Von Matthias
Bosenick (09.09.2019)
Wegen solcher Musik hat man vor über
40 Jahren den Punkrock erfunden. Tool musizieren auf allerhöchstem
Niveau, verlieren aber vor lauter Können so einiges anderes
Relevantes aus dem Auge. Und à propos Auge: Auf ihrem ersten Album
nach 13 Jahren verbergen die progressivmetallischen Indierocker
Geheimnisse aller Art und bieten das wohl ungewöhnlichste Stück
Verpackung in diesem Jahrtausend an. Dennoch ist „Fear Inoculum“
überwiegend ein erschütterndes Stück Langeweile.
Alles, aber auch alles, was man auf diesem Album zu hören bekommt,
kennt man schon von Tool, nur härter. Die Instrumente klingen exakt
wie vor 13 Jahren, die Effekte wiederholen sich, die Strukturen
mäandern wie gewohnt vor sich hin. Man vernimmt vertraute
Versatzstücke, die sich auf den früheren Alben lediglich anders
zusammen- oder fortsetzen. Bei Lichte betrachtet ist „Fear
Inoculum“ ein Aufguss von „10.000 Days“, und das war bereits
die musikalische Leistungsschau, die auf griffige Hooks und
nachvollziehbare Strukturen verzichtete, um eine Art Best-Of dessen
zu kredenzen, woraus auf den erfolgreichen Alben „Undertow“,
„Ænima“ und „Lateralus“ die Hits und Kracher bestanden, nur
ohne neue Hits und Kracher.
Einen Unterschied nimmt man
indes sehr wohl wahr: „Fear Inoculum“ ist weicher, egal, wie
heavy die Gitarren gespielt und wie schnell die Doublebass getreten
sind. Der Metal weicht zurück, die Härte weicht auf, aus King
Crimson mit Brett wird Barclay James Harvest. Na, nicht ganz. Ja, die
vier Musiker sind hochgradig gut und die Musik findet auf einem
überhohen qualitativen Level statt, aber an neuen Ideen und altem
Mut mangelt es. Und an Emotionen, dafür ist alles viel zu
verkopft.
Dafür ist die Verpackung eben exorbitant
einzigartig. Die CD steckt in einem dreifachen Digipak, in dessen
Mitte beim Aufklappen ein Display zu leuchten und ein Bonus-Track zu
spielen beginnen. Krassomat 500! Und damit das nicht wie bei
Geburtstagskarten oder der Maxi-CD „Die Laughing“ von Therapy?
mit schwindender Knopfzellenleistung an Reiz und Wert verliert, ist
sogar ein exklusives USB-Ladekabel Teil der Ausstattung.
Chef!
Unchef wiederum ist, dass die CD drei (okay,
verzichtbare, aber es geht ums Prinzip) Tracks weniger hat als das
eigentliche Album, das man sich dann via beigelegtem Downloadcode
zulegen muss. Bei einem Verkaufspreis von 80 Euro und einem
CD-Produktionspreis von wenigen Cent wäre eine Aufteilung der zehn
Tracks auf zwei CDs wohl im Budget gewesen. Schließlich sind diese
drei experimentellen Instrumentals Teil des verworfenen Konzeptes,
das Album ähnlich wie „Delìrivm còrdia“ von Fantômas als nur
einen Track zu veröffentlichen.
Zudem gehen Fans, die
gern eine physische Variante erworben hätten, aber keine 80 Euro
parat haben, leer aus: Eine bodenständige Ausgabe des Albums ist
nicht vorgesehen, und auch die angekündigte Vinyl-Version soll wohl
ans Unerschwingliche grenzen. Dafür haben Die-Hard-Fans drei
verschiedene Cover-Varianten zur Auswahl, möglicherweise auch vier,
je nachdem, wer die Varianten wie gut im Internet beschreiben
kann.
Das Cover wiederum hat es natürlich ins sich,
gestaltet einmal mehr von Alex Grey und gespickt mit
esoterisch-spirituell angehauchten Motiven, die der eingebaute Clip
im Cover aufgreift. Das Auge spielt eine wichtige Rolle, deshalb kann
der Albumtitel, der eigentlich eine Angstinjektion bedeutet, auch als
grammatisch absichtlich falsches Latein gelesen werden, nämlich
„Fear in oculum“, also Angst ins Auge. Zur Injektion wiederum
passt, dass man das Bandlogo zusammenklappen kann und es dann eine
altertümliche Spritze darstellt. Ebenfalls wichtig ist wohl die Zahl
7, die nicht nur im Titel des Tracks „7empest“ erscheint, sondern
sich auch in Rhythmik und Komposition niederschlägt, was wiederum
ein Fall für Musiktheoretiker ist und einmal mehr die Grandiosität
der Musiker unterstreicht, sofern man diese denn wahrnimmt.
Der
Dark-Ambient-Musiker Lustmord ist übrigens an diversen
elektronischen Spielereien beteiligt. Das hört man heraus, nicht nur
bei dem Cliptrack „Recusant Ad Infinitum“, der deutlich an die
Remixe erinnert, die Lustmord vor einem Achteljahrhundert für die
Singles „Schism“ und „Parabola“ anfertigte. Das ist
verglichen mit allem Früheren der größte Zugewinn auf „Fear
Inoculum“, vermutlich.
Und was macht man jetzt mit
diesem Edelstein? Eher angucken als anhören, steht zu befürchten.
Doch wer weiß, wie sich „Fear Inoculum“ aber bei nochmehrmaligem
Hören entwickelt, ob man nicht doch noch einen Zugang zu dieser
Fahrstuhlmusik findet und womöglich etwas versäumt, wenn man jetzt
schon aufgibt. Man kann es sich aber auch ganz einfach schönreden,
um die 80 Euro für sich zu rechtfertigen.