Von Matthias
Bosenick (24.01.2020)
Mit gleich zwei überlangen
Livekonzerten feiern The Cure ihren 40. Geburtstag und decken damit
ihre komplette Discographie ab. Konzeptbedingt: Der erste Gig namens
„Curætion25” beinhaltet je einen Song von jedem Album, zunächst
von alt nach neu und dann wieder umgekehrt, und der zweite Gig mit
dem schlichten Titel „Anniversary” berücksichtigt zusätzlich zu
den wenigen Überschneidungen auch die Hits und Lieblingsstücke, die
The Cure ansonsten noch so anzubieten haben. Die gegenwärtige Band
spielt sich tight und originalgetreu vom Postpunk über Wave, Disco,
Shoegaze, Manchester-Rave, Rock bis Pop durch das vielfältige Oeuvre
der Paradegruftband. Die können’s noch!
Man fragt sich natürlich: Wie kommen bei 13 Studioalben und je zwei
Songs von jedem auf „Curætion25“ ganze 28 Lieder zusammen? Auf
das 14. Album wartet die Welt doch nun seit über elf Jahren. Und
tatsächlich, die beiden Songs im Scheitelpunkt der Kurve sind neu
und geben womöglich einen Ausblick auf das, was da kommen mag. Das
bleibt in der Spur, nicht so verkünstlicht wie die Vorabsingles zu
„4:13 Dream“, die dann auch auf dem Album wieder mehr nach The
Cure klangen, und im Sound so ins Konzept eingebettet, dass sie
zeitlich gar nicht einzuordnen wären. Unaufgeregt, aber schön.
Im
Rahmen des Konzeptes sehen sich The Cure zudem dazu gezwungen, auch
mal wieder Raritäten ins Set aufzunehmen. So bekommt man
„Bananafishbones“ und „Jupiter Crash“ zu hören; das zu
letzterem gehörende Album „Wild Mood Swings“ gehört für The
Cure ohnehin nur seltenst ins Set. Ebenfalls konzeptbedingt fehlen
natürlich Singles, die von keinem Album stammen, aber dafür gibt’s
in dieser Box eben noch das zweite Konzert. Es lässt sich die
kreative Entwicklung der Band recht schön nachzeichnen, obschon die
ironischen Discohits der Compilation „Japanese Whispers“ eben
fehlen. The Cure sind zwar längst wieder eine Gitarrenband, doch
streuen sie an entscheidenden Stellen Samples ein und haben einen
Keyboarder dabei, für die schönen Flächen mancher Stücke. Und
niemand wimmert dazu so wehmütig wie Robert Smith.
Auf
der „Anniversary“ bekommt man dann endlich „The Walk“, aber
auch die frühen Non-Album-Hitsingles „Boys Don’t Cry“ und
„Jumping Someone Else’s Train“ sowie „Burn“ vom „The
Crow“-Soundtrack und „Never Enough“ von der „Mixed
Up“-Compilation, offenbar das einzige Stück seiner Art übrigens,
das für The Cure selbst relevant ist, denn „Wrong Number“ von
der „Galore“-Compilation sowie „Just Say Yes“ von der
„Greatest Hits“ berücksichtigen sie nicht nur hier nicht. Das
Set endet mit den ersten Hits von vor 40 Jahren, als letztes spielen
sie mit „Killing An Arab“ ihre allererste Single aus dem Jahr
1978, das sie noch vor einiger Zeit selbst zensierten, um nicht als
islamophob zu gelten, derweil aber offenbar hinreichend
Aufklärungsarbeit dahingehend leisteten, dass sich das Lied auf
Albert Camus bezieht, und ändern den Text hier daher nicht mehr ab,
etwa in „Kissing An Arab“.
Was beide Konzerte eint,
ist das Tempo: Die Band lässt kaum Raum, die Songs wirken zu lassen,
da hat man The Cure schon anders erlebt. Insbesondere das allseits
gefeierte „A Forest“ verliert hier an Wirkungskraft, weil es sich
einfach jeweils an das Stück davor anschließt; das hat man auch
schon anders erlebt. Auf großartige Ansagen von Robert Smith wartet
man zudem vergebens, einen kurzen Text zum 40. Geburtstag gibt es
immerhin während „Anniversary“. Das hat wiederum den Vorteil,
dass man die Musik eben ohne Unterbrechungen genießen
kann.
Trotzdem fehlen einige Hits und persönliche
Favoriten, aber wer 40 Jahre lang Musik macht, hat eben ein
gigantisches Oeuvre, das selbst in sechs Stunden Spielzeit und
abzüglich gelegentlicher Dopplungen nicht umfassend berücksichtigt
werden kann. Zudem stellt man fest, dass Robert Smith in seinem
eigenen Schwerpunkt bestimmte Alben bevorzugt und andere komplett
ausklammert. Gerade deshalb ist so ein enges Konzept wie das von
„Curætion25“ so bemerkenswert.
Neben Robert Smith
sind hier bei The Cure: Bassist Simon Gallup (bereits 1979 mit einer
kurzen Pause bei The Cure), Schlagzeuger Jason Cooper (seit 1995
dabei), Gitarrist Reeves Gabrels (Anfang der Neunziger von Tin
Machine ausgehend Gitarrist bei David Bowie, seit 2012 bei The Cure)
und Keyboarder Roger O’Donnell (seit 1997 mit Unterbrechungen an
Bord). Seit acht Jahren ist das ursprüngliche Trio also mal wieder
zu fünft.
Beide Konzerte gibt es separat erhältlich, in
dieser Box finden sie sich alternierend als DVD oder BluRay sowie auf
vier zusätzlichen CDs inklusive einem bunt bebilderten Begleitbuch
vereint. Gerade diese Kombination lohnt sich, wegen des breiter
gefassten Überblicks. Und weil die Box hübsch anzusehen
ist.
Curætion25 Tracklist:
From There To Here:
01
Three Imaginary Boys (von „Three Imaginary Boys”, 1979)
02
At Night (von „Seventeen Seconds“, 1980)
03 Other Voices
(von „Faith“, 1981)
04 A Strange Day (von „Pornography“,
1982)
05 Bananafishbones (von „The Top“, 1984)
06 A
Night Like This (von „The Head On The Door“, 1986)
07 Like
Cockatoos (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“, 1987)
08 Pictures
Of You (von „Disintegration“, 1989)
09 High (von „Wish“,
1992)
10 Jupiter Crash (von „Wild Mood Swings“, 1996)
11
39 (von „Bloodflowers“, 2000)
12 Us Or Them (von „The
Cure“, 2004)
13 It’s Over (von „4:13 Dream“, 2008)
14
It Can Never Be The Same (neu)
From Here To There:
15 Step
Into The Light (neu)
16 The Hungry Ghost (von „4:13 Dream“)
17
Alt.End (von „The Cure“)
18 The Last Day Of Summer (von
„Bloodflowers“)
19 Want (von „Wild Mood Swings“)
20
From The Edge Of The Deep Green Sea (von „Wish“)
21
Disintegration (von „Disintegration“)
22 If Only Tonight We
Could Sleep (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
23 Sinking (von
„The Head On The Door“)
24 Shake Dog Shake (von „The
Top“)
25 One Hundred Years (von „Pornography“)
26
Primary (von „Faith“)
27 A Forest (von „Seventeen
Seconds“)
28 Boys Don’t Cry (von „Three Imaginary
Boys“)
Anniversary 1978-2018 Tracklist:
01
Plainsong (von „Disintegration“)
02 Pictures Of You (von
„Disintegration“)
03 High (von „Wish“)
04 A Night
Like This (von „The Head On The Door“)
05 The Walk (von
„Japanese Whispers“)
06 The End Of The World (von „The
Cure“)
07 Lovesong (von „Disintegration“)
08 Push
(von „The Head On The Door“)
09 Inbetween Days (von „The
Head On The Door“)
10 Just Like Heaven (von „Kiss Me Kiss Me
Kiss Me“)
11 If Only Tonight We Could Sleep (von „Kiss Me
Kiss Me Kiss Me“)
12 Play For Today (von „Seventeen
Seconds“)
13 A Forest (von „Seventeen Seconds“)
14
Shake Dog Shake (von „The Top“)
15 Burn (von „The Crow“
O.S.T., 1994)
16 Fascination Street (von „Disintegration“)
17
Never Enough (von „Mixed Up“, 1990)
18 From The Edge Of The
Deep Green Sea (von „Wish“)
19 Disintegration (von
„Disintegration“)
20 Lullaby (von „Disintegration“)
21
The Caterpillar (von „The Top“)
22 Friday I’m In Love (von
„Wish“)
23 Close To Me (von „The Head On The Door“)
24
Why Can’t I Be You? (von „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“)
25
Thanks @ 40
26 Boys Don’t Cry (von „Boys Don’t Cry“,
1980)
27 Jumping Someone Else’s Train (von „Boys Don’t
Cry“)
28 Grinding Halt (von „Three Imaginary Boys“)
29
10.15 Saturday Night (von „Three Imaginary Boys“)
30 Killing
An Arab (von „Boys Don’t Cry“)