Von Matthias
Bosenick (25.02.2020)
Was’n Paket! Jonas Kolb aus
Schöningen bringt sein neues Album „Wunschbrunnen“ unter dem dem
schwer aussprechbaren Alias Machyyre nicht einfach als CD heraus,
sondern in ein dickes Buch mit Stickern, Extra-Booklet (seinem
„Puppetier“-Comic), Mini-Buch und sonstigen Goodies eingebettet.
Musikalisch lässt er sich noch am ehesten in der Neuen Deutschen
Todeskunst verorten, und wenn man das weiß und sich dann aber vom
ersten Track gleich in bester Black-Metal-Manier anbrüllen lässt,
ist man umgehend geplättet. Dunkle Poesie mit minimalistischer Musik
und vielen Überraschungen, nicht nur optischen. Verstörend gut.
Ohrenscheinlich kommen auf „Wunschbrunnen“ gar keine Gitarren
vor, doch das kann täuschen. Der Opener zumindest klingt recht
glaubhaft nach One-Person-Black-Metal, auch wenn er rein elektronisch
erzeugt sein sollte. Die folgenden Songs zumindest tragen die
elektronische Kälte in sich, die auch die Inhalte vermitteln. Kolb
setzt seine Mittel punktiert ein, er geizt mit Flächen und Opulenz
und lässt jede Note damit umso eindrücklicher wirken. In diesem
Minimalismus schwingt eine hoffnungslose Leere mit, und auch wenn die
Sounds und manche Melodien an sich schön sind, fühlt man sich mit
diesen Liedern nicht eben wohl. Gemütlich geht anders, und das soll
auch so.
Deutsche Texte, düstere Musik: Man fühlt sich
als erstes an die frühen Oeuvres von Bands wie Goethes Erben und Das
Ich erinnert. So einfach macht es sich Kolb aber nicht, trotz aller
Signale in die Gruftirichtung, mit Bildern, Videos und Artwork. Dafür
ist er viel zu eigenständig, um sich einem so engstirnigen Genre
zuzuordnen, in dem Uniformen mehr gelten als Individualität. Kolb
selbst lässt sich mit Fünf-Tage-Bart und Brille ablichten, beides
nicht eben gruftige Insignien. In seiner Musik greift er sich die
Elemente, die zu seinen Texten und Stimmungen passen, und pfeift
(lediglich im übertragenen Sinne) auf Genregrenzen. Dunkles Klavier,
karge Streicher, Industrialbeats, Black-Metal-Gebolze: Was passt,
kommt rein, hier zudem dreimal mit der Hilfe des Dunkelmusikers Myuu.
Aggression, Schmerz, Depression, Einsamkeit finden ihre akustische
Entsprechung. Zu Neuer Deutscher Härte indes entwickelt Kolb seine
Lieder nie, gottlob. Offenbar will Kolb auch, dass man zu seinen
Liedern tanzt; die Fünfmarkstücksuche ist da gerade noch möglich,
ansonsten ist man vom Zuhören und Wirkenlassen zu sehr abgelenkt, um
sich zur Musik selbst so zu bewegen wie der Künstler. Tanzen kann
man dazu vermutlich erst nach dem dritten, vierten Hördurchlauf,
wenn man sich ganz auf die Beats konzentriert.
Das latent
Theatralische passt ebenfalls noch gerade so in die NDT-Richtung. Hat
man Kolb einmal auf der Bühne erlebt, erfasst man seine Lieder noch
besser: Er wirft sich zu Boden, gestikuliert, untermalt seine
Botschaften mit vollem Körpereinsatz; so kennt man das auch von
Oswald Henke, und so klingen auch die Stücke auf „Wunschbrunnen“.
Man sieht ihn förmlich im Studio die Songs performen. Nachdrücklich,
bewusst. Kolbs Stimme ist klar und dunkel, seine Aussprache
akzentuiert; wenn er nicht gerade in den Black Metal verfällt und
keift oder sich selbst eine kreischende zweite Stimme ist. Seine
Texte behandeln passend dunkle Themen, von Tod und Leid, von Gut und
Böse, von Ende und Neuanfang, Splatter und Selbsthass, aber auch von
Widerstand und Aufbegehren; nicht selten ist das Spiel mit der
Sprache treibende Kraft und ein, selbstredend schwarzer, Humor nicht
zu verleugnen.
Und dann gibt es ja noch das Hardcover-Buch
mit Bildern und allen Texten. Und dann gibt es noch viele ältere
Alben und Projekte von Kolb. Und dann kommt man vor lauter Oeuvre gar
nicht hinterher, sich umfassend mit ihm zu befassen. Nicht einmal
Google hilft durch die Flut von Projekten, Musik, Kunst, Literatur,
Lyrik, Labels und Aliassen wie The Berenice Soundproject, Puppengott,
Heartdoom, Jakob Lenike, Berenice Leitner sowie Kooperationen mit
Locken N, Marc Domin oder kryptischen Künstlern wie Opa16. Schon hat
er nämlich das nächste Projekt am Start, Xchnum Miiimiiikry, nicht
minder verstörend als der Rest seines Outputs. Wenn man sich das
alles so anguckt und anhört, freut man sich, zu wissen, dass man es
mit einem so hellen, freundlichen und positiven Menschen zu tun hat.