Von Matthias Bosenick (28.12.2020)
Eines der geilsten der an geilen Alben ausgesprochen reichen Indiefolkrockhelden New Model Army erfährt 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung eine Politur und eine Erweiterung: „Carnival“ kommt als so bezeichneter Remix mit anderer Reihenfolge und vier zusätzlichen Tracks unter dem Hashtag „Redux“ neu heraus. Wirklich hörbar sind solche Remasterversionen recht selten, auch hier sind die Feinheiten wohl nur geschulten Ohren zugänglich, aber hey, vier neue Songs sind es wert, diese vor Integrität nur so strotzende Band für ihr vierzigjähriges Durchhalten zu feiern.
Schon im Original war auf „Carnival“ jeder Song ein Knaller, das Album sprühte nur so vor mitreißenden, eingängigen, unterschwellig aggressiven und emotional aufwühlenden Liedern, vom Auftakt „Water“ an bis zum Abschluss „Fireworks Night“. Es scheint, als habe Justin Sullivan den Offbeat für sich entdeckt, dem er mit seiner Gitarre in bester NoMeansNo-Riffmanier zaghaft huldigt, was vielen Songs einen mitreißenden Drive verleiht. Eingebettet in die Vorgänger- und Nachfolger-Alben „Eight“ und „High“, hat „Carnival“ mehr Ohrwurmpotential zu bieten als jene beiden, und die sind schon beachtlich. „Island“ zudem ist heute so aktuell wie damals, man mag es nicht für möglich halten. Warum die Band selbst dieses Album nun rückwirkend quasi schlechtmacht, ist ein Rätsel.
Vielleicht haben die Cellopassagen in der neuen Version mehr Raum als zuvor, das kann man sich aber auch einbilden, damit man glaubt, wenigstens etwas Unterschied heraushören zu können. Sicher ist, dass die elf Tracks nunmehr bis auf Start und Ende in der Reihenfolge vertauscht und um drei Songs der „BD3 EP“ erweitert sind, nämlich „Rumor & Rapture (1650)“, „One Bullet“ sowie das hier um den Titelindex „Christmas“ erweiterte „Caslen“. Das vierte neue Stück „Stoned, Fired And Full Of Grace“ erschien 2004 auf der DVD-Version von „Tales Of The Road“, das als Live-Album unter dem Projektnamen Justin Sullivan & Friends firmierte, sowie 2009 auf der „5“ von Red Sky Coven, also einem vergleichbaren Projekt. Eigentlich alles Futter für eine B-Seiten- und raritäten-Compilation, da ist bestimmt wieder Material angefallen seit „B-Sides And Abandonned Tracks“ 1994 und „Lost Songs“ 2002.
Ebenfalls neu ist das Cover der Redux-Version, das Banddesignerin Joolz Denby erkennbarer überarbeitete, als es auf die Musik zutrifft. Lustig ist dabei überdies, dass von der heutigen Bandbesetzung gar nicht alle 2005 schon an Bord waren: Bassist Nelson ist nicht mehr dabei, Gitarrist Dave Blomberg fehlt ebenfalls; nur Keyboarder Dean White und Schlagzeuger Michael Dean sind heute noch Teil des Kollegiums. Überhaupt ist von der Urbesetzung nur noch Justin Sullivan übrig, und das bereits seit 1985, also nur fünf Jahre nach Bandgründung. Die jetzige Besetzung ist immerhin schon seit 2012 stabil.
Das Wichtigste an diesem Rerelease ist für die meisten Fans indes, dass „Carnival“ hiermit erstmals auch als Schallplatte vorliegt, als weiße Doppel-LP nämlich. Für CD-Käufer lohnen sich immerhin die vier Bonus-Tracks inklusive der schicken Buchaufmachung. Und die erneuerte Erinnerung an ein grandioses Live-Erlebnis, denn auf der „Carnival“-Tour zeigte sich die Band exorbitant spielfreudig und ausdauernd. Und man hat auf diesem Wege die Gelegenheit, den 40. Geburtstag der Band zu begehen; andere Wege hat man dafür in diesem Jahr ja kaum, abgesehen von einem Online-Konzert und der sympathischen WDR-Rockpalast-Doku „From Here“.