Von Matthias Bosenick (13.07.2015)
Das ist Sommermusik für Erwachsene. Für Leute, die bereits erfahren haben, dass das Leben aus einem schweren Bisschen mehr besteht als in stylishen Restklamotten gechillt am Strand rumzuhängen, klebrige In-Cocktails und andere Bewusstseinsmanipulatoren in sich reinzukippen und den nächsten Nachtabschnittsbegleiter für sich klar zu machen. Auch gute Laune kann schwarz sein, auch die Dunkelheit kann strahlen: Automat machen Dub in einem reichlich weiten Sinne. Ihre Musik beschallt die Party danach, für die Gäste, die erst dann zu feiern beginnen, nachdem die Hedonisten dumpf in den Vulkan gekippt sind. Wer dann nämlich noch übrig ist, tanzt zum Automat’schen Postapokalypse-Reggae.
Der Hall und die gelegentlichen getoasteten Effekte charakterisieren Automat-Musik grob als Dub. Mit dessen jamaikanischen Variante von vor 50 Jahren hat dieser Dub allerdings weniger zu tun. Hier kopiert niemand alte Dancehall-Songs, sondern generiert eine eigene Musik, die wiederum nicht von ungefähr an den vornehmlich rhythmusbasierten Dub aus der Post-Punk- oder Industrial-Zeit Anfang der 80er erinnert. Schließlich reichen die musikalischen Anfänge der Mitglieder dieses Trios in genau jene Zeit zurück: In Jochen Arbeits Lebenslauf stehen unter anderem Die Haut, Sprung aus den Wolken und die Einstürzenden Neubauten, Achim Färber spielte bei Project Pitchfork, als „Monk“ in Phillip Boas Voodooclub, zudem bei De/Vision und vor einer Dekade kurz bei Die Krupps, und Georg Zeitblom startete seinerzeit mit Sovetskoe Foto. Klingt alles nicht nach besonders guter Laune. Und eben diese musikalischen Abgründe schleppen die drei weiter in sich herum und lassen sie in ihre Version sonniger Dubmusik einfließen.
Davon kann man in der Tat gute Laune bekommen, wenn man mindestens ebenfalls bereits so einiges an flachen Partys hinter sich und das Leben als etwas doch nicht so Heiteres erlebt hat. Dann nämlich treffen Automat auf offene Ohren, dann dringen die typischen Bassgrooves und Schlagzeugfiguren leicht ins Gehirn ein, dann bekommen die eingestreuten Kratz-, Jaul- und Störgeräusche eine Relevanz, dann bilden die dunklen Töne ein viel tragfähigeres Fundament als die üblichen fröhlichen Reggaemelodien. Stimmen klingen, sofern sie dies überhaupt tun, wie spröde knarzend aus dem Computer. Die Rhythmen sind nicht auf die jamaikanischen Vorlagen beschränkt; das Titelstück etwa ist überraschend rasant und dabei gleichzeitig trippig. Und voll sind die Stücke, nicht vollgestopft, sondern voluminös, raumfüllend. Denn trotz der grundsätzlichen Gitarre-Bass-Schlagzeug-Besetzung mixen die drei reichlich Effekte aus dem Computer dazu. Passend, wohlgemerkt. Das verleiht manchem Track beinahe etwas Clubtaugliches; aber solche Clubs müssen noch erfunden werden. Anders als noch auf dem Debüt von vor einem Jahr, bedient sich das Trio dieses Mal übrigens nicht bei Gastsängern. Hat es auch gar nicht nötig; Stimme, Gesang, Text würden vielmehr eher stören hier. Die Musik weiß alleine von sich zu überzeugen.
Nun sind Automat gerade seit zwei Jahren aktiv und haben schon sechs Veröffentlichungen auf dem Zettel. Zu zwei Record Store Days gab es Split-12“es, eine mit Kreidler und eine mit Camera, dann eine Split-12“ mit Schneider TM namens „Bootleg“ und fast parallel zu „Plusminus“ die EP „Selekt 01“ mit Max Loderbauer, dem ersten Teil einer neuen Kollaborationsserie des Labels Bureau B. Darauf klingt der Automat-Dub wieder anders, fordernder, tanzbarer, verspielter, elektronischer. IDM-Fachmann Loderbauer nimmt der Automat-Musik das Entspannte und presst sie in kompakter groovende Formen. Stressig wird sie davon nicht, bleibt sogar ähnlich dunkel und bekommt wie beiläufig einen veränderten Charakter. Hier wird sogar noch deutlicher, was die regulären Automat-Veröffentlichungen schon auszeichnet: Vordergründig elektronische Musik erhält viel mehr Tiefe, wenn sie mit echten Instrumenten gespielt wird. Wie auf „Selekt 01“ etwa der Bass eine Matratze auslegt, auf der die Beats pluckern, das geht mit einem E-Bass einfach besser.
Der „Plusminus“-LP liegt übrigens wie dem ersten Album eine CD bei, den ersten 100 dazu noch ein etwa siebenzölliger Kunstdruck mit dem Covermotiv (der Rezensent hat die handgeschriebene Nummer 065 von 100). Die 12“es von Automat gibt es leider nicht als Download, „Selekt 01“ immerhin zum Streamen.