Von Matthias Bosenick (03.06.2021)
Was ist das schön, nach all den Jahren mal wieder etwas Neues von Deine Lakaien zu hören! Ernst Horn pumpt die besten Samples aus seinem Equipment und Alexander Veljanov singt dazu im herrlichsten Gruftpathos. Alles wie immer, gleichzeitig wieder ein Schritt nach vorn, weil Horn nun mal nicht stillstehen kann und seine Sounds zusehends weiterentwickelt, weit über Gothictellerränder hinaus. Besonders ist das Konzept von „Dual“: Einem Album mit zehn Coverversionen stehen zehn Eigenkompositionen gegenüber, die sich auf die Cover beziehen. Man muss festhalten, so man die Originale kennt, dass die eigenen Stücke besser sind; der Schatten der Hits steht über der Interpretation. Lohnenswert ist die Deluxe-Version mit zwei weiteren Songs und einer Live-DVD.
Horn plündert seinen in fast 40 Jahren aufgetürmten Soundpark und bringt alles zum Einsatz, was man von Deine Lakaien kennt, synthetische Sounds, Flächen, akzentuierte Begleittöne, Gitarren, Streicher, Harfe, historische Instrumente und immer wieder das Piano, an dem der klassisch geschulte Komponist seine Fähigkeiten austobt. Er ist einfach ein begnadeter Arrangeur, der wohl weiß, wie er mit seinen Mitteln Akzente setzt und fein ziselierte, sakrale, polyrhythmische, tanzbare, wuchtige, luftig-leichte oder gruftig-dunkle Songs errichtet. An diesen Kompositionen orientieren sich daher auch die Gesangsmelodien, mit denen Veljanov die Lieder anfüllt, irgendwo zwischen Mittelalterlich, neoklassisch, romantisch, todtraurig und aggressiv. Ja, Deine Lakaien haben ein sehr breites Portfolio an Stimmungen im Köcher, und das macht nicht nur das Doppelalbum lebendig, sondern es auch innerhalb der Discographie relevant.
Die Songs pendeln zwischen gefällig und experimentell; wären sie ausschließlich letzteres, hätten Deine Lakaien vermutlich mehr Mühe, im Gruftbereich dieses Maß an Zuwendung zu bekommen, und in den verstiegenen Liedern macht Veljanovs Pathos dann alles wieder wett. Dem Duo stehen beide Enden der Skala gut, ein Achtziger-Synthpop-Rhythmus wie „Run“ geht Horn ebenso leicht von der Hand wie ein komplexes Avantgarde-Stück wie „Qubit Man“, das gern auch reichlich länger hätte dauern dürfen.
Und dann gibt es ja noch die zehn Cover. Deine Lakaien spielen Songs aus den verschiedensten Genres in ihrem Sound nach – und ehrlich gesagt: Mehr ist das auch nicht. Das mit der eigenen Note findet hier eher im Sound statt, die Melodien bleiben weitgehend unangetastet. Und die Originale unerreicht. Natürlich ist der Lakaien-Sound großartig, aber die Ergebnisse tragen bisweilen etwas Langweiliges, Überflüssiges in sich. Man hat zu sehr die Originale oder andere Cover im Ohr, als dass sich die Lakaien-Versionen als relevant etablieren könnten. Vielmehr stört es sogar eher, dass man in den Songs diese anderweitig vertrauten Melodien heraushört; man hätte viele der Arrangements lieber als Eigenkomposition gehört. Das Covern funktioniert hier immer dann am besten, wenn man das Original nicht im Ohr hat, weil man die Lakaien-Version für sich dann als Original auffassen kann.
Schwierig wird es bei Liedern im eigenen Kosmos, etwa das eher vergurkte „The Walk“ von The Cure, das nun wirklich nicht zu übertreffen ist. Hier erschließt sich indes das Konzept indes am besten: Dem Stück stellen Deine Lakaien eben das Synthpopstück „Run“ gegenüber, zumindest scheint es so, denn in der Tracklist stimmen diese Stücke nicht überein. Nicht bei jeder Spiegelung ist die Assoziation der Lakaien derart offenkundig. Etwas merkwürdig ist „Black Hole Sun“, der Grunge-Klassiker von Soundgarden, und „Dust In The Wind“ der Classicrocker Kansas, bei dem man sofort Teewerbung vor Augen hat, und am größten das Entsetzen bei „My December“ von Linkin Park, das derart melancholisch kurioserweise noch am besten gelungen ist. Naheliegend in Horns Sinne sind schon eher Stücke von Modest Mussorgsky und Jacques Brel; letzteres veranlasst den gebürtigen Mazedonier Veljanov sogar dazu, auf Französisch zu brillieren. Letztlich bleibt unklar, auf wessen Konto die Idee mit den Coverversionen überhaupt geht: In Interviews scheinen Horn und Veljanov den Umstand abwiegeln zu wollen, das Konzept aufgedrückt bekommen zu haben; entsprechend wirken manche Cover wie die Erfüllung eines Auftrags und nicht wie aus Leidenschaft eingespielt. Man müsste die Songs überdies ebenso konzipiert hören: Die Cover mit jeweiligem eigenen Konterpart sowie dem Original.
Als Bonus gibt’s von „Because Of Because”, der Antwort der Lakaien auf das von Bruce Springsteen für Patti Smith geschriebene „Because The Night“, eine zweite Version und als B-Seite eine Liveversion von „Am Fenster“ von City, das die Lakaien 2017 für mdr Kultur einspielten; beides als CD und 7“. Sehens- und hörenswert ist auch die DVD mit dem „Concert From An Empty Hall“, das die Lakaien 2020 unter pandemischen Umständen ohne Publikum einspielten. Auch da war „Because The Night“ bereits zu hören, neben einem wundervollen Reigen an Hits fast aller Epochen. Zu haben sind diese Boni ausschließlich in der teuren, aber fetten Deluxe-Box, inklusive Doppel-CD, Doppel-LP, Fotos und Buch.
Die Cover:
01 Because The Night (Patti Smith)
02 Spoon (Can)
03 The Walk (The Cure)
04 Dust In The Wind (Kansas)
05 Suspended In Gaffa (Kate Bush)
06 La Chanson Des Vieux Amants (Jacques Brel)
07 Black Hole Sun (Soundgarden)
08 Lady d’Arbanville (Cat Stevens)
09 Song Of The Flea (Modest Mussorgsky)
10 My December (Linkin Park)
DVD:
01 Wunderbar (von „White Lies“, 2001)
02 Where You Are (von „White Lies“, 2001)
03 Over And Done (von „April Skies“, 2005)
04 Gone (von „Indicator“, 2010)
05 Without Your Words (von „Indicator“, 2010)
06 Down Down Down (von „Dark Star“, 1991)
07 Where The Winds Don’t Blow (von „Crystal Palace“, 2014)
08 Return (von „Kasmodiah“, 1999)
09 The Game (von „Kasmodiah“, 1999)
10 Because The Night (von „Dual“, 2021)
11 Love Me To The End (von „Dark Star“, 1991)