Von Guido Dörheide (16.05.2022)
Erstmal der Spoiler vorweg – ein Frontspoiler sozusagen – ich mag Arcade Fire, ich mag die Stimmen von Win Butler und Régine Chassagne und ich mag auch das neue Album „WE“. Ja – es ist pathetisch, ja – Arcade Fire sind sehr schnell vom Indie (auf Superchunks „Merge“-Label) in den Mainstream aufgestiegen, deutlich schneller als U2, vielleicht vergleichbar mit Coldplay, aber nein – sie haben es bei Weitem nicht so gründlich verkackt wie die Letztgenannten (eh klar – kaum ein Kanadier kann es in meinen Augen so schnell so richtig vermackeln).
„Funeral“ von 2004 war ein Brett von einem Album, „Neon Bible“ von 2007 der Durchbruch, „The Suburbs“ von 2010 ein würdiger Nachfolger. Mit „Reflektor“ (2013) und „Everything Now“ (2017) las/hörte man dann immer öfter, dass Arcade Fire ihr Potential wohl so langsam verschossen hätten und nachhaltig daran arbeiten täten, sich selbst der Unbedeutendheit und Beliebigkeit anheim fallen zu lassen. Äh, sich also quasi ebendiesen anheimzustürzen. Anheimzuwerfen?
Zum Inhalt: „WE“ = Wochenende? Nein, der Titel „Wir“ stammt vom gleichnamigen dystopischen Roman des russischen Autors Jewgeni Samjatin, einer der Inspirationsquellen für George Orwells „1984“. Sie erinnern sich: 1984 – „Jump!“
Damit hat „WE“ nichts gemein: Der Grundtenor (jahaa – weder Win Butler noch Régine Chassagne sind im Tenor zuhause) ist ruhig, melancholisch, die Melodien sind wunderschön – einzig der Refrain von „The Lightning II“ nervt mich kolossal, und in Teilen blitzen Anklänge von altmodischen Disco-Rhythmen auf. Auf „Unconditional II (Race And Religion)“ ist es dann so, als ob – sagen wir mal – Tom Waits sich zu mir in die Küche gesellen würde, während ich mit dem Herausgeber dieses Blogs telefoniere, um ein wenig im Hintergrund herumzubrummeln (und ich weiß – Matze würde LGBTM-farben anlaufen vor Neid!): Niemand Geringeres als Peter Gabriel legt sich nicht auf den Brodweg oder verkauft England pfundweise – sondern steuert einen aber sowas von dezenten und wunderschönen Backgroundgesang bei, dass ich mich frage, wie es Arcade Fire geschafft haben, diesen übergroßen (jahaaaa – „nur“ 1,80 m, ich rede hier von der kulturdingsbumsmäßigen Dimension von Größe) Peter Gabriel (hmm, auch wieder kein Tenor) dazu zu bewegen, sich so mannschaftsdienlich im Hintergrund zu halten, und dennoch das Stück „Unconditional II (Race And Religion)“ zu einer dermaßenen Größe zu erheben? Und ein Kompliment auch an Régine Chassagne – ihr seltsam unbeteiligter Gesang auf dem Stück bezaubert zutiefst.
So – hier jetzt fertig: Anhören, zurücklehnen, genießen: Ich wünsche ein schönes WE!