Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Skurriler Konzert-Trend: Zeug auf die Bühne werfen

Von Onkel Rosebud

Da ich meine Freundin schon länger kenne, weiß ich um ihre Verfehlungen. Von den wenigen Dingen, die sie bereut, in ihrem Leben getan zu haben, gehört, auf einem Konzert der Formation Amor & die Kids ihr gelbes Katzen-Stofftier mit rotem Kunstlederhalsband und Druckknopf (!) auf die Bühne in Richtung des Sängers geworfen zu haben. Ihre Hoffnung war, dass Tobias Künzel, damals so eine Art Gary Barlow aus Leipzig, es wertschätzt. Der damaligen Euphorie folgte Verlust des geliebten Kuscheltiers und ich konnte bei ihr punkten, als ich ihr zu einem Jubiläum ein Replikat der gelben Katze auf den Tisch legte, die ich auf einer Auktionsplattform erwarb.

Dass Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne Gegenstände entgegenfliegen, ist nicht neu. Mal werfen Fans aus Protest, mal wollen sie ihrer Liebe Ausdruck verleihen. Die Wahl der Wurfgeschosse war früher meist mehr oder weniger zivilisiert. Tom Jones wurde regelmäßig mit Unmengen von Damenhöschen beworfen, Ozzy Osbourne hingegen bekam 1982 eine Fledermaus auf die Bühne geschleudert. Er soll ihr den Kopf abgebissen haben. Heutzutage hat das Phänomen, Dinge während eines Konzertes auf die Bühne zu werfen, eine andere Dimension angenommen. Die Meldung neulich, dass die Sängerin Pink bei einem Konzert ein großes Käserad zugeworfen bekam, ließ mich noch belustigt aufhorchen. Wenige Tage später wurde es jedoch skurriler: Beim British Summer Time Festival flog ein großer Zipbeutel mit grau-braunem Pulver auf die Bühne. Ein Konzertbesucher hatte Pink die Asche seiner Mutter zugeworfen. Wenn man im Internet falsch abbiegt, ist auf Videos zu sehen, wie die Sängerin mit viel Skepsis und spitzen Fingern den Beutel aufhebt und entsetzt nachfragt: „Das ist deine Mutter?“ Dem Rapper und Sänger Lil Nas X wiederum flog während eines Konzerts ein umgangssprachlich als „Taschenmuschi“ bekanntes Sexspielzeug entgegen. Bei Harry Styles fand ein frittiertes Huhn seinen Weg zum Kopf.

Weniger lustig ist allerdings, wenn die KünstlerInnen durch die Wurfgeschosse verletzt werden. Bebe Rexha musste ins Krankenhaus und genäht werden, weil das Handy eines Fans nur knapp ihr Auge verfehlte. Dem Rapper Drake passierte das gleiche, nur ohne Krankenhaus. Countrysängerin Kelsea Ballerini unterbrach ihr Konzert, weil sie am Kopf von einem Armband getroffen wurde. Kid Cudi hat ein Konzert nach nur vier Songs abgebrochen, weil jemand Flaschen nach ihm geworfen hatte.

Früher flogen die Herzen, heute – nun ja. Haben die Menschen vergessen, wie man sich gut auf Konzerten benimmt? Die gängige Erklärung für dieses Phänomen geht so: Es ist ein TikTok-Trend, eine neue Unart, um Content zu produzieren, der viele Views bekommt. Die Menschen sehen die Stars auf der Bühne, als deren Fans sie sich bezeichnen, nur noch als Entertainment-Objekte, nicht mehr als Menschen, die man verletzen kann. Da vorn stehen in ihren Augen MusikerInnen, die abzuliefern und die nach den Regeln der Fangemeinde zu agieren haben.

Dank der sozialen Medien hat der Grad des Zugehörigkeitsgefühls vieler Fans ein ganz neues Ausmaß angenommen, das für die Stars nicht immer leicht zu verkraften ist. Es heißt, dass viele, vor allem junge, Fans nach Jahren der Isolation durch die Pandemie keinen Schimmer haben, wie man sich auf Konzerten eigentlich benimmt, und gerne vergessen, dass auch Superstars Menschen sind, die nicht nur in viralen Momenten auf TikTok existieren. Sie sehen die Kunstschaffenden, die sie anhimmeln, als Objekte, für die sie bezahlen und die sie im Gegenzug respektlos behandeln dürfen.

Ich habe noch nie was einer Band auf die Bühne geschmissen, außer komische Blicke in Pfeilform und wolkenartige Zuneigung. Das mag daran liegen, dass ich auf einem Konzert meistens in der Nähe des Mischpultes stehe und meine Schlagarm-Wurftechnik nur rudimentär ausgebildet ist. Aber ich war dabei, als Liam Gallagher im Jahr 2000 ein Oasis-Konzert auf dem Paléo-Festival in Nyon nach 20 Minuten abbrach, weil er mit Münzen beworfen wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Konzertbesuchern konnte ich diese Reaktion verstehen.

Onkel Rosebud