Von Matthias Bosenick (01.12.2016)
Pünktlich zu Weihnachten werden Deine Lakaien 30 Jahre alt und feiern ihren Geburtstag mit einer Mischung aus Best-Of und Greatest Hits (ja, da gibt es einen Unterschied). Die gibt es wahlweise als Doppel-CD und als Doppel-Doppel-CD, und für den gewöhnlichen Fan ist eher die zweite Variante interessant, mit seltenem Live- und Studio-Material nämlich. Die chronologische Zusammenstellung verdeutlicht, was beim Durchhören der Alben längst klar ist: Bei den Lakaien verbirgt sich die musikalische Eingenwilligkeit zusehends hinter einer milden Gefälligkeit. Immer noch sind Alexander Veljanov ein guter Sänger und Ernst Horn ein guter Komponist, doch fehlt dem Gothic-Wave-Synthie-Band-Pop längst der Biss.
Die handelsübliche Doppel-CD braucht der Fan nicht wirklich. CD 1 beinhaltet die „Greatest Hits“ mit Klassikern aus Club und Radio von „Colour-Ize“ über „Dark Star“, „Return“ und „Where You Are“ zu „Where The Winds Don’t Blow“ aus allen Alben (inklusive dem erst 2003 als „1987“ wiederveröffentlichten zweiten Album „The Silver Tape“), auf der zweiten CD gibt es zusätzlich ein von der Band bestimmtes „Best Of“ mit Album-Perlen sowie dem Sampler-Beitrag „2nd Sun“, der Single-B-Seite „Madiel“ und drei Neuversionen alter Songs. Man verfolgt die Entwicklung von der experimentellen, kraftvollen Synthieband mit dem Gesang in dunklem Timbre und mit schlechtem Englisch hin zu Perfektionismus mit zwischenzeitig ergänzenden analogen Instrumenten und weicheren Songs, aber weniger Mut. Dennoch, wer sich besonders die alten Sachen wieder anhört, schwenkt sofort in seine Jugend ein und freut sich, dass es auch heute noch geschmackssichere Indie-Ü30-Partys gibt, auf denen beispielsweise „Love Me To The End“ läuft.
Die dritte und vierte CD der zweiten Doppel-CD indes stellen die wahrhafte Perle dar: einmal eine Sammlung mit Studioraritäten, zum anderen eine mit Live-Besonderheiten. Aus dem Studio grub das Duo unveröffentlichte Stücke und seltene Remixe aus fast allen Schaffensphasen aus, darunter das überraschend grobschlächtige Bob-Dylan-Cover „It’s Alright, Ma“ sowie diverse Tracks, die es auf Sonderveröffentlichungen des Magazins „Sonic Seducer“ gab (außer der „2nd Version“ von „Farewell“, das dem Heft einst als gelbe 7“ beilag und dessen B-Seite auf der vierten CD zu finden ist, eine Live-Version von „Where The Winds Don’t Blow“ nämlich). Diese Live-Sammlung wiederum dürfte besonders den alten Fans das Strahlen in die Augen bringen: Hier gibt es längst verschollene Aufnahmen der allerersten „Acoustic“-Tour zu hören, als Veljanov und Horn mit einem präparierten Klavier unterwegs waren und ihren Songs neue Geister einhauchten; von der zweiten und der letzten Tour gibt es CD-Dokumente. Außerdem hört man die Lakaien live im Band-Sound sowie im rein elektronischen Gewand, je nach Inkarnation.
Man kann die Lakaien für kitschig halten, für klischeehaft – aber das eigentlich auch eher, wenn man dieser Sorte dunkler Musik nichts abgewinnen kann oder grundsätzlich Vorbehalte gegenüber oft balladesker, klassikinspirierter Kunst mit sekulärem Anstrich hat. Unbestrittenerweise gelingt es den beiden alten Männern (Veljanov ist 51, Horn 67), Stimmungen auszulösen und zu bedienen, sowohl melancholische als auch hymnische oder gar latent aggressive. Nicht zu vergessen der teilweise mehr als nur augenzwinkernde Humor, der sich etwa in der Selbstpersiflage „Lass mich“ Bahn bricht.
Angenehm ist, dass die Lakaien auf dieser Compilation ihre Quellen nachvollziehbar machen. Man muss nicht erst in der eigenen Plattensammlung oder bei Discogs recherchieren, von welcher Veröffentlichung welcher Song nun stammt. Vorbildlich. Zudem liegt der Box ein üppiges Büchlein mit noch mehr Hintergrundinformationen bei. Und das Ganze gibt es auch noch zum mehr als nur vertretbaren Preis. Wenn man dann das alles so hört, auf Ausgewähltes reduziert, dann bekommen auch die jüngeren Lieder plötzlich eine Relevanz. Mindestens dafür lohnt sich die Auseinandersetzung mit dieser Sammlung.