So beginnt der Reigen gleich mit einem Stück, das auf einem dunklen Drone basiert und damit eine eher beklemmende Stimmung vorlegt als eine beim Ambient gewöhnlich zu erwartende entspannende. Davon rückt er auch nicht ab, obschon er die Stimmung einiger Sounds im zweiten und dritten Track etwas aufhellt. Erst spät im vierten tritt überhaupt so etwas wie eine Melodie hinzu, eine an- und abschwellende Sequenz über der Schwärze des Nichts.
So etwas wie ein über ein unterschwelliges Pulsieren hinausgehender Rhythmus fügt sich erst nach der Hälfte der Spielzeit ins Album ein, und auch der macht den Track nicht zwingend tanzbar, sondern verstärkt das beklemmende Gefühl. Track sechs bietet dann einen Einblick darin, wie sich Jadot den Synthiepop der frühen Achtziger vorstellt: experimentell, spacig, mit einer leichten EBM-Note und mindestens bei Kraftwerk und Tangerine Dream inspiriert, also zwischen Düsseldorf und Berlin. Schon im nächsten Track wird es wieder industriell, mit einem zögerlichen Schlagwerk und dem Sound eines unrund laufenden Motors. Ebenso zurückhaltend rhythmusbasiert experimentell, schon beinahe ins Gruselige ragende wird Jadot im finalen Track des Hauptalbums, mit dem er dann rauschend in die Stille gleitet. Der Bonus-Track nimmt dieses Rauschen auf, hebt es alsbald in eine gedehnte Fanfare, zerlegt es mit nervösen Synthieeffekten, formt es in hübsche Melodien und lässt es dann wieder ins Nichts laufen, also quasi wie ein auf acht Minuten gestauchtes Best-Of des Albums.
Mit den Titeln seiner acht bis neun Tracks zeigt sich Jadot kreativ, humorvoll und geschichtsbewusst: „Hyacinth“, „Horology“, „Hurtless“, „Headhunt“, „Hardcore“, „Hollower“, „Hetairai“, „Hypopnea“ und „HyStEriA“ lauten sie. In der Mitte ist also eine Reminiszenz an Front 242 versteckt, und das wundert nicht: Jadot ist nach dem Debüt ausgestiegenes Gründungsmitglied des Projektes Nothing But Noise, dessen verbliebene Musiker die Front-242-Mitgründer Daniel Bressanutti und Dirk Bergen sind, die außerdem das Label db2fluctuation betreiben, auf dem Jadot seine Musik nun veröffentlicht. „8.8.64“ ist sein drittes mit Zahlenspielen, nach „7.7.29“ aus dem Jahr 2020 und „6.6.36“ aus dem Jahr 2021 sowie dem mit „50“ betitelten Livetrack zu seinem nämlichen Geburtstag im vergangenen Jahr. Sein Debüt „Music For A Daydreaming Nation“ aus dem Jahr 2005 wies bereits in die musikalische Richtung, die er mit „8.8.64“ fortführt: Achtsam chillen!